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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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besten Wege, ihm Thür und Thor weit zu öffnen, denn es wäre ein sträflicher
Irrtum, zu glauben, daß mau Österreich slawisch machen und doch von der
Hofburg ans weiter werde lenken könne: die thatsächliche Leitung würde bald
auf Leute wie Jguatjew und auf Moskau übergehen, es müßten denn gewaltige
Veränderungen mit Rußland vorausgehen, oder Magyaren wie Deutsche müßte"
in Österreich-Ungnru auf die Stufe gebracht worden sein, die heute die Rutheueu
in Galizien einnehmen. Österreich wird auf dem Boden des Slawismus uur
dann koukurreuzfähig gegenüber Rußland sein, wenn es sich in einen rein
slawischen Staat Österreich-Ungarn verwandelt; wollte es den Slawen erst die
Gewalt geben und sie dann doch noch durch Magyaren nud Deutsche zu zügeln
versuchen, so würde es ohne Gnade dem Panslawismns anheimfallen und einer
Lage entgegen gehen, wie es die der Bnltanlcinder heute ist.

Zum Glück scheint der Ernst der Lage die zerfahrenen deutscheu Parteien
in Österreich zur Umkehr auf dem bisherigen Wege zu mahnen. In der eben
berührten Sitzung sagte der Abgeordnete Pierer nackt heraus die volle Wirk¬
lichkeit: "Wir haben," sagte er, "ein Bündnis gegen Nußland, und treiben im
Innern eine slawisirende Politik; wir haben ein Bündnis mit Deutschland und
drängen die Deutschen überall zurück; ein Bündnis mit Italien, und die
Regierung stützt sich auf dessen geschworene Friede, die Ultramontanen. Das
ist ein unlösbarer Widerspruch, über den niemand hinweg kann. Die Dinge
sind stärker als die besten Absichten der Regierung. Wir wollen in diesem
feierlichen Augenblick erklären, daß wir Deutsche in Österreich mit der größten
Unzufriedenheit gegen das gegenwärtige Regime erfüllt siud, und daß, wenn
wir für das Wchrgesetz stimmen, dies nur geschieht, weil die Deutschen an der
Zukunft dieses Staates noch nicht verzweifeln, weil ^wir eine Wendung zum
besser", wenn auch erst für spätere Zeiten, für denkbar halten und uns nicht
den Vorwurf machen wollen, daß wir gegenüber dem Appell, den die aus¬
wärtige Lage an uns richtet, uns ablehnend verhielten." Auch wir verzweifeln
nicht an der Widerstandskraft der österreichischen Deutschen. Eben jetzt beginnt
an einem andern Ende unsrer Volksgrcnze, in Velgieu, der vlämische Stamm
nach langer gallischer Unterdrückung sich zu sammeln und zu erheben. Er
Zeigt, daß auch außerhalb Deutschlands der Katholizismus nicht Monopol der
Welschen geworden ist, sondern daß nun gut katholisch sein und dabei sein
deutsches Volkstum verteidigen kann. Auch in Österreich ist der Ultramon¬
tanismus nicht der Hauptfeind des Deutschtums, sondern zersetzender Liberalis¬
mus, heimatlose Börsenpresfc, und jenes zuchtlose Schwanken zwischen großen
Prinzipien, die sich über die Nationalität stellen, und kleinlicher Ichsucht, die
nur den persönlichen Vorteil sucht. Eine Schwäche des Volkscharakters, die
wir mit Beschämung überall in der Welt uoch heute an unsern Volksgenossen
beobachten können. Aber auch wir werden, daheim und draußen, noch die
Zucht, die Unterordnung der Person und des Prinzips unter die nationale


besten Wege, ihm Thür und Thor weit zu öffnen, denn es wäre ein sträflicher
Irrtum, zu glauben, daß mau Österreich slawisch machen und doch von der
Hofburg ans weiter werde lenken könne: die thatsächliche Leitung würde bald
auf Leute wie Jguatjew und auf Moskau übergehen, es müßten denn gewaltige
Veränderungen mit Rußland vorausgehen, oder Magyaren wie Deutsche müßte»
in Österreich-Ungnru auf die Stufe gebracht worden sein, die heute die Rutheueu
in Galizien einnehmen. Österreich wird auf dem Boden des Slawismus uur
dann koukurreuzfähig gegenüber Rußland sein, wenn es sich in einen rein
slawischen Staat Österreich-Ungarn verwandelt; wollte es den Slawen erst die
Gewalt geben und sie dann doch noch durch Magyaren nud Deutsche zu zügeln
versuchen, so würde es ohne Gnade dem Panslawismns anheimfallen und einer
Lage entgegen gehen, wie es die der Bnltanlcinder heute ist.

Zum Glück scheint der Ernst der Lage die zerfahrenen deutscheu Parteien
in Österreich zur Umkehr auf dem bisherigen Wege zu mahnen. In der eben
berührten Sitzung sagte der Abgeordnete Pierer nackt heraus die volle Wirk¬
lichkeit: „Wir haben," sagte er, „ein Bündnis gegen Nußland, und treiben im
Innern eine slawisirende Politik; wir haben ein Bündnis mit Deutschland und
drängen die Deutschen überall zurück; ein Bündnis mit Italien, und die
Regierung stützt sich auf dessen geschworene Friede, die Ultramontanen. Das
ist ein unlösbarer Widerspruch, über den niemand hinweg kann. Die Dinge
sind stärker als die besten Absichten der Regierung. Wir wollen in diesem
feierlichen Augenblick erklären, daß wir Deutsche in Österreich mit der größten
Unzufriedenheit gegen das gegenwärtige Regime erfüllt siud, und daß, wenn
wir für das Wchrgesetz stimmen, dies nur geschieht, weil die Deutschen an der
Zukunft dieses Staates noch nicht verzweifeln, weil ^wir eine Wendung zum
besser», wenn auch erst für spätere Zeiten, für denkbar halten und uns nicht
den Vorwurf machen wollen, daß wir gegenüber dem Appell, den die aus¬
wärtige Lage an uns richtet, uns ablehnend verhielten." Auch wir verzweifeln
nicht an der Widerstandskraft der österreichischen Deutschen. Eben jetzt beginnt
an einem andern Ende unsrer Volksgrcnze, in Velgieu, der vlämische Stamm
nach langer gallischer Unterdrückung sich zu sammeln und zu erheben. Er
Zeigt, daß auch außerhalb Deutschlands der Katholizismus nicht Monopol der
Welschen geworden ist, sondern daß nun gut katholisch sein und dabei sein
deutsches Volkstum verteidigen kann. Auch in Österreich ist der Ultramon¬
tanismus nicht der Hauptfeind des Deutschtums, sondern zersetzender Liberalis¬
mus, heimatlose Börsenpresfc, und jenes zuchtlose Schwanken zwischen großen
Prinzipien, die sich über die Nationalität stellen, und kleinlicher Ichsucht, die
nur den persönlichen Vorteil sucht. Eine Schwäche des Volkscharakters, die
wir mit Beschämung überall in der Welt uoch heute an unsern Volksgenossen
beobachten können. Aber auch wir werden, daheim und draußen, noch die
Zucht, die Unterordnung der Person und des Prinzips unter die nationale


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/71>, abgerufen am 29.06.2024.