Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.natürlich nicht eine größre Menge Menschen genommen zu haben, es genügt, Bedenklicher ist die Frage, wie es zu halten sei, wenn jemand im Zu¬ natürlich nicht eine größre Menge Menschen genommen zu haben, es genügt, Bedenklicher ist die Frage, wie es zu halten sei, wenn jemand im Zu¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0117" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204848"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_288" prev="#ID_287"> natürlich nicht eine größre Menge Menschen genommen zu haben, es genügt,<lb/> daß ein einzelner Mensch, z, B. ein Schutzmann oder ein Nachtwächter, der<lb/> den Betrunknen in der Gosse findet, Ärgernis genommen hat, sofern nur<lb/> die Möglichkeit gegeben war, daß eine beliebig große Zahl von Menschen<lb/> die Thatsache hätte bemerken und daran Ärgernis nehmen können, wie<lb/> dies den Entscheidungen des Reichsgerichts bezüglich des öffentlichen Ärger¬<lb/> nisses bei unzüchtigen Handlungen entspricht. Endlich aber muß anch der Zu¬<lb/> stand der Trunkenheit ein unverschuldeter sein, wenn er straflos bleiben soll;<lb/> der Trunkne kann nicht verantwortlich gemacht werden, wenn er ohne seine<lb/> Schuld durch andre betrunken gemacht wird, er kann in einem solchen Falle<lb/> nur bemitleidet werden. Aber es bedarf eines sehr genanen Nachweises über<lb/> die Schuldlosigkeit des Trunknen an seinein Zustande; ein Mangel an Wider¬<lb/> standskraft gegen Nekereien oder gegen Zutrinken würde mir nicht als eine<lb/> genügende Entschuldigung dienen. Ob es nun notwendig sei, für die ein<lb/> öffentliches Ärgernis erregende Trunkenheit eine ausdrückliche Strafbestimmung<lb/> zu erlassen, darüber läßt sich streiten; die von einer wegen derartiger Trunken¬<lb/> heit als eines groben Unfugs auf Grund des 8 360 Satz 11 des Strafgefetz¬<lb/> buchs erlassenen Strafverfügungen find stets von den Gerichten aufrecht erhalten<lb/> worden. Ist dies anderwärts nicht geschehen, dann dürfte allerdings der Er¬<lb/> laß einer besondern Strafbestimmung am Platze sein. Der Entwurf von 1881<lb/> wollte Geldstrafe bis zu 100 Mark oder Haft bis zu zwei Wochen androhen;<lb/> man konnte fragen, ob es nicht besser wäre, sich einfach dem Z60 des Straf¬<lb/> gesetzbuches anzuschließen, der eine Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft ohne<lb/> Festsetzung eines höchsten Betrags androht, wobei es dein Richter, ohne daß<lb/> es einer besondern Bestimmung bedürfte, frei stünde, geeignetenfalls alsbald<lb/> auf Haft zu erkennen. Der Gedanke des genannten Entwurfs, gegenüber Ge¬<lb/> wohnheitstrinkern eine Strafschärfuug durch Fasten oder Überweisung an die<lb/> Landespolizeibehörde zur Einsperrung in ein Arbeitshaus einzuführen, beruht<lb/> auf durchaus richtigen Grundlagen.</p><lb/> <p xml:id="ID_289" next="#ID_290"> Bedenklicher ist die Frage, wie es zu halten sei, wenn jemand im Zu¬<lb/> stande der Trunkenheit eine Strafthat verübt hat, d. h. ob man in einem<lb/> solchen Falle auf die Trunkenheit Rücksicht zu nehmen habe oder nicht. Nicht<lb/> nur die Begründung des Gesetzesentwurfs, sondern die tägliche Erfahrung belehrt<lb/> uus, daß eine Reihe von Gesetzesübertretungen, wie Tötung, Körperverletzung,<lb/> thatlicher Angriff gegen Beamte und sonstige Gewaltthätigkeiten, wesentlich<lb/> auf Trunkenheit zurückzuführen find, daß aber die wegen solcher Übelthaten<lb/> angeklagten Personen sich mit ganz besondrer Vorliebe der Einrede der Trunken¬<lb/> heit bedienen, und daß die Gerichte diese Schutzbehnuptuug oft mehr als er¬<lb/> wünscht berücksichtigen, vielleicht nach dem Strafgesetzbuche berücksichtigen müssen.<lb/> Nun wird man sicherlich den alten Rechtssatz „Trunken gesündigt, nüchtern<lb/> gebüßt" nicht mehr als vollständig zutreffend anerkennen wollen, man wird</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0117]
natürlich nicht eine größre Menge Menschen genommen zu haben, es genügt,
daß ein einzelner Mensch, z, B. ein Schutzmann oder ein Nachtwächter, der
den Betrunknen in der Gosse findet, Ärgernis genommen hat, sofern nur
die Möglichkeit gegeben war, daß eine beliebig große Zahl von Menschen
die Thatsache hätte bemerken und daran Ärgernis nehmen können, wie
dies den Entscheidungen des Reichsgerichts bezüglich des öffentlichen Ärger¬
nisses bei unzüchtigen Handlungen entspricht. Endlich aber muß anch der Zu¬
stand der Trunkenheit ein unverschuldeter sein, wenn er straflos bleiben soll;
der Trunkne kann nicht verantwortlich gemacht werden, wenn er ohne seine
Schuld durch andre betrunken gemacht wird, er kann in einem solchen Falle
nur bemitleidet werden. Aber es bedarf eines sehr genanen Nachweises über
die Schuldlosigkeit des Trunknen an seinein Zustande; ein Mangel an Wider¬
standskraft gegen Nekereien oder gegen Zutrinken würde mir nicht als eine
genügende Entschuldigung dienen. Ob es nun notwendig sei, für die ein
öffentliches Ärgernis erregende Trunkenheit eine ausdrückliche Strafbestimmung
zu erlassen, darüber läßt sich streiten; die von einer wegen derartiger Trunken¬
heit als eines groben Unfugs auf Grund des 8 360 Satz 11 des Strafgefetz¬
buchs erlassenen Strafverfügungen find stets von den Gerichten aufrecht erhalten
worden. Ist dies anderwärts nicht geschehen, dann dürfte allerdings der Er¬
laß einer besondern Strafbestimmung am Platze sein. Der Entwurf von 1881
wollte Geldstrafe bis zu 100 Mark oder Haft bis zu zwei Wochen androhen;
man konnte fragen, ob es nicht besser wäre, sich einfach dem Z60 des Straf¬
gesetzbuches anzuschließen, der eine Geldstrafe bis zu 150 Mark oder Haft ohne
Festsetzung eines höchsten Betrags androht, wobei es dein Richter, ohne daß
es einer besondern Bestimmung bedürfte, frei stünde, geeignetenfalls alsbald
auf Haft zu erkennen. Der Gedanke des genannten Entwurfs, gegenüber Ge¬
wohnheitstrinkern eine Strafschärfuug durch Fasten oder Überweisung an die
Landespolizeibehörde zur Einsperrung in ein Arbeitshaus einzuführen, beruht
auf durchaus richtigen Grundlagen.
Bedenklicher ist die Frage, wie es zu halten sei, wenn jemand im Zu¬
stande der Trunkenheit eine Strafthat verübt hat, d. h. ob man in einem
solchen Falle auf die Trunkenheit Rücksicht zu nehmen habe oder nicht. Nicht
nur die Begründung des Gesetzesentwurfs, sondern die tägliche Erfahrung belehrt
uus, daß eine Reihe von Gesetzesübertretungen, wie Tötung, Körperverletzung,
thatlicher Angriff gegen Beamte und sonstige Gewaltthätigkeiten, wesentlich
auf Trunkenheit zurückzuführen find, daß aber die wegen solcher Übelthaten
angeklagten Personen sich mit ganz besondrer Vorliebe der Einrede der Trunken¬
heit bedienen, und daß die Gerichte diese Schutzbehnuptuug oft mehr als er¬
wünscht berücksichtigen, vielleicht nach dem Strafgesetzbuche berücksichtigen müssen.
Nun wird man sicherlich den alten Rechtssatz „Trunken gesündigt, nüchtern
gebüßt" nicht mehr als vollständig zutreffend anerkennen wollen, man wird
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