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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Leibniz als Volkswirt

Abgesehen von der Kluft, die auf diese Weise zwischen Gelehrten und Um¬
gekehrten entstehen muß, entgeht der deutschen Litteratur die bildende und ver¬
jüngende Kraft der Wissenschaft, und diese selbst wird nutzlos für das Volk.
"Was hilft uns die Brille in ihrem Futteral, wenn niemand dadurch siehet!"
ruft Leibniz aus. Männer von Verstand fühlen sich durch die geistlosen litte¬
rarischen Machwerke abgestoßen und suchen ästhetische Befriedigung entweder
auf Reisen oder in italienischen und französischen Büchern. Sie schätzen nur
noch das Ausländische und meinen, daß unser Volk und unsre Sprache zu
nichts gleichem fähig sei. Und doch ist das uicht der Fall; mau lese nur
Luthers Bibel, und mau wird in ihr an der deutschen Sprache eine "recht
heroische und virgilianische Majestät" entdecken. Wie die Vernachlässigung der
Muttersprache ein begriffsmäßiges und logisches Sprechen zersetzt und zerstört,
so bringt ihre Übung ein vernunftmäßiges Denken hervor, wenn sie zum Aus¬
druck einer wissenschaftlichen Gedankendarstellnug dient. Das kann man recht
deutlich wahrnehmen, wenn man die gewandte, klare und verständige Nede-
und Unterhaltungsgabe der Franzosen mit der gedankenlosen und schwülstigen
Sprechweise der Deutschen vergleicht. Es kommt darauf an , den Deutschen
wieder Geschmack an ihrer Litteratur und Liebe zu ihrer Sprache zu geben.
"Und weil aus Obenstehendem soviel erscheinet, daß vor allen Dingen die
Gemüter aufgemuntert und der Verstand erweckt werden müßte, als der aller
Tugend und Tapferkeit Seele ist, so wäre dies meine unvorgreifliche Meinung,
es sollten einige wohlmeinende Personen zusammentreten und unter höherem
Schutz eine teutschgesinnte Gesellschaft stiften, deren Absehen auf alles das¬
jenige gerichtet fein soll, so den deutscheu Ruhm erhalten oder auch wieder
aufrichten könne, und solches zwar in denen Dingen, so Verstand, Gelehrsam¬
keit und Beredsamkeit einigermaßen betreffen können, und dieweil solches alles
vornehmlich in der Sprache erscheinet, als welche ist eine Dolmetscherin des
Gemütes und eine Behälterin der Wissenschaft, so würde unter andern anch
dahin zu trachten fein, wie allerhand nachdenkliche, nützliche, anch annehmliche
Keruschriften in deutscher Sprache verfertigt werdeu möchten, damit der Lauf
der Barbarei gezüumet, und die in den Tag hinein schreiben, beschämet werden
mögen. Da man nun dergestalt in kurzer Zeit die Wahl herrlicher deutscher
Schriften haben sollte, so bin ich versichert, daß gar bald die Hof- und Welt¬
leute, auch das Frauenzimmer selbst, und was nur sinnreich und wissens¬
begierig, eine große Freude daran haben würde. Dies wird den Gemütern
gleichsam ein neues Leben eingießen, auch zu einer Öffnung des Verstandes,
Zeitigung der bei uns sonst gar zu spät lernenden Jngend, Aufmunterung des
deutschen Mutes, Ausmusterung des fremden Affenwerkes, Erfindung eigner
Bequemlichkeit, Ausbreitung und Vermehrung der Wissenschaften, Aufnehmen
und Beförderung der rechten gelehrten und tugendhaften Personen und mit
einem Wort zum Ruhm und Wohlfahrt deutscher Nation gereichen."


Leibniz als Volkswirt

Abgesehen von der Kluft, die auf diese Weise zwischen Gelehrten und Um¬
gekehrten entstehen muß, entgeht der deutschen Litteratur die bildende und ver¬
jüngende Kraft der Wissenschaft, und diese selbst wird nutzlos für das Volk.
„Was hilft uns die Brille in ihrem Futteral, wenn niemand dadurch siehet!"
ruft Leibniz aus. Männer von Verstand fühlen sich durch die geistlosen litte¬
rarischen Machwerke abgestoßen und suchen ästhetische Befriedigung entweder
auf Reisen oder in italienischen und französischen Büchern. Sie schätzen nur
noch das Ausländische und meinen, daß unser Volk und unsre Sprache zu
nichts gleichem fähig sei. Und doch ist das uicht der Fall; mau lese nur
Luthers Bibel, und mau wird in ihr an der deutschen Sprache eine „recht
heroische und virgilianische Majestät" entdecken. Wie die Vernachlässigung der
Muttersprache ein begriffsmäßiges und logisches Sprechen zersetzt und zerstört,
so bringt ihre Übung ein vernunftmäßiges Denken hervor, wenn sie zum Aus¬
druck einer wissenschaftlichen Gedankendarstellnug dient. Das kann man recht
deutlich wahrnehmen, wenn man die gewandte, klare und verständige Nede-
und Unterhaltungsgabe der Franzosen mit der gedankenlosen und schwülstigen
Sprechweise der Deutschen vergleicht. Es kommt darauf an , den Deutschen
wieder Geschmack an ihrer Litteratur und Liebe zu ihrer Sprache zu geben.
„Und weil aus Obenstehendem soviel erscheinet, daß vor allen Dingen die
Gemüter aufgemuntert und der Verstand erweckt werden müßte, als der aller
Tugend und Tapferkeit Seele ist, so wäre dies meine unvorgreifliche Meinung,
es sollten einige wohlmeinende Personen zusammentreten und unter höherem
Schutz eine teutschgesinnte Gesellschaft stiften, deren Absehen auf alles das¬
jenige gerichtet fein soll, so den deutscheu Ruhm erhalten oder auch wieder
aufrichten könne, und solches zwar in denen Dingen, so Verstand, Gelehrsam¬
keit und Beredsamkeit einigermaßen betreffen können, und dieweil solches alles
vornehmlich in der Sprache erscheinet, als welche ist eine Dolmetscherin des
Gemütes und eine Behälterin der Wissenschaft, so würde unter andern anch
dahin zu trachten fein, wie allerhand nachdenkliche, nützliche, anch annehmliche
Keruschriften in deutscher Sprache verfertigt werdeu möchten, damit der Lauf
der Barbarei gezüumet, und die in den Tag hinein schreiben, beschämet werden
mögen. Da man nun dergestalt in kurzer Zeit die Wahl herrlicher deutscher
Schriften haben sollte, so bin ich versichert, daß gar bald die Hof- und Welt¬
leute, auch das Frauenzimmer selbst, und was nur sinnreich und wissens¬
begierig, eine große Freude daran haben würde. Dies wird den Gemütern
gleichsam ein neues Leben eingießen, auch zu einer Öffnung des Verstandes,
Zeitigung der bei uns sonst gar zu spät lernenden Jngend, Aufmunterung des
deutschen Mutes, Ausmusterung des fremden Affenwerkes, Erfindung eigner
Bequemlichkeit, Ausbreitung und Vermehrung der Wissenschaften, Aufnehmen
und Beförderung der rechten gelehrten und tugendhaften Personen und mit
einem Wort zum Ruhm und Wohlfahrt deutscher Nation gereichen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/78>, abgerufen am 29.06.2024.