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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutschland und das Slawentum

Forderung, die Rücksichtslosigkeit in der Forderung unsrer Rechte, die Unab¬
hängigkeit von jüdischer Preßphrase und gesinnungslosen Geistreichtum lernen,
deren es bedarf, um zu Thaten und zu Macht zu gelangen. Wien darf nicht
in die Hände von Juden und Slawen geraten.

Seit der Zeit, wo der alte Fallmerayer unermüdlich gegen den Pan-
slawismns die Politiker Österreichs und Deutschlands ins Feld rief, hat sich
die Lage auf diesem Kampfplatze insoweit nicht geändert, als die Ansprüche
des Russentums dieselben geblieben sind und auch ihre Kampfweise im wesent¬
lichen dieselbe wie früher ist. Es ist stets die gleiche althergebrachte Minir-
arbeit auf dem Boden benachbarter Staaten durch Sendlinge, Geistliche und
Rubel, eine Arbeit, die nicht allein von den panslawistischeu Vereinen, sondern
auch unmittelbar von den diplomatischen Agenten besorgt wird. Jene Vereine/
heute mit dem harmlosen Namen slawischer Wohlthätigkeitsgesellschaften ge¬
ziert, sind von der Staatsregierung abhängig und von ihr bald mehr bald
minder geförderte politische Organe. Daneben betreiben nach wie vor in den
Donaustaaten die russischen Diplomaten ihre Agitation. Die Kojander, Persiani,
Chitrowo erscheinen zu Zeiten als offenbare revolutionäre Verschwörer gegen
die Fürsten und Staaten, bei denen sie beglaubigt sind. Was namentlich
Herr Chitrowo gegen Bulgarien geleistet hat und eben jetzt gegen Rumänien
leistet, ist erstaunlich. Erstaunlich weniger wegen der Erfolge, als wegen der
Unbefangenheit und Kühnheit, mit der ein Vertreter des absolutesten und kon¬
servativsten Monarchen Verschwörungen der Völker gegen ihre Fürsten anzettelt
und fördert. Man erinnert sich der Zeit, wo Herr Chitrowo seine Befehle
von dem Moskaner Slawenkomitee und Herrn Katkoff empfing, während der
Minister des Äußern in Petersburg scheinbar in ganz entgegengesetztem Sinne,
als diese Befehle lauteten, feine offizielle Politik trieb. Auch heute ist dieser
Gegensatz zwischen dein offiziellen und dem offiziösen Rußland augenscheinlich. In
Petersburg erklärt man, die Balknnländer sich selbst überlassen zu wollen;
man erklärt neuerdings sogar in der Presse, Rußland habe seine Sache in der
Valkanhalbinsel verloren und wolle sie endgiltig verloren geben. Zugleich
aber arbeitet Herr Chitrowo kräftig an einem Umsturz in Rumänien zu
Gunsten des Prätendenten Kusa, und russische Schildträger an der Revolutioni-
rung Serbiens und der Vertreibung des Königs Milan. Ebensowenig hat
man sich vou den Verbindungen mit Nuthenen, Slowenen, Monteuegrincrn
losgesagt, oder genauer gelöst, und wird im gegebenen Augenblick sich so gut
der Stroßmayer als einer Königin Natalie zu bedienen wissen. Man hat sich
in Enropa an diese Verhältnisse so sehr gewöhnt, daß man kaum empfindet,
wie außerordentlich sie sind. Was würde man wohl in Rußland sagen, wenn
der österreichische Konsul in Kiew eine Bewegung einleitete zur Losreißung
Kleinrußlands von Nußland und zum Anschluß an einen Bund der Dvnau-
staaten? oder wenn Agenten der beiden deutsch": Kaisermächte in Warschau


Deutschland und das Slawentum

Forderung, die Rücksichtslosigkeit in der Forderung unsrer Rechte, die Unab¬
hängigkeit von jüdischer Preßphrase und gesinnungslosen Geistreichtum lernen,
deren es bedarf, um zu Thaten und zu Macht zu gelangen. Wien darf nicht
in die Hände von Juden und Slawen geraten.

Seit der Zeit, wo der alte Fallmerayer unermüdlich gegen den Pan-
slawismns die Politiker Österreichs und Deutschlands ins Feld rief, hat sich
die Lage auf diesem Kampfplatze insoweit nicht geändert, als die Ansprüche
des Russentums dieselben geblieben sind und auch ihre Kampfweise im wesent¬
lichen dieselbe wie früher ist. Es ist stets die gleiche althergebrachte Minir-
arbeit auf dem Boden benachbarter Staaten durch Sendlinge, Geistliche und
Rubel, eine Arbeit, die nicht allein von den panslawistischeu Vereinen, sondern
auch unmittelbar von den diplomatischen Agenten besorgt wird. Jene Vereine/
heute mit dem harmlosen Namen slawischer Wohlthätigkeitsgesellschaften ge¬
ziert, sind von der Staatsregierung abhängig und von ihr bald mehr bald
minder geförderte politische Organe. Daneben betreiben nach wie vor in den
Donaustaaten die russischen Diplomaten ihre Agitation. Die Kojander, Persiani,
Chitrowo erscheinen zu Zeiten als offenbare revolutionäre Verschwörer gegen
die Fürsten und Staaten, bei denen sie beglaubigt sind. Was namentlich
Herr Chitrowo gegen Bulgarien geleistet hat und eben jetzt gegen Rumänien
leistet, ist erstaunlich. Erstaunlich weniger wegen der Erfolge, als wegen der
Unbefangenheit und Kühnheit, mit der ein Vertreter des absolutesten und kon¬
servativsten Monarchen Verschwörungen der Völker gegen ihre Fürsten anzettelt
und fördert. Man erinnert sich der Zeit, wo Herr Chitrowo seine Befehle
von dem Moskaner Slawenkomitee und Herrn Katkoff empfing, während der
Minister des Äußern in Petersburg scheinbar in ganz entgegengesetztem Sinne,
als diese Befehle lauteten, feine offizielle Politik trieb. Auch heute ist dieser
Gegensatz zwischen dein offiziellen und dem offiziösen Rußland augenscheinlich. In
Petersburg erklärt man, die Balknnländer sich selbst überlassen zu wollen;
man erklärt neuerdings sogar in der Presse, Rußland habe seine Sache in der
Valkanhalbinsel verloren und wolle sie endgiltig verloren geben. Zugleich
aber arbeitet Herr Chitrowo kräftig an einem Umsturz in Rumänien zu
Gunsten des Prätendenten Kusa, und russische Schildträger an der Revolutioni-
rung Serbiens und der Vertreibung des Königs Milan. Ebensowenig hat
man sich vou den Verbindungen mit Nuthenen, Slowenen, Monteuegrincrn
losgesagt, oder genauer gelöst, und wird im gegebenen Augenblick sich so gut
der Stroßmayer als einer Königin Natalie zu bedienen wissen. Man hat sich
in Enropa an diese Verhältnisse so sehr gewöhnt, daß man kaum empfindet,
wie außerordentlich sie sind. Was würde man wohl in Rußland sagen, wenn
der österreichische Konsul in Kiew eine Bewegung einleitete zur Losreißung
Kleinrußlands von Nußland und zum Anschluß an einen Bund der Dvnau-
staaten? oder wenn Agenten der beiden deutsch«: Kaisermächte in Warschau


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[0072] Deutschland und das Slawentum Forderung, die Rücksichtslosigkeit in der Forderung unsrer Rechte, die Unab¬ hängigkeit von jüdischer Preßphrase und gesinnungslosen Geistreichtum lernen, deren es bedarf, um zu Thaten und zu Macht zu gelangen. Wien darf nicht in die Hände von Juden und Slawen geraten. Seit der Zeit, wo der alte Fallmerayer unermüdlich gegen den Pan- slawismns die Politiker Österreichs und Deutschlands ins Feld rief, hat sich die Lage auf diesem Kampfplatze insoweit nicht geändert, als die Ansprüche des Russentums dieselben geblieben sind und auch ihre Kampfweise im wesent¬ lichen dieselbe wie früher ist. Es ist stets die gleiche althergebrachte Minir- arbeit auf dem Boden benachbarter Staaten durch Sendlinge, Geistliche und Rubel, eine Arbeit, die nicht allein von den panslawistischeu Vereinen, sondern auch unmittelbar von den diplomatischen Agenten besorgt wird. Jene Vereine/ heute mit dem harmlosen Namen slawischer Wohlthätigkeitsgesellschaften ge¬ ziert, sind von der Staatsregierung abhängig und von ihr bald mehr bald minder geförderte politische Organe. Daneben betreiben nach wie vor in den Donaustaaten die russischen Diplomaten ihre Agitation. Die Kojander, Persiani, Chitrowo erscheinen zu Zeiten als offenbare revolutionäre Verschwörer gegen die Fürsten und Staaten, bei denen sie beglaubigt sind. Was namentlich Herr Chitrowo gegen Bulgarien geleistet hat und eben jetzt gegen Rumänien leistet, ist erstaunlich. Erstaunlich weniger wegen der Erfolge, als wegen der Unbefangenheit und Kühnheit, mit der ein Vertreter des absolutesten und kon¬ servativsten Monarchen Verschwörungen der Völker gegen ihre Fürsten anzettelt und fördert. Man erinnert sich der Zeit, wo Herr Chitrowo seine Befehle von dem Moskaner Slawenkomitee und Herrn Katkoff empfing, während der Minister des Äußern in Petersburg scheinbar in ganz entgegengesetztem Sinne, als diese Befehle lauteten, feine offizielle Politik trieb. Auch heute ist dieser Gegensatz zwischen dein offiziellen und dem offiziösen Rußland augenscheinlich. In Petersburg erklärt man, die Balknnländer sich selbst überlassen zu wollen; man erklärt neuerdings sogar in der Presse, Rußland habe seine Sache in der Valkanhalbinsel verloren und wolle sie endgiltig verloren geben. Zugleich aber arbeitet Herr Chitrowo kräftig an einem Umsturz in Rumänien zu Gunsten des Prätendenten Kusa, und russische Schildträger an der Revolutioni- rung Serbiens und der Vertreibung des Königs Milan. Ebensowenig hat man sich vou den Verbindungen mit Nuthenen, Slowenen, Monteuegrincrn losgesagt, oder genauer gelöst, und wird im gegebenen Augenblick sich so gut der Stroßmayer als einer Königin Natalie zu bedienen wissen. Man hat sich in Enropa an diese Verhältnisse so sehr gewöhnt, daß man kaum empfindet, wie außerordentlich sie sind. Was würde man wohl in Rußland sagen, wenn der österreichische Konsul in Kiew eine Bewegung einleitete zur Losreißung Kleinrußlands von Nußland und zum Anschluß an einen Bund der Dvnau- staaten? oder wenn Agenten der beiden deutsch«: Kaisermächte in Warschau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/72>, abgerufen am 28.09.2024.