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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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Zur Bekämpfung der Trunksucht

unzweifelhaft in denjenigen Füllen die Strafbarkeit ausschließen müssen, wo der
Thäter wirklich sinnlos betrunken oder unverschuldet in den Zustand der
Trunkenheit geraten war. Der erste Fall kommt übrigens glücklicherweise nicht
so hänfig vor, als er von den Angeklagten vorgeschützt wird, und über die
Beschränkung der letztern habe ich mich schon ausgesprochen. Man kann auch
gern zugeben, daß es seine Bedenken habe, mit dein Entwurf von 1881 nach
fremde" Vorbildern aus dem Begehen einer Strafthat im trunkenen Zustand
ein eignes selbständiges Vergehen zu bilden, wie dies in den über den gedachten
Entwurf gepflogenen Neichstagsverhandlnngen der verstorbene Genernlstants-
anwalt Schwarze zu Dresden überzeugend hervorhob. Aber mau kann in
vollster llbcreinstimnuing mit der heutigen Strafrechtswissenschaft annehmen, daß
der fahrlässig gehandelt hat, der sich nicht vor einem Zustande hütete, von dem
er sich sagen mußte, daß er dann nicht ganz Herr seiner Entschließungen sein
würde, und kann deshalb die That als mit Fahrlässigkeit begangen bestrafen,
wobei mau die aus der Fahrlässigkeit folgende Minderung der Strnfbarkeit
nicht zu weit auszudehnen brauchte. In dieser Richtung würde es also vielleicht nnr
einer Einwirkung ans unsre Gerichtsbehörden, gegenüber der Staatsanwalt¬
schaft durch die Justizverwaltung, gegenüber den Gerichten dnrch die höchsten
Gerichtshöfe bedürfen. Daß aber auch die Fahrlässigkeit auszuschließen sein
dürfte, wenn sich jemand absichtlich betrunken hat, um die Strafthat zu be¬
gehen, sich absichtlich "Mut" angetrunken hat, bedarf wohl keiner Bemerkung.
Sollten nun auch für die im trunkenen Zustande vollbrachten Thaten die im
Entwurf von 1881 vorgesehenen Strafschärfnngen eingeführt werden, dann
würde es einer Ergänzung des Strafgesetzbuchs bedürfen. Würde derartiges
beliebt, dann könnte mau freilich vielleicht die Frage aufwerfen, ob nicht die
Strafschärfung dnrch Fasten auch auf andre Strafthateu, insbesondre auf die
mit besonderer Roheit verübten, auszudehnen wäre.

Gehen wir nnn zu den Mittel" über, die dein übermäßigen Trinken vor¬
beugen sollen. Auch diese zerfallen wieder in zwei Gruppen, in solche, die
vorzugsweise die Verkaufsstellen von Getränken im Auge haben, und in solche,
die sich in erster Linie gegen den Trinker richten. In beiden Richtungen hat
die Petitionskommission des Reichstags 1885 Wünsche ausgesprochen, und es
sind zahlreiche Polizeiverordnnngen ergangen, wie anch die Gesetzgebung nicht
ganz unthätig war.

Bei der ersten Gruppe müssen wir vor allen der Gewerbeordnung ge¬
denken, die die Landesregierungen zu der Bestimmung ermächtigt, daß die
Erlaubnis zum Ausschenken von Spirituosen oder zum Kleinhandel damit
allerorten und die Erlaubnis zum Betriebe der Gastwirschaft oder zum Aus¬
schenken von geistigen Getränken außer den Spirituosen in Städten mit einer
Einwohnerzahl bis zu 15000 Köpfen überhaupt und in größeren Städten,
falls es für diese durch Ortsstatut festgesetzt worden ist, vom Nachweis eiues


Zur Bekämpfung der Trunksucht

unzweifelhaft in denjenigen Füllen die Strafbarkeit ausschließen müssen, wo der
Thäter wirklich sinnlos betrunken oder unverschuldet in den Zustand der
Trunkenheit geraten war. Der erste Fall kommt übrigens glücklicherweise nicht
so hänfig vor, als er von den Angeklagten vorgeschützt wird, und über die
Beschränkung der letztern habe ich mich schon ausgesprochen. Man kann auch
gern zugeben, daß es seine Bedenken habe, mit dein Entwurf von 1881 nach
fremde» Vorbildern aus dem Begehen einer Strafthat im trunkenen Zustand
ein eignes selbständiges Vergehen zu bilden, wie dies in den über den gedachten
Entwurf gepflogenen Neichstagsverhandlnngen der verstorbene Genernlstants-
anwalt Schwarze zu Dresden überzeugend hervorhob. Aber mau kann in
vollster llbcreinstimnuing mit der heutigen Strafrechtswissenschaft annehmen, daß
der fahrlässig gehandelt hat, der sich nicht vor einem Zustande hütete, von dem
er sich sagen mußte, daß er dann nicht ganz Herr seiner Entschließungen sein
würde, und kann deshalb die That als mit Fahrlässigkeit begangen bestrafen,
wobei mau die aus der Fahrlässigkeit folgende Minderung der Strnfbarkeit
nicht zu weit auszudehnen brauchte. In dieser Richtung würde es also vielleicht nnr
einer Einwirkung ans unsre Gerichtsbehörden, gegenüber der Staatsanwalt¬
schaft durch die Justizverwaltung, gegenüber den Gerichten dnrch die höchsten
Gerichtshöfe bedürfen. Daß aber auch die Fahrlässigkeit auszuschließen sein
dürfte, wenn sich jemand absichtlich betrunken hat, um die Strafthat zu be¬
gehen, sich absichtlich „Mut" angetrunken hat, bedarf wohl keiner Bemerkung.
Sollten nun auch für die im trunkenen Zustande vollbrachten Thaten die im
Entwurf von 1881 vorgesehenen Strafschärfnngen eingeführt werden, dann
würde es einer Ergänzung des Strafgesetzbuchs bedürfen. Würde derartiges
beliebt, dann könnte mau freilich vielleicht die Frage aufwerfen, ob nicht die
Strafschärfung dnrch Fasten auch auf andre Strafthateu, insbesondre auf die
mit besonderer Roheit verübten, auszudehnen wäre.

Gehen wir nnn zu den Mittel« über, die dein übermäßigen Trinken vor¬
beugen sollen. Auch diese zerfallen wieder in zwei Gruppen, in solche, die
vorzugsweise die Verkaufsstellen von Getränken im Auge haben, und in solche,
die sich in erster Linie gegen den Trinker richten. In beiden Richtungen hat
die Petitionskommission des Reichstags 1885 Wünsche ausgesprochen, und es
sind zahlreiche Polizeiverordnnngen ergangen, wie anch die Gesetzgebung nicht
ganz unthätig war.

Bei der ersten Gruppe müssen wir vor allen der Gewerbeordnung ge¬
denken, die die Landesregierungen zu der Bestimmung ermächtigt, daß die
Erlaubnis zum Ausschenken von Spirituosen oder zum Kleinhandel damit
allerorten und die Erlaubnis zum Betriebe der Gastwirschaft oder zum Aus¬
schenken von geistigen Getränken außer den Spirituosen in Städten mit einer
Einwohnerzahl bis zu 15000 Köpfen überhaupt und in größeren Städten,
falls es für diese durch Ortsstatut festgesetzt worden ist, vom Nachweis eiues


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[0118] Zur Bekämpfung der Trunksucht unzweifelhaft in denjenigen Füllen die Strafbarkeit ausschließen müssen, wo der Thäter wirklich sinnlos betrunken oder unverschuldet in den Zustand der Trunkenheit geraten war. Der erste Fall kommt übrigens glücklicherweise nicht so hänfig vor, als er von den Angeklagten vorgeschützt wird, und über die Beschränkung der letztern habe ich mich schon ausgesprochen. Man kann auch gern zugeben, daß es seine Bedenken habe, mit dein Entwurf von 1881 nach fremde» Vorbildern aus dem Begehen einer Strafthat im trunkenen Zustand ein eignes selbständiges Vergehen zu bilden, wie dies in den über den gedachten Entwurf gepflogenen Neichstagsverhandlnngen der verstorbene Genernlstants- anwalt Schwarze zu Dresden überzeugend hervorhob. Aber mau kann in vollster llbcreinstimnuing mit der heutigen Strafrechtswissenschaft annehmen, daß der fahrlässig gehandelt hat, der sich nicht vor einem Zustande hütete, von dem er sich sagen mußte, daß er dann nicht ganz Herr seiner Entschließungen sein würde, und kann deshalb die That als mit Fahrlässigkeit begangen bestrafen, wobei mau die aus der Fahrlässigkeit folgende Minderung der Strnfbarkeit nicht zu weit auszudehnen brauchte. In dieser Richtung würde es also vielleicht nnr einer Einwirkung ans unsre Gerichtsbehörden, gegenüber der Staatsanwalt¬ schaft durch die Justizverwaltung, gegenüber den Gerichten dnrch die höchsten Gerichtshöfe bedürfen. Daß aber auch die Fahrlässigkeit auszuschließen sein dürfte, wenn sich jemand absichtlich betrunken hat, um die Strafthat zu be¬ gehen, sich absichtlich „Mut" angetrunken hat, bedarf wohl keiner Bemerkung. Sollten nun auch für die im trunkenen Zustande vollbrachten Thaten die im Entwurf von 1881 vorgesehenen Strafschärfnngen eingeführt werden, dann würde es einer Ergänzung des Strafgesetzbuchs bedürfen. Würde derartiges beliebt, dann könnte mau freilich vielleicht die Frage aufwerfen, ob nicht die Strafschärfung dnrch Fasten auch auf andre Strafthateu, insbesondre auf die mit besonderer Roheit verübten, auszudehnen wäre. Gehen wir nnn zu den Mittel« über, die dein übermäßigen Trinken vor¬ beugen sollen. Auch diese zerfallen wieder in zwei Gruppen, in solche, die vorzugsweise die Verkaufsstellen von Getränken im Auge haben, und in solche, die sich in erster Linie gegen den Trinker richten. In beiden Richtungen hat die Petitionskommission des Reichstags 1885 Wünsche ausgesprochen, und es sind zahlreiche Polizeiverordnnngen ergangen, wie anch die Gesetzgebung nicht ganz unthätig war. Bei der ersten Gruppe müssen wir vor allen der Gewerbeordnung ge¬ denken, die die Landesregierungen zu der Bestimmung ermächtigt, daß die Erlaubnis zum Ausschenken von Spirituosen oder zum Kleinhandel damit allerorten und die Erlaubnis zum Betriebe der Gastwirschaft oder zum Aus¬ schenken von geistigen Getränken außer den Spirituosen in Städten mit einer Einwohnerzahl bis zu 15000 Köpfen überhaupt und in größeren Städten, falls es für diese durch Ortsstatut festgesetzt worden ist, vom Nachweis eiues

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/118>, abgerufen am 05.02.2025.