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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Goethe- und Schillerhetzer

gartnerscher Schmutzforschung. Gleichwohl ist eine Ehrenrettung daraus ge¬
worden, wenn man um sieht, was dieser wohlwollende Biograph mit seiner
feinen Nase darüber schließlich beizubringen weiß. Daß das Verhältnis eine
Ehe war, tritt völlig in den Hintergrund, von der kirchlichen Weihe erfährt
man kaum. Eine naturalistische Skizze für sich bildet natürlich August, "der
Sohle der Sünde." Des gemeinsamen traurigen Loses der Söhne großer
Männer wird uicht gedacht. Bewunderuswert ist hier wie überall, von wie
weit her sich Baumgartner Material zu beschaffen weiß, wenn es gilt, Schmutz
ans Tageslicht zu fördern. Es find nur leider auch in anderen Sinne trübe
Quellen, auf die er angewiesen ist. Sogar auf die reine Gestalt von Goethes
Schwiegertochter wird ohne Spur von Beleg eine Handvoll -- geworfen. Wie
kleinlich, wie erbärmlich macht sich "der große Erotiker" hier im Hauskleids!
Ein nörgelnder, grämlicher, abgelebter Mummelgreis. Und dabei immer so
lächerlich verliebt! Seine Stellung als Theaterdirektor, und die Beziehungen
des Herzogs zu ihm in diesem Punkte schillern in einem Lichte, das scholl
uicht mehr zweideutig ist. Das ganze Verhältnis zwischen Goethe und Karl
August ist von Anfang an darauf zurecht geschnitten. Der Cynismus giebt
sich hier ohne alle Maske, selbst der edlen Herzogin gegenüber. Der "kühne
Streber" vou Frankfurt soll hier offenbar in dem eigeirtlicheu Geheimnis feiner
höfischen Erfolge getroffen werden. Goethes Verdienste als Staatsmann werden
in der Weise gewürdigt, daß er als ein unwissender Mensch geschildert wird,
der Rivalen verdrängt und "in jeden Quark seine Nase steckt." "Ein Staats¬
mann war er nicht." Den Aufschwung der Nation hat er begeifert, "Des
Epimenides Erwachen" erst geschrieben, als für seine Eitelkeit etwas heraus¬
kam. Die Rechte des Volkes hat er (hört, hört!) mit Füßen getreten. Dies
wird belegt -- durch den kostbaren Schwabenstreich des neugebackenen Her¬
zoglich Weimarischen konstitutionellen Landtags,- von Goethe für seine Ver¬
wendung des auf ihn fallenden Teils des Kültusbudgets schleunigst Nechnungs-
ablegmig zu verlangen. Der Historiker Luden hat die höchst unkonstitutionelle
Rechnungsablegmlg Goethes der nunmehr parlamentarischeren Nachwelt über¬
liefert. Sie lautete: Einnahme 000; Ausgabe 000; folglich bleibt in der.Kasse
x Thaler. Unterschrift: Großherzogliche Immediatkommission für Kunst und
Wissenschaft. Goethe. Die Großherzogin selber mußte sich ins Mittel legen, um
den empörten Weimarischen Volksvertretern begreiflich zu machen, daß es sehr
viele Volksrechte, aber nur einen Goethe gebe. Man sieht übrigens, nach wie
maimigfachen Seiten das Buch seine Netze auswirft. Sogar nach einer, nach der
man es am wenigsten vermuten sollte: nach der Seite der Wissenschaft. Goethes
"ans Kindische grenzende Dilettanterieen in lvissenschaftlichen Dingen" werden
der ganzen Verachtung würdiger Fachgelehrten und Eiuzelforscher immer und
immer wieder anempfohlen. Der Ärmste! Nach fast einem halben Jahrhundert
gelingt es ihm endlich, daß seine Abhmldlnng über den Zwischenknochen in den


Goethe- und Schillerhetzer

gartnerscher Schmutzforschung. Gleichwohl ist eine Ehrenrettung daraus ge¬
worden, wenn man um sieht, was dieser wohlwollende Biograph mit seiner
feinen Nase darüber schließlich beizubringen weiß. Daß das Verhältnis eine
Ehe war, tritt völlig in den Hintergrund, von der kirchlichen Weihe erfährt
man kaum. Eine naturalistische Skizze für sich bildet natürlich August, „der
Sohle der Sünde." Des gemeinsamen traurigen Loses der Söhne großer
Männer wird uicht gedacht. Bewunderuswert ist hier wie überall, von wie
weit her sich Baumgartner Material zu beschaffen weiß, wenn es gilt, Schmutz
ans Tageslicht zu fördern. Es find nur leider auch in anderen Sinne trübe
Quellen, auf die er angewiesen ist. Sogar auf die reine Gestalt von Goethes
Schwiegertochter wird ohne Spur von Beleg eine Handvoll — geworfen. Wie
kleinlich, wie erbärmlich macht sich „der große Erotiker" hier im Hauskleids!
Ein nörgelnder, grämlicher, abgelebter Mummelgreis. Und dabei immer so
lächerlich verliebt! Seine Stellung als Theaterdirektor, und die Beziehungen
des Herzogs zu ihm in diesem Punkte schillern in einem Lichte, das scholl
uicht mehr zweideutig ist. Das ganze Verhältnis zwischen Goethe und Karl
August ist von Anfang an darauf zurecht geschnitten. Der Cynismus giebt
sich hier ohne alle Maske, selbst der edlen Herzogin gegenüber. Der „kühne
Streber" vou Frankfurt soll hier offenbar in dem eigeirtlicheu Geheimnis feiner
höfischen Erfolge getroffen werden. Goethes Verdienste als Staatsmann werden
in der Weise gewürdigt, daß er als ein unwissender Mensch geschildert wird,
der Rivalen verdrängt und „in jeden Quark seine Nase steckt." „Ein Staats¬
mann war er nicht." Den Aufschwung der Nation hat er begeifert, „Des
Epimenides Erwachen" erst geschrieben, als für seine Eitelkeit etwas heraus¬
kam. Die Rechte des Volkes hat er (hört, hört!) mit Füßen getreten. Dies
wird belegt — durch den kostbaren Schwabenstreich des neugebackenen Her¬
zoglich Weimarischen konstitutionellen Landtags,- von Goethe für seine Ver¬
wendung des auf ihn fallenden Teils des Kültusbudgets schleunigst Nechnungs-
ablegmig zu verlangen. Der Historiker Luden hat die höchst unkonstitutionelle
Rechnungsablegmlg Goethes der nunmehr parlamentarischeren Nachwelt über¬
liefert. Sie lautete: Einnahme 000; Ausgabe 000; folglich bleibt in der.Kasse
x Thaler. Unterschrift: Großherzogliche Immediatkommission für Kunst und
Wissenschaft. Goethe. Die Großherzogin selber mußte sich ins Mittel legen, um
den empörten Weimarischen Volksvertretern begreiflich zu machen, daß es sehr
viele Volksrechte, aber nur einen Goethe gebe. Man sieht übrigens, nach wie
maimigfachen Seiten das Buch seine Netze auswirft. Sogar nach einer, nach der
man es am wenigsten vermuten sollte: nach der Seite der Wissenschaft. Goethes
„ans Kindische grenzende Dilettanterieen in lvissenschaftlichen Dingen" werden
der ganzen Verachtung würdiger Fachgelehrten und Eiuzelforscher immer und
immer wieder anempfohlen. Der Ärmste! Nach fast einem halben Jahrhundert
gelingt es ihm endlich, daß seine Abhmldlnng über den Zwischenknochen in den


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[0084] Goethe- und Schillerhetzer gartnerscher Schmutzforschung. Gleichwohl ist eine Ehrenrettung daraus ge¬ worden, wenn man um sieht, was dieser wohlwollende Biograph mit seiner feinen Nase darüber schließlich beizubringen weiß. Daß das Verhältnis eine Ehe war, tritt völlig in den Hintergrund, von der kirchlichen Weihe erfährt man kaum. Eine naturalistische Skizze für sich bildet natürlich August, „der Sohle der Sünde." Des gemeinsamen traurigen Loses der Söhne großer Männer wird uicht gedacht. Bewunderuswert ist hier wie überall, von wie weit her sich Baumgartner Material zu beschaffen weiß, wenn es gilt, Schmutz ans Tageslicht zu fördern. Es find nur leider auch in anderen Sinne trübe Quellen, auf die er angewiesen ist. Sogar auf die reine Gestalt von Goethes Schwiegertochter wird ohne Spur von Beleg eine Handvoll — geworfen. Wie kleinlich, wie erbärmlich macht sich „der große Erotiker" hier im Hauskleids! Ein nörgelnder, grämlicher, abgelebter Mummelgreis. Und dabei immer so lächerlich verliebt! Seine Stellung als Theaterdirektor, und die Beziehungen des Herzogs zu ihm in diesem Punkte schillern in einem Lichte, das scholl uicht mehr zweideutig ist. Das ganze Verhältnis zwischen Goethe und Karl August ist von Anfang an darauf zurecht geschnitten. Der Cynismus giebt sich hier ohne alle Maske, selbst der edlen Herzogin gegenüber. Der „kühne Streber" vou Frankfurt soll hier offenbar in dem eigeirtlicheu Geheimnis feiner höfischen Erfolge getroffen werden. Goethes Verdienste als Staatsmann werden in der Weise gewürdigt, daß er als ein unwissender Mensch geschildert wird, der Rivalen verdrängt und „in jeden Quark seine Nase steckt." „Ein Staats¬ mann war er nicht." Den Aufschwung der Nation hat er begeifert, „Des Epimenides Erwachen" erst geschrieben, als für seine Eitelkeit etwas heraus¬ kam. Die Rechte des Volkes hat er (hört, hört!) mit Füßen getreten. Dies wird belegt — durch den kostbaren Schwabenstreich des neugebackenen Her¬ zoglich Weimarischen konstitutionellen Landtags,- von Goethe für seine Ver¬ wendung des auf ihn fallenden Teils des Kültusbudgets schleunigst Nechnungs- ablegmig zu verlangen. Der Historiker Luden hat die höchst unkonstitutionelle Rechnungsablegmlg Goethes der nunmehr parlamentarischeren Nachwelt über¬ liefert. Sie lautete: Einnahme 000; Ausgabe 000; folglich bleibt in der.Kasse x Thaler. Unterschrift: Großherzogliche Immediatkommission für Kunst und Wissenschaft. Goethe. Die Großherzogin selber mußte sich ins Mittel legen, um den empörten Weimarischen Volksvertretern begreiflich zu machen, daß es sehr viele Volksrechte, aber nur einen Goethe gebe. Man sieht übrigens, nach wie maimigfachen Seiten das Buch seine Netze auswirft. Sogar nach einer, nach der man es am wenigsten vermuten sollte: nach der Seite der Wissenschaft. Goethes „ans Kindische grenzende Dilettanterieen in lvissenschaftlichen Dingen" werden der ganzen Verachtung würdiger Fachgelehrten und Eiuzelforscher immer und immer wieder anempfohlen. Der Ärmste! Nach fast einem halben Jahrhundert gelingt es ihm endlich, daß seine Abhmldlnng über den Zwischenknochen in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/84>, abgerufen am 28.09.2024.