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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Amalie vo" Helwig

erspart blieben, an die Schwierigkeiten, einen in seiner ersten Anlage dilettan¬
tischen Versuch zum Kunstwerke auszugestalten, hat der Briefwechsel Goethes
mit Schiller getreulich bewahrt. Als Schiller am 19. Mürz an Goethe meldete:
"Dieser Tage hat mir die Jnchoff die zwei letzten Gesänge ihres Gedichts
geschickt, die mir sehr große Freude gewacht haben. Es ist überaus zart und
rein entwickelt, mit einfachen Mitteln und ungeweiner Anmntigkeit," erwiderte
Goethe freundlich, doch leise zweifelnd: "Von dem Jmhoffischen Gedicht hat
mir Meyer viel gutes gesagt. Es soll mir recht lieb sein, wenn unsre Frauen¬
zimmer, die so ein hübsches Talent haben, auch wirklich nvaneiren." Und als
dann gegen Ende Mai Goethe der Sache ernsthaft nahe trat, bekannte er mit
einem gewaltigen Stoßseufzer: "Den ersten Gesang des Gedichtes habe ich von
unsrer Freundin erhalten, gegen den aber leider alle Grcivamina, die ich Ihnen
schou vvrerzühlt, gewaltig gelten. Es fehlt alle epische Retardation, dadurch
drängt sich alles auf und über einander, und dein Gedicht fehlt, wenn man es
liest, durchaus Ruhe und Klarheit. In dem ganzen Gesänge ist kein einziger
Abschnitt angegeben, und wirklich sind die Abschnitte schwer zu bezeichnen.
Die sehr langen Perioden verwickeln die Sache mehr, als daß sie durch eine
gewisse Vollendung dem Vortrag eine Anmut geben. Es entstehen viel dunkle
Parenthesen und Beziehungen, die Worte sind oft ohne epischen Zweck um¬
gestellt und der Gebrauch der Partizipien nicht immer glücklich. Ich will
sehen, das Möglichste zu thun, um so mehr, als ich meine hiesigen Stunden
nicht hoch anrechne." Freilich hatte er unmittelbar darauf zu rühmen, daß
sich weder die Dichterin noch deren Freundin, Schillers Schwägerin Karoline
von Wolzogen, "vor seinen rigoristischen Forderungen entsetzten," und daß ins¬
besondere Ainnlie lvvn Goethe erst über das Gesetz der Hexameter belehrt)
sich zu tiefgehenden Änderungen und Neubearbeitungen entschlossen habe. Am
14. August nahm Goethe, nachdem die beiden ersten Gesänge druckfähig
befunden worden, den dritten Gesaug vor, gelobte, sein Mögliches daran zu
thun, setzte aber hinzu: "Da ich selbst gegenwärtig an einer strengeii Revision
meiner eigenen Arbeite,, bin, so erscheinen mir die Frauenzimmerlichkeiten unsrer
lieben kleinen Freundin noch etwas loser und lockerer als vorher, und wir
wollen sehen, wie Nur uns eben durchhelfen." Die von Zeit zu Zeit gehal¬
tenen Konferenzen verminderten bald, bald belebten sie die Hoffnung auf eine
glückliche Ausgestaltung des Gedichts, als Endurteil sprach anch Goethe aus,
daß das Gedicht "viel Anlage und viel Gutes" habe, fürchtete aber, daß es
"nicht in die Breite" (des Publikums) wirken werde. "Die barbarische Sitte
als Gegenstaud, die zarten Gesinnungen als Stoff und das undulistische Wesen
als Behandlung betrachtet, geben dem Ganzen einen eigenen Charakter und
vesvudern Reiz, zu dem man gemacht sein oder sich erst machen muß" (an
Schiller, 17. August 1799.)

"Nndulistisch" -- schwankend, wogend, nennt Goethe die Ausführung der


Amalie vo» Helwig

erspart blieben, an die Schwierigkeiten, einen in seiner ersten Anlage dilettan¬
tischen Versuch zum Kunstwerke auszugestalten, hat der Briefwechsel Goethes
mit Schiller getreulich bewahrt. Als Schiller am 19. Mürz an Goethe meldete:
„Dieser Tage hat mir die Jnchoff die zwei letzten Gesänge ihres Gedichts
geschickt, die mir sehr große Freude gewacht haben. Es ist überaus zart und
rein entwickelt, mit einfachen Mitteln und ungeweiner Anmntigkeit," erwiderte
Goethe freundlich, doch leise zweifelnd: „Von dem Jmhoffischen Gedicht hat
mir Meyer viel gutes gesagt. Es soll mir recht lieb sein, wenn unsre Frauen¬
zimmer, die so ein hübsches Talent haben, auch wirklich nvaneiren." Und als
dann gegen Ende Mai Goethe der Sache ernsthaft nahe trat, bekannte er mit
einem gewaltigen Stoßseufzer: „Den ersten Gesang des Gedichtes habe ich von
unsrer Freundin erhalten, gegen den aber leider alle Grcivamina, die ich Ihnen
schou vvrerzühlt, gewaltig gelten. Es fehlt alle epische Retardation, dadurch
drängt sich alles auf und über einander, und dein Gedicht fehlt, wenn man es
liest, durchaus Ruhe und Klarheit. In dem ganzen Gesänge ist kein einziger
Abschnitt angegeben, und wirklich sind die Abschnitte schwer zu bezeichnen.
Die sehr langen Perioden verwickeln die Sache mehr, als daß sie durch eine
gewisse Vollendung dem Vortrag eine Anmut geben. Es entstehen viel dunkle
Parenthesen und Beziehungen, die Worte sind oft ohne epischen Zweck um¬
gestellt und der Gebrauch der Partizipien nicht immer glücklich. Ich will
sehen, das Möglichste zu thun, um so mehr, als ich meine hiesigen Stunden
nicht hoch anrechne." Freilich hatte er unmittelbar darauf zu rühmen, daß
sich weder die Dichterin noch deren Freundin, Schillers Schwägerin Karoline
von Wolzogen, „vor seinen rigoristischen Forderungen entsetzten," und daß ins¬
besondere Ainnlie lvvn Goethe erst über das Gesetz der Hexameter belehrt)
sich zu tiefgehenden Änderungen und Neubearbeitungen entschlossen habe. Am
14. August nahm Goethe, nachdem die beiden ersten Gesänge druckfähig
befunden worden, den dritten Gesaug vor, gelobte, sein Mögliches daran zu
thun, setzte aber hinzu: „Da ich selbst gegenwärtig an einer strengeii Revision
meiner eigenen Arbeite,, bin, so erscheinen mir die Frauenzimmerlichkeiten unsrer
lieben kleinen Freundin noch etwas loser und lockerer als vorher, und wir
wollen sehen, wie Nur uns eben durchhelfen." Die von Zeit zu Zeit gehal¬
tenen Konferenzen verminderten bald, bald belebten sie die Hoffnung auf eine
glückliche Ausgestaltung des Gedichts, als Endurteil sprach anch Goethe aus,
daß das Gedicht „viel Anlage und viel Gutes" habe, fürchtete aber, daß es
„nicht in die Breite" (des Publikums) wirken werde. „Die barbarische Sitte
als Gegenstaud, die zarten Gesinnungen als Stoff und das undulistische Wesen
als Behandlung betrachtet, geben dem Ganzen einen eigenen Charakter und
vesvudern Reiz, zu dem man gemacht sein oder sich erst machen muß" (an
Schiller, 17. August 1799.)

„Nndulistisch" — schwankend, wogend, nennt Goethe die Ausführung der


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[0138] Amalie vo» Helwig erspart blieben, an die Schwierigkeiten, einen in seiner ersten Anlage dilettan¬ tischen Versuch zum Kunstwerke auszugestalten, hat der Briefwechsel Goethes mit Schiller getreulich bewahrt. Als Schiller am 19. Mürz an Goethe meldete: „Dieser Tage hat mir die Jnchoff die zwei letzten Gesänge ihres Gedichts geschickt, die mir sehr große Freude gewacht haben. Es ist überaus zart und rein entwickelt, mit einfachen Mitteln und ungeweiner Anmntigkeit," erwiderte Goethe freundlich, doch leise zweifelnd: „Von dem Jmhoffischen Gedicht hat mir Meyer viel gutes gesagt. Es soll mir recht lieb sein, wenn unsre Frauen¬ zimmer, die so ein hübsches Talent haben, auch wirklich nvaneiren." Und als dann gegen Ende Mai Goethe der Sache ernsthaft nahe trat, bekannte er mit einem gewaltigen Stoßseufzer: „Den ersten Gesang des Gedichtes habe ich von unsrer Freundin erhalten, gegen den aber leider alle Grcivamina, die ich Ihnen schou vvrerzühlt, gewaltig gelten. Es fehlt alle epische Retardation, dadurch drängt sich alles auf und über einander, und dein Gedicht fehlt, wenn man es liest, durchaus Ruhe und Klarheit. In dem ganzen Gesänge ist kein einziger Abschnitt angegeben, und wirklich sind die Abschnitte schwer zu bezeichnen. Die sehr langen Perioden verwickeln die Sache mehr, als daß sie durch eine gewisse Vollendung dem Vortrag eine Anmut geben. Es entstehen viel dunkle Parenthesen und Beziehungen, die Worte sind oft ohne epischen Zweck um¬ gestellt und der Gebrauch der Partizipien nicht immer glücklich. Ich will sehen, das Möglichste zu thun, um so mehr, als ich meine hiesigen Stunden nicht hoch anrechne." Freilich hatte er unmittelbar darauf zu rühmen, daß sich weder die Dichterin noch deren Freundin, Schillers Schwägerin Karoline von Wolzogen, „vor seinen rigoristischen Forderungen entsetzten," und daß ins¬ besondere Ainnlie lvvn Goethe erst über das Gesetz der Hexameter belehrt) sich zu tiefgehenden Änderungen und Neubearbeitungen entschlossen habe. Am 14. August nahm Goethe, nachdem die beiden ersten Gesänge druckfähig befunden worden, den dritten Gesaug vor, gelobte, sein Mögliches daran zu thun, setzte aber hinzu: „Da ich selbst gegenwärtig an einer strengeii Revision meiner eigenen Arbeite,, bin, so erscheinen mir die Frauenzimmerlichkeiten unsrer lieben kleinen Freundin noch etwas loser und lockerer als vorher, und wir wollen sehen, wie Nur uns eben durchhelfen." Die von Zeit zu Zeit gehal¬ tenen Konferenzen verminderten bald, bald belebten sie die Hoffnung auf eine glückliche Ausgestaltung des Gedichts, als Endurteil sprach anch Goethe aus, daß das Gedicht „viel Anlage und viel Gutes" habe, fürchtete aber, daß es „nicht in die Breite" (des Publikums) wirken werde. „Die barbarische Sitte als Gegenstaud, die zarten Gesinnungen als Stoff und das undulistische Wesen als Behandlung betrachtet, geben dem Ganzen einen eigenen Charakter und vesvudern Reiz, zu dem man gemacht sein oder sich erst machen muß" (an Schiller, 17. August 1799.) „Nndulistisch" — schwankend, wogend, nennt Goethe die Ausführung der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/138>, abgerufen am 05.02.2025.