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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und das Slawentum

Rechte auch hier geboten, die von russischer Seite keineswegs beobachtet wird.
In Wien und Berlin ist man noch nicht auf dein Standpunkte angelangt, das
nationale Interesse über das staatliche setzend, auf fremdstaatliches Gebiet vor¬
zugehen. Man ist bei uns in dem alten wie dein jungen Deutschland seit lange
nicht mehr politisch expansiv. Unsre Politik besteht in der Verteidigung, die russische
im Angriff, wir suchen unsre nationalen Grenzen zu erhalten, das Slawentum
die seinen auf unsre Kosten auszudehnen. Denn es geht mittelbar auf unsre
.Kosten, wenn nicht nur in Böhmen und Mähren, sondern in Serbien, Ru¬
mänien, Bulgarien das Russentum an Boden gewinnt, wenn in den Ostsee¬
provinzen die deutsche Kultur zerstört, in Polen-Littauer Deutschtum und Pro¬
testantismus zugleich verfemt werden. Diese Gebiete zwischen Ostsee und Donau
hat Rußland in einer Zeit staatlicher Schwäche Mitteleuropas gewaltsam nu
sich gebracht und sucht sie jetzt ebenso gewaltsam national zu unterjochen. So
gut Rußland das national-slawische Interesse anch in fremden Staaten unter
seinen Schutz stellt, so gut wird auch für uns die Zeit kommen, das nationale
Interesse überall staatlich zu schützen, und es ist ein wesentliches Interesse
unsers Volkes, daß die gewaltigen, von buntem Völkergemisch bedeckten Ebenen
in unserm Osten nicht ausschließlich russisch werden. Das wirkliche Bedürfnis
nach Ausdehnung des Landbesitzes haben vornehmlich wir Deutsche, und nicht
Rußland. Wir sind aufs äußerste räumlich beengt, Rußland hat einen ge¬
waltigen Überfluß an freiem Raum; wir jedoch haben bisher staatlich nicht
einmal den Wunsch geäußert nach Mehrung des Raumes, während Nußland
nach allen Seiten, soweit die Natur ihm nicht Schranken zog, sich fortwährend
ausdehnt. Kürzlich hat ein russischer Professor über das Wachstum Rußlands
folgende Zahlenreihe aufgestellt:

Das Grvßfürstentum Moskau umfaßte zu Ende der Regierung von
Joan III. (1505) .... gegen 40000 Geviertmeilen
Joan IV. (1584) . ... "' 75000
Im Jahre 1613 .... " 156000
Zar Michael (1645) . . . " 225000
Alexei (1676) .264000
" ^.^^ .
Peter I. (1725) .282000
Zarin Elisabeth (1761) . .320000
" Katharina II. (1796)352000
367000Zar Alexander I. (1825) .
Gegenwärtig....." 400000

Nach der Berechnung des Gothaischen Almanachs vom Jahre 1388, die sich
auf russische Angabe" stützt, betrügt das heutige Areal Rußlands 22443660
Quadratkilometer oder ungefähr 408000 deutsche Geviertmeilen. Ganz Deutsch¬
land umfaßt 540596 Quadratkilometer oder etwa 9829 Geviertmeilen, also
weniger als den vierzigsten Teil des russischem Gebietes! Nach demselben russischen


Deutschland und das Slawentum

Rechte auch hier geboten, die von russischer Seite keineswegs beobachtet wird.
In Wien und Berlin ist man noch nicht auf dein Standpunkte angelangt, das
nationale Interesse über das staatliche setzend, auf fremdstaatliches Gebiet vor¬
zugehen. Man ist bei uns in dem alten wie dein jungen Deutschland seit lange
nicht mehr politisch expansiv. Unsre Politik besteht in der Verteidigung, die russische
im Angriff, wir suchen unsre nationalen Grenzen zu erhalten, das Slawentum
die seinen auf unsre Kosten auszudehnen. Denn es geht mittelbar auf unsre
.Kosten, wenn nicht nur in Böhmen und Mähren, sondern in Serbien, Ru¬
mänien, Bulgarien das Russentum an Boden gewinnt, wenn in den Ostsee¬
provinzen die deutsche Kultur zerstört, in Polen-Littauer Deutschtum und Pro¬
testantismus zugleich verfemt werden. Diese Gebiete zwischen Ostsee und Donau
hat Rußland in einer Zeit staatlicher Schwäche Mitteleuropas gewaltsam nu
sich gebracht und sucht sie jetzt ebenso gewaltsam national zu unterjochen. So
gut Rußland das national-slawische Interesse anch in fremden Staaten unter
seinen Schutz stellt, so gut wird auch für uns die Zeit kommen, das nationale
Interesse überall staatlich zu schützen, und es ist ein wesentliches Interesse
unsers Volkes, daß die gewaltigen, von buntem Völkergemisch bedeckten Ebenen
in unserm Osten nicht ausschließlich russisch werden. Das wirkliche Bedürfnis
nach Ausdehnung des Landbesitzes haben vornehmlich wir Deutsche, und nicht
Rußland. Wir sind aufs äußerste räumlich beengt, Rußland hat einen ge¬
waltigen Überfluß an freiem Raum; wir jedoch haben bisher staatlich nicht
einmal den Wunsch geäußert nach Mehrung des Raumes, während Nußland
nach allen Seiten, soweit die Natur ihm nicht Schranken zog, sich fortwährend
ausdehnt. Kürzlich hat ein russischer Professor über das Wachstum Rußlands
folgende Zahlenreihe aufgestellt:

Das Grvßfürstentum Moskau umfaßte zu Ende der Regierung von
Joan III. (1505) .... gegen 40000 Geviertmeilen
Joan IV. (1584) . ... „' 75000
Im Jahre 1613 .... „ 156000
Zar Michael (1645) . . . „ 225000
Alexei (1676) .264000
„ ^.^^ .
Peter I. (1725) .282000
Zarin Elisabeth (1761) . .320000
„ Katharina II. (1796)352000
367000Zar Alexander I. (1825) .
Gegenwärtig.....„ 400000

Nach der Berechnung des Gothaischen Almanachs vom Jahre 1388, die sich
auf russische Angabe« stützt, betrügt das heutige Areal Rußlands 22443660
Quadratkilometer oder ungefähr 408000 deutsche Geviertmeilen. Ganz Deutsch¬
land umfaßt 540596 Quadratkilometer oder etwa 9829 Geviertmeilen, also
weniger als den vierzigsten Teil des russischem Gebietes! Nach demselben russischen


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[0074] Deutschland und das Slawentum Rechte auch hier geboten, die von russischer Seite keineswegs beobachtet wird. In Wien und Berlin ist man noch nicht auf dein Standpunkte angelangt, das nationale Interesse über das staatliche setzend, auf fremdstaatliches Gebiet vor¬ zugehen. Man ist bei uns in dem alten wie dein jungen Deutschland seit lange nicht mehr politisch expansiv. Unsre Politik besteht in der Verteidigung, die russische im Angriff, wir suchen unsre nationalen Grenzen zu erhalten, das Slawentum die seinen auf unsre Kosten auszudehnen. Denn es geht mittelbar auf unsre .Kosten, wenn nicht nur in Böhmen und Mähren, sondern in Serbien, Ru¬ mänien, Bulgarien das Russentum an Boden gewinnt, wenn in den Ostsee¬ provinzen die deutsche Kultur zerstört, in Polen-Littauer Deutschtum und Pro¬ testantismus zugleich verfemt werden. Diese Gebiete zwischen Ostsee und Donau hat Rußland in einer Zeit staatlicher Schwäche Mitteleuropas gewaltsam nu sich gebracht und sucht sie jetzt ebenso gewaltsam national zu unterjochen. So gut Rußland das national-slawische Interesse anch in fremden Staaten unter seinen Schutz stellt, so gut wird auch für uns die Zeit kommen, das nationale Interesse überall staatlich zu schützen, und es ist ein wesentliches Interesse unsers Volkes, daß die gewaltigen, von buntem Völkergemisch bedeckten Ebenen in unserm Osten nicht ausschließlich russisch werden. Das wirkliche Bedürfnis nach Ausdehnung des Landbesitzes haben vornehmlich wir Deutsche, und nicht Rußland. Wir sind aufs äußerste räumlich beengt, Rußland hat einen ge¬ waltigen Überfluß an freiem Raum; wir jedoch haben bisher staatlich nicht einmal den Wunsch geäußert nach Mehrung des Raumes, während Nußland nach allen Seiten, soweit die Natur ihm nicht Schranken zog, sich fortwährend ausdehnt. Kürzlich hat ein russischer Professor über das Wachstum Rußlands folgende Zahlenreihe aufgestellt: Das Grvßfürstentum Moskau umfaßte zu Ende der Regierung von Joan III. (1505) .... gegen 40000 Geviertmeilen Joan IV. (1584) . ... „' 75000 Im Jahre 1613 .... „ 156000 Zar Michael (1645) . . . „ 225000 Alexei (1676) .264000 „ ^.^^ . Peter I. (1725) .282000 Zarin Elisabeth (1761) . .320000 „ Katharina II. (1796)352000 367000Zar Alexander I. (1825) . Gegenwärtig.....„ 400000 Nach der Berechnung des Gothaischen Almanachs vom Jahre 1388, die sich auf russische Angabe« stützt, betrügt das heutige Areal Rußlands 22443660 Quadratkilometer oder ungefähr 408000 deutsche Geviertmeilen. Ganz Deutsch¬ land umfaßt 540596 Quadratkilometer oder etwa 9829 Geviertmeilen, also weniger als den vierzigsten Teil des russischem Gebietes! Nach demselben russischen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/74>, abgerufen am 28.09.2024.