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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deuischland und das Slawentum

eine neue Erhebung Polens vorbereiteten? oder wenn Deutschlands General¬
konsul in Riga sich mit Rat und That gegen die russische Vergewaltigung der
Ostseeprovinzen an die Spitze des baltischen Deutschtums stellte? oder wenn
Schweden in Helsingfors eine ähnliche Rolle zu Gunsten der Schweden spielte?
Gewiß würde das alles in Moskau nud Petersburg für unrecht, für eine un¬
befugte Einmischung in innere russische Angelegenheiten gehalten werdem Und
doch wäre es nichts andres, als woran man zwischen Galatz und Prag von
russischer Seite her seit lauge gewöhnt worden ist. Nußland sind eben Dinge
erlaubt, die sich andre nicht gestatten dürfen, am wenigsten wir Deutsche, an
deren Sanftmut wir selbst die Welt gar zu lange gewöhnt haben. Wollten
sich Mark und Gulden auf Reisen begeben wie der Rubel, so fänden sie wahr¬
scheinlich einen heute besser vorbereiteten Boden für deutsch - österreichische
Agitation, als der Rubel für russische Herrschaftsgelüste. Denn Nußland sorgt
längst ausgiebig dafür, daß seine eroberten fremden Provinzen von der Ostsee
bis zum Schwarzen Meer nach Erlösung von russischer Herrscherkunst seufzen.
Wenn das dennoch nicht geschieht, wenn weder deutsche noch österreichische
Vereine zur Befreiung verwandter oder befreundeter Stämme von russischem
Joche bestehen, noch auch fremde Diplomaten anf russischem Boden bisher
irgend welche Hindernisse den Gewaltmaßregeln der russischen Regierung ent¬
gegensetzen, die an Rücksichtslosigkeit alles übertreffen, was etwa von Herrn
Stmnbulow in Bulgarien oder von Bratiauu in Rumänien oder von öster¬
reichischen Beamten in Galizien, Bosnien, Böhmen, von König Milan in
Serbien vollführt worden ist, so findet das teilweise eine Erklärung in dem
allgemeinen politischen System dieser Staaten. Rußlands Politik ist seit Jahr¬
hunderten auf Ausdehnung der Herrschaft gerichtet, während diejenige Öster¬
reichs und besonders Deutschlands bis heute sich mit der Erhaltung der alten
Grenzen bescheidet. Und was würde man in Rußland sagen, wenn Österreich
als Schutzmacht des Katholizismus, Deutschland als Schutzmacht von Pro¬
testanten und Katholiken gegenüber der Orthodoxie Rußlands ebenso auf¬
treten wollten, als die russische Macht es in Absicht auf die Glieder der
worgenländischen Kirche seit langer Zeit thut? Wird nicht in aller Welt jede
kleinste Gemeinde russisch-griechischen Bekenntnisses bereitwilligst von der russischen
Negierung mit Geld und sonstigem staatlichen Schutze unterstützt? Sind die
russistlM Taschen nicht stets offen, sobald einige Orthodoxe irgendwo in Europa
wie eigue Kirche zu bauen wünschen, sobald bei Nutheuen, Serben, Monte¬
negrinern, Tschechen eine Schule gegründet, ein Unternehmen zur Stärkung
des Slawentums gefördert werden soll? Es soll das weder Rußland noch
den Russen unbedingt zum Vorwurfe gemacht werden. Stellt man einmal die
Nationalität über den Staat, fo folgt daraus, daß die Nationalität die staat¬
lichen ^Grenzen nicht mehr achtet, daß das nationale Interesse auch in fremdem
Lande gefördert wird. Indessen ist eine gewisse Rücksicht anf staatliche fremde


Grenzbvwl I 188g 9
Deuischland und das Slawentum

eine neue Erhebung Polens vorbereiteten? oder wenn Deutschlands General¬
konsul in Riga sich mit Rat und That gegen die russische Vergewaltigung der
Ostseeprovinzen an die Spitze des baltischen Deutschtums stellte? oder wenn
Schweden in Helsingfors eine ähnliche Rolle zu Gunsten der Schweden spielte?
Gewiß würde das alles in Moskau nud Petersburg für unrecht, für eine un¬
befugte Einmischung in innere russische Angelegenheiten gehalten werdem Und
doch wäre es nichts andres, als woran man zwischen Galatz und Prag von
russischer Seite her seit lauge gewöhnt worden ist. Nußland sind eben Dinge
erlaubt, die sich andre nicht gestatten dürfen, am wenigsten wir Deutsche, an
deren Sanftmut wir selbst die Welt gar zu lange gewöhnt haben. Wollten
sich Mark und Gulden auf Reisen begeben wie der Rubel, so fänden sie wahr¬
scheinlich einen heute besser vorbereiteten Boden für deutsch - österreichische
Agitation, als der Rubel für russische Herrschaftsgelüste. Denn Nußland sorgt
längst ausgiebig dafür, daß seine eroberten fremden Provinzen von der Ostsee
bis zum Schwarzen Meer nach Erlösung von russischer Herrscherkunst seufzen.
Wenn das dennoch nicht geschieht, wenn weder deutsche noch österreichische
Vereine zur Befreiung verwandter oder befreundeter Stämme von russischem
Joche bestehen, noch auch fremde Diplomaten anf russischem Boden bisher
irgend welche Hindernisse den Gewaltmaßregeln der russischen Regierung ent¬
gegensetzen, die an Rücksichtslosigkeit alles übertreffen, was etwa von Herrn
Stmnbulow in Bulgarien oder von Bratiauu in Rumänien oder von öster¬
reichischen Beamten in Galizien, Bosnien, Böhmen, von König Milan in
Serbien vollführt worden ist, so findet das teilweise eine Erklärung in dem
allgemeinen politischen System dieser Staaten. Rußlands Politik ist seit Jahr¬
hunderten auf Ausdehnung der Herrschaft gerichtet, während diejenige Öster¬
reichs und besonders Deutschlands bis heute sich mit der Erhaltung der alten
Grenzen bescheidet. Und was würde man in Rußland sagen, wenn Österreich
als Schutzmacht des Katholizismus, Deutschland als Schutzmacht von Pro¬
testanten und Katholiken gegenüber der Orthodoxie Rußlands ebenso auf¬
treten wollten, als die russische Macht es in Absicht auf die Glieder der
worgenländischen Kirche seit langer Zeit thut? Wird nicht in aller Welt jede
kleinste Gemeinde russisch-griechischen Bekenntnisses bereitwilligst von der russischen
Negierung mit Geld und sonstigem staatlichen Schutze unterstützt? Sind die
russistlM Taschen nicht stets offen, sobald einige Orthodoxe irgendwo in Europa
wie eigue Kirche zu bauen wünschen, sobald bei Nutheuen, Serben, Monte¬
negrinern, Tschechen eine Schule gegründet, ein Unternehmen zur Stärkung
des Slawentums gefördert werden soll? Es soll das weder Rußland noch
den Russen unbedingt zum Vorwurfe gemacht werden. Stellt man einmal die
Nationalität über den Staat, fo folgt daraus, daß die Nationalität die staat¬
lichen ^Grenzen nicht mehr achtet, daß das nationale Interesse auch in fremdem
Lande gefördert wird. Indessen ist eine gewisse Rücksicht anf staatliche fremde


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[0073] Deuischland und das Slawentum eine neue Erhebung Polens vorbereiteten? oder wenn Deutschlands General¬ konsul in Riga sich mit Rat und That gegen die russische Vergewaltigung der Ostseeprovinzen an die Spitze des baltischen Deutschtums stellte? oder wenn Schweden in Helsingfors eine ähnliche Rolle zu Gunsten der Schweden spielte? Gewiß würde das alles in Moskau nud Petersburg für unrecht, für eine un¬ befugte Einmischung in innere russische Angelegenheiten gehalten werdem Und doch wäre es nichts andres, als woran man zwischen Galatz und Prag von russischer Seite her seit lauge gewöhnt worden ist. Nußland sind eben Dinge erlaubt, die sich andre nicht gestatten dürfen, am wenigsten wir Deutsche, an deren Sanftmut wir selbst die Welt gar zu lange gewöhnt haben. Wollten sich Mark und Gulden auf Reisen begeben wie der Rubel, so fänden sie wahr¬ scheinlich einen heute besser vorbereiteten Boden für deutsch - österreichische Agitation, als der Rubel für russische Herrschaftsgelüste. Denn Nußland sorgt längst ausgiebig dafür, daß seine eroberten fremden Provinzen von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer nach Erlösung von russischer Herrscherkunst seufzen. Wenn das dennoch nicht geschieht, wenn weder deutsche noch österreichische Vereine zur Befreiung verwandter oder befreundeter Stämme von russischem Joche bestehen, noch auch fremde Diplomaten anf russischem Boden bisher irgend welche Hindernisse den Gewaltmaßregeln der russischen Regierung ent¬ gegensetzen, die an Rücksichtslosigkeit alles übertreffen, was etwa von Herrn Stmnbulow in Bulgarien oder von Bratiauu in Rumänien oder von öster¬ reichischen Beamten in Galizien, Bosnien, Böhmen, von König Milan in Serbien vollführt worden ist, so findet das teilweise eine Erklärung in dem allgemeinen politischen System dieser Staaten. Rußlands Politik ist seit Jahr¬ hunderten auf Ausdehnung der Herrschaft gerichtet, während diejenige Öster¬ reichs und besonders Deutschlands bis heute sich mit der Erhaltung der alten Grenzen bescheidet. Und was würde man in Rußland sagen, wenn Österreich als Schutzmacht des Katholizismus, Deutschland als Schutzmacht von Pro¬ testanten und Katholiken gegenüber der Orthodoxie Rußlands ebenso auf¬ treten wollten, als die russische Macht es in Absicht auf die Glieder der worgenländischen Kirche seit langer Zeit thut? Wird nicht in aller Welt jede kleinste Gemeinde russisch-griechischen Bekenntnisses bereitwilligst von der russischen Negierung mit Geld und sonstigem staatlichen Schutze unterstützt? Sind die russistlM Taschen nicht stets offen, sobald einige Orthodoxe irgendwo in Europa wie eigue Kirche zu bauen wünschen, sobald bei Nutheuen, Serben, Monte¬ negrinern, Tschechen eine Schule gegründet, ein Unternehmen zur Stärkung des Slawentums gefördert werden soll? Es soll das weder Rußland noch den Russen unbedingt zum Vorwurfe gemacht werden. Stellt man einmal die Nationalität über den Staat, fo folgt daraus, daß die Nationalität die staat¬ lichen ^Grenzen nicht mehr achtet, daß das nationale Interesse auch in fremdem Lande gefördert wird. Indessen ist eine gewisse Rücksicht anf staatliche fremde Grenzbvwl I 188g 9

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/73>, abgerufen am 28.09.2024.