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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Verhandlungen der kaiserlichen Leopoldinischen Akademie der Naturforscher nebst
ein paar Briefen an den Botaniker Nees von Esenbeck abgedruckt wird -- eine
Gunst, die er sich gewiß ein Menschenalter früher hätte erwerben können, wenn
er tren und schlicht und mit standhaften Fleiß, wie hundert andre Gelehrte, sich
einem bestimmten Fache gewidmet hätte. Ja, es ist schade. Aus dem Manne
hätte vielleicht etwas werden können, wenn er sich für Osteologie in Jena oder
allenfalls für Physiologie in Göttingen habilitirt hätte und statt den Werther,
den Faust und ähnliche "belletristische Sachen" zu veröffentlichen, lieber ein
Kompendium der Anatomie geschrieben oder Experimente mit Froschschenkeln
angestellt hätte. Dann wäre er "über die vier Spezies der Algebra hinaus¬
gekommen", was ihm nie gelang, und hätte sich gehütet, sich durch seine An¬
griffe auf Newton unsterblich -- lächerlich zu machen. Er hätte fein Gretchen,
die swMa ra^iW 6o<ztb.kÄrm (nach Cardueci), heiraten können und wäre
ganz sicher Akademiker geworden, wenn er auch die Luftpumpe uicht erfunden
hat. So aber war der Unglückselige nicht einmal Mitglied einer Akademie --
prvn xuäor!

Wir könnten noch eine geraume Zeit so fortfahren, aber wir denken, es
ist genug mit diesen Proben jesuitischer "Goetheverehrung." Es ist, wie gesagt,
eine ganz eigne Kunst darauf verwandt, diese Blüten litterarhistorischer Wahr¬
heit und Objektivität so zum Strauß zu ordnen, daß sie niemals den Eindruck
völliger Parteilichkeit und Gehässigkeit machen. Freilich der Geruch wird da¬
durch nicht besser, sondern im Gegenteil noch abscheulicher. Wer diesen Strauß
einer dreibändigen, schön gelehrt aufgeschmückten Einzelbehandlung eines so viel
besprochenen Gegenstandes zur Hand nimmt, der muß die Hände über den Kopf
zusammenschlagen, welchen -- Duft man ihm bisher als die üsrir uns alles
Erdengeschmacks angepriesen, welchen Rüpel mau da zum großen, ja größten
Manne gemacht hat. Und ein je ruhigeres, ernsteres Gesicht der Darbietende
'nacht, je mehr er scheinbar bestrebt ist, ans den herrschenden Ton der Be¬
wunderung einzugehen, "so weit es irgend möglich ist," einen desto größern
"Eklat" muß er erzielen, mit desto mehr Entrüstung wird sein Publi-
kum die dreiste konventionelle Lüge zurückweisen. Freilich, wenn es einiger¬
maßen kritisch wäre, müßte es bemerken, ein wie freventliches Spiel hier mit
Urteil und Auffassung getrieben wird, wie meistens die Wiedergabe des all¬
gemeinen die besondere Darstellung des Paters Baumgartner geradezu auf¬
hebt, oder umgekehrt seine Auffassung im einzelnen ihm geradezu verbieten muß,
w die überkommenen Meinungen hierüber einzutreten. Wie kann man in einem
Atem Dichtungen hohen litterarischen Wert zusprechen, die sich als "Lücken¬
büßer", Banalitäten und traurige Eitelkeitskrümereien herausstellen, wie kann
man einen Geist als allumfassend hinstellen, dessen völlige Unzulänglichkeit auf
allen Gebieten man in jeden: Falle bloßstellen zu können glaubt, wie kann man
einer Persönlichkeit höchste Einwirkung auf die Welt, Überlegenheit und geradezu


Verhandlungen der kaiserlichen Leopoldinischen Akademie der Naturforscher nebst
ein paar Briefen an den Botaniker Nees von Esenbeck abgedruckt wird — eine
Gunst, die er sich gewiß ein Menschenalter früher hätte erwerben können, wenn
er tren und schlicht und mit standhaften Fleiß, wie hundert andre Gelehrte, sich
einem bestimmten Fache gewidmet hätte. Ja, es ist schade. Aus dem Manne
hätte vielleicht etwas werden können, wenn er sich für Osteologie in Jena oder
allenfalls für Physiologie in Göttingen habilitirt hätte und statt den Werther,
den Faust und ähnliche „belletristische Sachen" zu veröffentlichen, lieber ein
Kompendium der Anatomie geschrieben oder Experimente mit Froschschenkeln
angestellt hätte. Dann wäre er „über die vier Spezies der Algebra hinaus¬
gekommen", was ihm nie gelang, und hätte sich gehütet, sich durch seine An¬
griffe auf Newton unsterblich — lächerlich zu machen. Er hätte fein Gretchen,
die swMa ra^iW 6o<ztb.kÄrm (nach Cardueci), heiraten können und wäre
ganz sicher Akademiker geworden, wenn er auch die Luftpumpe uicht erfunden
hat. So aber war der Unglückselige nicht einmal Mitglied einer Akademie —
prvn xuäor!

Wir könnten noch eine geraume Zeit so fortfahren, aber wir denken, es
ist genug mit diesen Proben jesuitischer „Goetheverehrung." Es ist, wie gesagt,
eine ganz eigne Kunst darauf verwandt, diese Blüten litterarhistorischer Wahr¬
heit und Objektivität so zum Strauß zu ordnen, daß sie niemals den Eindruck
völliger Parteilichkeit und Gehässigkeit machen. Freilich der Geruch wird da¬
durch nicht besser, sondern im Gegenteil noch abscheulicher. Wer diesen Strauß
einer dreibändigen, schön gelehrt aufgeschmückten Einzelbehandlung eines so viel
besprochenen Gegenstandes zur Hand nimmt, der muß die Hände über den Kopf
zusammenschlagen, welchen — Duft man ihm bisher als die üsrir uns alles
Erdengeschmacks angepriesen, welchen Rüpel mau da zum großen, ja größten
Manne gemacht hat. Und ein je ruhigeres, ernsteres Gesicht der Darbietende
'nacht, je mehr er scheinbar bestrebt ist, ans den herrschenden Ton der Be¬
wunderung einzugehen, „so weit es irgend möglich ist," einen desto größern
"Eklat" muß er erzielen, mit desto mehr Entrüstung wird sein Publi-
kum die dreiste konventionelle Lüge zurückweisen. Freilich, wenn es einiger¬
maßen kritisch wäre, müßte es bemerken, ein wie freventliches Spiel hier mit
Urteil und Auffassung getrieben wird, wie meistens die Wiedergabe des all¬
gemeinen die besondere Darstellung des Paters Baumgartner geradezu auf¬
hebt, oder umgekehrt seine Auffassung im einzelnen ihm geradezu verbieten muß,
w die überkommenen Meinungen hierüber einzutreten. Wie kann man in einem
Atem Dichtungen hohen litterarischen Wert zusprechen, die sich als „Lücken¬
büßer", Banalitäten und traurige Eitelkeitskrümereien herausstellen, wie kann
man einen Geist als allumfassend hinstellen, dessen völlige Unzulänglichkeit auf
allen Gebieten man in jeden: Falle bloßstellen zu können glaubt, wie kann man
einer Persönlichkeit höchste Einwirkung auf die Welt, Überlegenheit und geradezu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/85>, abgerufen am 26.06.2024.