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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr.

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wird. Man hat deshalb diesem Übermaß auf verschiedne Weise zu steuern
versucht, durch Vereiusthütigkeit, durch Polizeivervrduuugen, jn sogar auf dem
Wege der Reichsgesetzgebung. So hat die Reichsregiernng am 2Z. März
dem Äieichstage den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Bestrafung der Trunken¬
heit vorgelegt, der für die nicht unverschuldete, öffentliche, ärgerniserregende
Trunkenheit Strafe androhte, jeden, der in einem nicht unverschuldeten Zustande
von Trunkenheit eine Strafthat begeht, mit einer der auf diese im nüchternen
Zustande verübte That gesetzten Strafe entsprechend abgemessnen Strafe belegte,
auch für die Strafen wegen Trunkenheit Schärfung durch Faste" und sür die
wegen Trunkenheit bestraften Personen Einsperrung in ein Korrektioilshcm6
einführen wollten. Dieser Entwurf wurde in einer Kommission begrabe".
Neu angeregt wurde die Sache durch zahlreiche Petitionen, die der Vorstand
des deutscheu Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, die Kreissynode
Friedland in Ostpreußen, der Vorstand des Schleswig-holsteinischen Prvvinzial-
vereins zur Bekämpfung des Mißbrauchs geistiger Getränke, der Zentralver¬
band der evangelisch-christlichen Euthaltsanikeitsgesellschaften in Deutschland zur
Bekämpfung der Trunksucht u. n. denn Reichstag überreichten, und über die
der Abgeordnete Struckmann im nennen der Petitivnskommifsivn am 3. März
1885 ausführlich berichtete, ohne daß die Sache im Plenum des Reichstags
zur Verhandlung gelangt wäre. Doch hat die Reichsregiermig die Anträge
der Petitiouskommissivu in Erwägung genommen.

Wenn ich im nachfolgenden die von den verschiediien Seiten gemachte"
Versuche oder Vorschläge einer eingehenden Prüfuiig unterziehe, so schließe ich
vor allen Dingen die Bestrebungen der Mäßigkeitsvereine aus den 1840er
Jahren von meiner Vetrachtnug ans, da diese Vereine mit ihrem Verlangen
vollständiger Enthaltsamkeit von allen geistigen oder doch von allen alkohol¬
haltigen Getränken entschieden zu weit gehen. Nach maßgebender ärztlicher
Ansicht ist der Genuß gegohrener Getränke ein allgemeines Bedürfnis der
hente lebende" Menschen. Anderseits lehne ich auch vollständig den Stand¬
punkt derer ub, die es als eins der Hauptgrundrechte el"es guten Deutsche"
ansetzn, sich recht gründlich zu betrinken, und die Störung in der Ausübung
dieses Rechts als etwas höchst lächerliches oder als eine Handlung der äußerste"
Reaktiv" bezeichnen, wie dies in den Neichstagsverhnndluuge" über den Ent¬
wurf von 1881 zum Teil in wenig gewählter Weise a" den Tag gelegt wurde.
Ich lasse es auch unberiicksichtigt, was man in andern Ländern gegen den
Mißbrauch geistiger Getränke zu thun für nötig hielt, andre Länder haben
andre Sitten und andre Bedürfnisse, und wenn deshalb in Nordamerika die
Temperenzgesetze, in England die Heilsarmee segensreich wirken können, so
werden zwar unsre praktischen Vettern jenseits des Wassers schon selbst um
besten wissen, was ihnen frommt, wir wolle" aber n"fre Angelegenheiten nach
unsern eignen Bedürfnissen ordnen. Auch die ans dem hiernach noch übrig


wird. Man hat deshalb diesem Übermaß auf verschiedne Weise zu steuern
versucht, durch Vereiusthütigkeit, durch Polizeivervrduuugen, jn sogar auf dem
Wege der Reichsgesetzgebung. So hat die Reichsregiernng am 2Z. März
dem Äieichstage den Entwurf eines Gesetzes, betreffend die Bestrafung der Trunken¬
heit vorgelegt, der für die nicht unverschuldete, öffentliche, ärgerniserregende
Trunkenheit Strafe androhte, jeden, der in einem nicht unverschuldeten Zustande
von Trunkenheit eine Strafthat begeht, mit einer der auf diese im nüchternen
Zustande verübte That gesetzten Strafe entsprechend abgemessnen Strafe belegte,
auch für die Strafen wegen Trunkenheit Schärfung durch Faste» und sür die
wegen Trunkenheit bestraften Personen Einsperrung in ein Korrektioilshcm6
einführen wollten. Dieser Entwurf wurde in einer Kommission begrabe».
Neu angeregt wurde die Sache durch zahlreiche Petitionen, die der Vorstand
des deutscheu Vereins gegen den Mißbrauch geistiger Getränke, die Kreissynode
Friedland in Ostpreußen, der Vorstand des Schleswig-holsteinischen Prvvinzial-
vereins zur Bekämpfung des Mißbrauchs geistiger Getränke, der Zentralver¬
band der evangelisch-christlichen Euthaltsanikeitsgesellschaften in Deutschland zur
Bekämpfung der Trunksucht u. n. denn Reichstag überreichten, und über die
der Abgeordnete Struckmann im nennen der Petitivnskommifsivn am 3. März
1885 ausführlich berichtete, ohne daß die Sache im Plenum des Reichstags
zur Verhandlung gelangt wäre. Doch hat die Reichsregiermig die Anträge
der Petitiouskommissivu in Erwägung genommen.

Wenn ich im nachfolgenden die von den verschiediien Seiten gemachte»
Versuche oder Vorschläge einer eingehenden Prüfuiig unterziehe, so schließe ich
vor allen Dingen die Bestrebungen der Mäßigkeitsvereine aus den 1840er
Jahren von meiner Vetrachtnug ans, da diese Vereine mit ihrem Verlangen
vollständiger Enthaltsamkeit von allen geistigen oder doch von allen alkohol¬
haltigen Getränken entschieden zu weit gehen. Nach maßgebender ärztlicher
Ansicht ist der Genuß gegohrener Getränke ein allgemeines Bedürfnis der
hente lebende» Menschen. Anderseits lehne ich auch vollständig den Stand¬
punkt derer ub, die es als eins der Hauptgrundrechte el»es guten Deutsche»
ansetzn, sich recht gründlich zu betrinken, und die Störung in der Ausübung
dieses Rechts als etwas höchst lächerliches oder als eine Handlung der äußerste»
Reaktiv» bezeichnen, wie dies in den Neichstagsverhnndluuge» über den Ent¬
wurf von 1881 zum Teil in wenig gewählter Weise a» den Tag gelegt wurde.
Ich lasse es auch unberiicksichtigt, was man in andern Ländern gegen den
Mißbrauch geistiger Getränke zu thun für nötig hielt, andre Länder haben
andre Sitten und andre Bedürfnisse, und wenn deshalb in Nordamerika die
Temperenzgesetze, in England die Heilsarmee segensreich wirken können, so
werden zwar unsre praktischen Vettern jenseits des Wassers schon selbst um
besten wissen, was ihnen frommt, wir wolle» aber n»fre Angelegenheiten nach
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204730/115>, abgerufen am 05.02.2025.