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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Leibniz als Volkswirt

Menschen nur will, um die Menschen zu einer höhern Stufe der Sittlichkeit
zu erheben. Und hierin wird nach seiner Meinung eine richtig geleitete Jugend¬
erziehung stets das Beste leisten. Doch kann ich auf die pädagogischen An¬
sichten Leibnizens, die für die nachfolgende Zeit namentlich in der Betonung
des Unterrichts in den Realien und in den körperlichen Übungen epochemachend
gewesen sind, hier nicht näher eingehen, da sie ein Kapitel für sich bilden. Nur
das verdient eine nähere Beleuchtung, wie er anch auf die Weiterbildung der
Erwachsenen, die Heranziehung des gemeinen Mannes zum gesinnungstüchtigen
Bürger, die Kräftigung des Bolkscharakters, die Wiederherstellung der rechten
deutschen Art bedacht war.

Tiefsinnige und beherzigensiverte Gedanken hat er in dieser Beziehung
in mehreren Aufsätzen nach dem Abschluß des Friedens zu Ryswijk nieder¬
gelegt. Geschrieben mit einer warmen Begeisterung für deutsches Land, deutsches
Volk, deutsche Sprache, sind sie mit vollen: Rechte als ein Appell an den
Patriotismus der Deutschen bezeichnet worden. In einer Zeit, wo mancher
vaterlandsliebende Mann an einer gedeihlichen Entwicklung der deutschen Zu¬
kunft zu verzweifeln anfing, hat er mannhaft die Aufrechterhaltung des Deutsch¬
tums vertreten. Er war überzeugt, daß an all dem Unglück Deutschlands der
Mangel echt deutscher Deut- und Empfindungsweise schuld sei. "Die Liebe
des Vaterlandes," sagt er, "ist nicht auf einfältiger Leute Einbildung, sondern
nuf der wahren Klugheit begründet. Ist nun ein Mensch seinem Vaterlande
verpflichtet, so sind wir es, die das werte Deutschland bewohnen, denn es ist
vor allen Ländern durch Klima, Vodenbeschaffenheit und Bvdenreichtum aus¬
gezeichnet: seine Hügel fließen mit Wein und seine Thäler triefen mit Fett."
Deutsche Gesinnung soll von neuem belebt werden dadurch, daß Herz und
Verstand des gemeinen Mannes gebildet, Lust und Liebe zur Weisheit und
Tugend erweckt und gemehrt werden.

Geht Leibniz sonst die Fürsten um Hilfe an, so schlägt er hier einen
andern Weg ein, um sein Ziel zu erreichen. Von innen heraus, durch das
Volk selbst soll die Heilung des Übels geschehen. Von Privatpersonen geleitet,
sollen Vereine zusammentreten und besonders die ungelehrten, aber Belehrung
wünschenden Leute aufnehmen, um auf diese durch Wort lind Schrift ein¬
zuwirken. Not thäte die Errichtung einer deutsche" Sprachgescllschaft, durch
welche die deutsche Sprache wieder zu Ehren gebracht würde. Es ist nicht
genug, daß, wie es die Fruchtbringende Gesellschaft anstrebt, die deutsche Sprache
von Fremdwörten gereinigt wird, sie muß auch das Gewand für einen bessern
Inhalt werden. Der Verfall der deutschen Litteratur und die Berachtnng, in
d'e sie bei Ausländern und bei den Deutschen selbst geraten ist, ist darauf
zurückzuführen, daß sie des anziehenden Stoffes entbehrt. Die deutsche Dichtung
liegt darnieder. Die Gelehrten aber glauben, ihrem Stande und ihrer Wissen¬
schaft etwas zu vergebe,,, wenn sie sich nicht der lateinischen Sprache bedienen.


Leibniz als Volkswirt

Menschen nur will, um die Menschen zu einer höhern Stufe der Sittlichkeit
zu erheben. Und hierin wird nach seiner Meinung eine richtig geleitete Jugend¬
erziehung stets das Beste leisten. Doch kann ich auf die pädagogischen An¬
sichten Leibnizens, die für die nachfolgende Zeit namentlich in der Betonung
des Unterrichts in den Realien und in den körperlichen Übungen epochemachend
gewesen sind, hier nicht näher eingehen, da sie ein Kapitel für sich bilden. Nur
das verdient eine nähere Beleuchtung, wie er anch auf die Weiterbildung der
Erwachsenen, die Heranziehung des gemeinen Mannes zum gesinnungstüchtigen
Bürger, die Kräftigung des Bolkscharakters, die Wiederherstellung der rechten
deutschen Art bedacht war.

Tiefsinnige und beherzigensiverte Gedanken hat er in dieser Beziehung
in mehreren Aufsätzen nach dem Abschluß des Friedens zu Ryswijk nieder¬
gelegt. Geschrieben mit einer warmen Begeisterung für deutsches Land, deutsches
Volk, deutsche Sprache, sind sie mit vollen: Rechte als ein Appell an den
Patriotismus der Deutschen bezeichnet worden. In einer Zeit, wo mancher
vaterlandsliebende Mann an einer gedeihlichen Entwicklung der deutschen Zu¬
kunft zu verzweifeln anfing, hat er mannhaft die Aufrechterhaltung des Deutsch¬
tums vertreten. Er war überzeugt, daß an all dem Unglück Deutschlands der
Mangel echt deutscher Deut- und Empfindungsweise schuld sei. „Die Liebe
des Vaterlandes," sagt er, „ist nicht auf einfältiger Leute Einbildung, sondern
nuf der wahren Klugheit begründet. Ist nun ein Mensch seinem Vaterlande
verpflichtet, so sind wir es, die das werte Deutschland bewohnen, denn es ist
vor allen Ländern durch Klima, Vodenbeschaffenheit und Bvdenreichtum aus¬
gezeichnet: seine Hügel fließen mit Wein und seine Thäler triefen mit Fett."
Deutsche Gesinnung soll von neuem belebt werden dadurch, daß Herz und
Verstand des gemeinen Mannes gebildet, Lust und Liebe zur Weisheit und
Tugend erweckt und gemehrt werden.

Geht Leibniz sonst die Fürsten um Hilfe an, so schlägt er hier einen
andern Weg ein, um sein Ziel zu erreichen. Von innen heraus, durch das
Volk selbst soll die Heilung des Übels geschehen. Von Privatpersonen geleitet,
sollen Vereine zusammentreten und besonders die ungelehrten, aber Belehrung
wünschenden Leute aufnehmen, um auf diese durch Wort lind Schrift ein¬
zuwirken. Not thäte die Errichtung einer deutsche» Sprachgescllschaft, durch
welche die deutsche Sprache wieder zu Ehren gebracht würde. Es ist nicht
genug, daß, wie es die Fruchtbringende Gesellschaft anstrebt, die deutsche Sprache
von Fremdwörten gereinigt wird, sie muß auch das Gewand für einen bessern
Inhalt werden. Der Verfall der deutschen Litteratur und die Berachtnng, in
d'e sie bei Ausländern und bei den Deutschen selbst geraten ist, ist darauf
zurückzuführen, daß sie des anziehenden Stoffes entbehrt. Die deutsche Dichtung
liegt darnieder. Die Gelehrten aber glauben, ihrem Stande und ihrer Wissen¬
schaft etwas zu vergebe,,, wenn sie sich nicht der lateinischen Sprache bedienen.


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[0077] Leibniz als Volkswirt Menschen nur will, um die Menschen zu einer höhern Stufe der Sittlichkeit zu erheben. Und hierin wird nach seiner Meinung eine richtig geleitete Jugend¬ erziehung stets das Beste leisten. Doch kann ich auf die pädagogischen An¬ sichten Leibnizens, die für die nachfolgende Zeit namentlich in der Betonung des Unterrichts in den Realien und in den körperlichen Übungen epochemachend gewesen sind, hier nicht näher eingehen, da sie ein Kapitel für sich bilden. Nur das verdient eine nähere Beleuchtung, wie er anch auf die Weiterbildung der Erwachsenen, die Heranziehung des gemeinen Mannes zum gesinnungstüchtigen Bürger, die Kräftigung des Bolkscharakters, die Wiederherstellung der rechten deutschen Art bedacht war. Tiefsinnige und beherzigensiverte Gedanken hat er in dieser Beziehung in mehreren Aufsätzen nach dem Abschluß des Friedens zu Ryswijk nieder¬ gelegt. Geschrieben mit einer warmen Begeisterung für deutsches Land, deutsches Volk, deutsche Sprache, sind sie mit vollen: Rechte als ein Appell an den Patriotismus der Deutschen bezeichnet worden. In einer Zeit, wo mancher vaterlandsliebende Mann an einer gedeihlichen Entwicklung der deutschen Zu¬ kunft zu verzweifeln anfing, hat er mannhaft die Aufrechterhaltung des Deutsch¬ tums vertreten. Er war überzeugt, daß an all dem Unglück Deutschlands der Mangel echt deutscher Deut- und Empfindungsweise schuld sei. „Die Liebe des Vaterlandes," sagt er, „ist nicht auf einfältiger Leute Einbildung, sondern nuf der wahren Klugheit begründet. Ist nun ein Mensch seinem Vaterlande verpflichtet, so sind wir es, die das werte Deutschland bewohnen, denn es ist vor allen Ländern durch Klima, Vodenbeschaffenheit und Bvdenreichtum aus¬ gezeichnet: seine Hügel fließen mit Wein und seine Thäler triefen mit Fett." Deutsche Gesinnung soll von neuem belebt werden dadurch, daß Herz und Verstand des gemeinen Mannes gebildet, Lust und Liebe zur Weisheit und Tugend erweckt und gemehrt werden. Geht Leibniz sonst die Fürsten um Hilfe an, so schlägt er hier einen andern Weg ein, um sein Ziel zu erreichen. Von innen heraus, durch das Volk selbst soll die Heilung des Übels geschehen. Von Privatpersonen geleitet, sollen Vereine zusammentreten und besonders die ungelehrten, aber Belehrung wünschenden Leute aufnehmen, um auf diese durch Wort lind Schrift ein¬ zuwirken. Not thäte die Errichtung einer deutsche» Sprachgescllschaft, durch welche die deutsche Sprache wieder zu Ehren gebracht würde. Es ist nicht genug, daß, wie es die Fruchtbringende Gesellschaft anstrebt, die deutsche Sprache von Fremdwörten gereinigt wird, sie muß auch das Gewand für einen bessern Inhalt werden. Der Verfall der deutschen Litteratur und die Berachtnng, in d'e sie bei Ausländern und bei den Deutschen selbst geraten ist, ist darauf zurückzuführen, daß sie des anziehenden Stoffes entbehrt. Die deutsche Dichtung liegt darnieder. Die Gelehrten aber glauben, ihrem Stande und ihrer Wissen¬ schaft etwas zu vergebe,,, wenn sie sich nicht der lateinischen Sprache bedienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/77>, abgerufen am 29.06.2024.