Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

fchwuuges nicht entziehen. Wir müssen unserseits Stellung nehmen zu der
Thatsache, daß seit 1870 sich zwischen uns und unsern östlichen Nachbarn eine
Kluft aufgethan hat, die sich von Jahr zu Jahr erweitert. Wir befinden uns
in einem beginnenden nationalen Kampf mit dem Slawentum in Österreich wie
in Nußland, einem Kampfe, der in Zukunft eine orientalische Frage von weit
größerer Tragweite sür uns werden muß, als es die alte Türkenfrage war.
Alle die Slawen Österreichs haben ihren Halt sei es in der thätigen Unter¬
stützung oder Ermunterung von russischer Seite, oder auch nur in dem Be¬
wußtsein, daß sie im Notfall und wenn die Wiener Regierung zu einem nativnal-
dentschen System zurückkehren wollte, nicht vergeblich Nußland anrufen werden.
Nur das polnische Volk geht bisher hierin seinen eignen Weg, und mit ihm
werden wir ebenso wie mit dem Magyarentnm eine Vereinbarung treffen
müssen, sobald der Kampf gegen das Slawentum offen in die äußere Politik
hinüberspringen wird.

Wir sind gegenwärtig der waffenstärkste Staat in Enropa, wir haben
keinen Augriff zu fürchten. So ist es gegenwärtig. Doch kann sich dieses
Verhältnis auch einmal ändern. Und es wird sich ändern, sobald in Österreich
der heutige Slawisirungsprozeß zu einer gefesteten Herrschaft der Slawen in
Cisleithanien geführt haben wird. Ist Cisleithanien erst ganz in slawischen
Händen, so ist Österreich, die österreichische Freundschaft für uns verloren.
Oder sollte noch jemand nach Lesung des neulich von der "Kölnischen Zeitung"
veröffentlichten Schreibens des Bischofs Stroßmayer um den Papst vom Sep¬
tember 1888darüber in Zweifel sein können, auch wenn er vergessen hätte,
was die Tschechen, alt und jung, seit 1867 offen bekannt haben? Kann man
noch zweifeln, wohin sich ein Stroßmayer, einmal um der Macht, wenden wird,
sobald die Wahl wäre zwischen einem Bismarck und einem Jgnatjew? Wenn
sich Bischof Stroßmayer heute mit dein Panslawistenführer Jgnatjew auf dem
Boden altslawischer Interessen zusammenfand, so ist das österreichischer Pan¬
slawismus und ein Streben, das sowohl gegen das Österreich vor wie nach
1866 gerichtet ist. Der Führer des heutigen Tschechentums, Gregr, hat es
am 7. Dezember dieses Jahres im österreichischen Abgeordnetenhause offen ge¬
sagt: er bewillige das neue Wehrgesctz, damit Österreich auch andre als das
deutsche Bündnis schließen könne. Das heißt doch wohl, damit das verstärkte
österreichische Heer gegen Deutschland marschiren könne. Dem gegenüber hat
es nichts zu bedeuten, wenn der Alttscheche Rieger den Panslawismus von
sich weist.

Solche Tendenzen, einmal herrschend, kann Österreich nicht ertragen, ohne
seine ganze Bedeutung für uns als Verbündeter einzubüßen. Dasselbe Öster¬
reich, für das der Panslawismus so lange ein Schreckgespenst war, ist auf dem



*) Es ist vergeblich versucht worden, die Echtheit des Schriftstückes anzuzweifeln.

fchwuuges nicht entziehen. Wir müssen unserseits Stellung nehmen zu der
Thatsache, daß seit 1870 sich zwischen uns und unsern östlichen Nachbarn eine
Kluft aufgethan hat, die sich von Jahr zu Jahr erweitert. Wir befinden uns
in einem beginnenden nationalen Kampf mit dem Slawentum in Österreich wie
in Nußland, einem Kampfe, der in Zukunft eine orientalische Frage von weit
größerer Tragweite sür uns werden muß, als es die alte Türkenfrage war.
Alle die Slawen Österreichs haben ihren Halt sei es in der thätigen Unter¬
stützung oder Ermunterung von russischer Seite, oder auch nur in dem Be¬
wußtsein, daß sie im Notfall und wenn die Wiener Regierung zu einem nativnal-
dentschen System zurückkehren wollte, nicht vergeblich Nußland anrufen werden.
Nur das polnische Volk geht bisher hierin seinen eignen Weg, und mit ihm
werden wir ebenso wie mit dem Magyarentnm eine Vereinbarung treffen
müssen, sobald der Kampf gegen das Slawentum offen in die äußere Politik
hinüberspringen wird.

Wir sind gegenwärtig der waffenstärkste Staat in Enropa, wir haben
keinen Augriff zu fürchten. So ist es gegenwärtig. Doch kann sich dieses
Verhältnis auch einmal ändern. Und es wird sich ändern, sobald in Österreich
der heutige Slawisirungsprozeß zu einer gefesteten Herrschaft der Slawen in
Cisleithanien geführt haben wird. Ist Cisleithanien erst ganz in slawischen
Händen, so ist Österreich, die österreichische Freundschaft für uns verloren.
Oder sollte noch jemand nach Lesung des neulich von der „Kölnischen Zeitung"
veröffentlichten Schreibens des Bischofs Stroßmayer um den Papst vom Sep¬
tember 1888darüber in Zweifel sein können, auch wenn er vergessen hätte,
was die Tschechen, alt und jung, seit 1867 offen bekannt haben? Kann man
noch zweifeln, wohin sich ein Stroßmayer, einmal um der Macht, wenden wird,
sobald die Wahl wäre zwischen einem Bismarck und einem Jgnatjew? Wenn
sich Bischof Stroßmayer heute mit dein Panslawistenführer Jgnatjew auf dem
Boden altslawischer Interessen zusammenfand, so ist das österreichischer Pan¬
slawismus und ein Streben, das sowohl gegen das Österreich vor wie nach
1866 gerichtet ist. Der Führer des heutigen Tschechentums, Gregr, hat es
am 7. Dezember dieses Jahres im österreichischen Abgeordnetenhause offen ge¬
sagt: er bewillige das neue Wehrgesctz, damit Österreich auch andre als das
deutsche Bündnis schließen könne. Das heißt doch wohl, damit das verstärkte
österreichische Heer gegen Deutschland marschiren könne. Dem gegenüber hat
es nichts zu bedeuten, wenn der Alttscheche Rieger den Panslawismus von
sich weist.

Solche Tendenzen, einmal herrschend, kann Österreich nicht ertragen, ohne
seine ganze Bedeutung für uns als Verbündeter einzubüßen. Dasselbe Öster¬
reich, für das der Panslawismus so lange ein Schreckgespenst war, ist auf dem



*) Es ist vergeblich versucht worden, die Echtheit des Schriftstückes anzuzweifeln.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0070" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204159"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_243" prev="#ID_242"> fchwuuges nicht entziehen. Wir müssen unserseits Stellung nehmen zu der<lb/>
Thatsache, daß seit 1870 sich zwischen uns und unsern östlichen Nachbarn eine<lb/>
Kluft aufgethan hat, die sich von Jahr zu Jahr erweitert. Wir befinden uns<lb/>
in einem beginnenden nationalen Kampf mit dem Slawentum in Österreich wie<lb/>
in Nußland, einem Kampfe, der in Zukunft eine orientalische Frage von weit<lb/>
größerer Tragweite sür uns werden muß, als es die alte Türkenfrage war.<lb/>
Alle die Slawen Österreichs haben ihren Halt sei es in der thätigen Unter¬<lb/>
stützung oder Ermunterung von russischer Seite, oder auch nur in dem Be¬<lb/>
wußtsein, daß sie im Notfall und wenn die Wiener Regierung zu einem nativnal-<lb/>
dentschen System zurückkehren wollte, nicht vergeblich Nußland anrufen werden.<lb/>
Nur das polnische Volk geht bisher hierin seinen eignen Weg, und mit ihm<lb/>
werden wir ebenso wie mit dem Magyarentnm eine Vereinbarung treffen<lb/>
müssen, sobald der Kampf gegen das Slawentum offen in die äußere Politik<lb/>
hinüberspringen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_244"> Wir sind gegenwärtig der waffenstärkste Staat in Enropa, wir haben<lb/>
keinen Augriff zu fürchten. So ist es gegenwärtig. Doch kann sich dieses<lb/>
Verhältnis auch einmal ändern. Und es wird sich ändern, sobald in Österreich<lb/>
der heutige Slawisirungsprozeß zu einer gefesteten Herrschaft der Slawen in<lb/>
Cisleithanien geführt haben wird. Ist Cisleithanien erst ganz in slawischen<lb/>
Händen, so ist Österreich, die österreichische Freundschaft für uns verloren.<lb/>
Oder sollte noch jemand nach Lesung des neulich von der &#x201E;Kölnischen Zeitung"<lb/>
veröffentlichten Schreibens des Bischofs Stroßmayer um den Papst vom Sep¬<lb/>
tember 1888darüber in Zweifel sein können, auch wenn er vergessen hätte,<lb/>
was die Tschechen, alt und jung, seit 1867 offen bekannt haben? Kann man<lb/>
noch zweifeln, wohin sich ein Stroßmayer, einmal um der Macht, wenden wird,<lb/>
sobald die Wahl wäre zwischen einem Bismarck und einem Jgnatjew? Wenn<lb/>
sich Bischof Stroßmayer heute mit dein Panslawistenführer Jgnatjew auf dem<lb/>
Boden altslawischer Interessen zusammenfand, so ist das österreichischer Pan¬<lb/>
slawismus und ein Streben, das sowohl gegen das Österreich vor wie nach<lb/>
1866 gerichtet ist. Der Führer des heutigen Tschechentums, Gregr, hat es<lb/>
am 7. Dezember dieses Jahres im österreichischen Abgeordnetenhause offen ge¬<lb/>
sagt: er bewillige das neue Wehrgesctz, damit Österreich auch andre als das<lb/>
deutsche Bündnis schließen könne. Das heißt doch wohl, damit das verstärkte<lb/>
österreichische Heer gegen Deutschland marschiren könne. Dem gegenüber hat<lb/>
es nichts zu bedeuten, wenn der Alttscheche Rieger den Panslawismus von<lb/>
sich weist.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_245" next="#ID_246"> Solche Tendenzen, einmal herrschend, kann Österreich nicht ertragen, ohne<lb/>
seine ganze Bedeutung für uns als Verbündeter einzubüßen. Dasselbe Öster¬<lb/>
reich, für das der Panslawismus so lange ein Schreckgespenst war, ist auf dem</p><lb/>
          <note xml:id="FID_3" place="foot"> *) Es ist vergeblich versucht worden, die Echtheit des Schriftstückes anzuzweifeln.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0070] fchwuuges nicht entziehen. Wir müssen unserseits Stellung nehmen zu der Thatsache, daß seit 1870 sich zwischen uns und unsern östlichen Nachbarn eine Kluft aufgethan hat, die sich von Jahr zu Jahr erweitert. Wir befinden uns in einem beginnenden nationalen Kampf mit dem Slawentum in Österreich wie in Nußland, einem Kampfe, der in Zukunft eine orientalische Frage von weit größerer Tragweite sür uns werden muß, als es die alte Türkenfrage war. Alle die Slawen Österreichs haben ihren Halt sei es in der thätigen Unter¬ stützung oder Ermunterung von russischer Seite, oder auch nur in dem Be¬ wußtsein, daß sie im Notfall und wenn die Wiener Regierung zu einem nativnal- dentschen System zurückkehren wollte, nicht vergeblich Nußland anrufen werden. Nur das polnische Volk geht bisher hierin seinen eignen Weg, und mit ihm werden wir ebenso wie mit dem Magyarentnm eine Vereinbarung treffen müssen, sobald der Kampf gegen das Slawentum offen in die äußere Politik hinüberspringen wird. Wir sind gegenwärtig der waffenstärkste Staat in Enropa, wir haben keinen Augriff zu fürchten. So ist es gegenwärtig. Doch kann sich dieses Verhältnis auch einmal ändern. Und es wird sich ändern, sobald in Österreich der heutige Slawisirungsprozeß zu einer gefesteten Herrschaft der Slawen in Cisleithanien geführt haben wird. Ist Cisleithanien erst ganz in slawischen Händen, so ist Österreich, die österreichische Freundschaft für uns verloren. Oder sollte noch jemand nach Lesung des neulich von der „Kölnischen Zeitung" veröffentlichten Schreibens des Bischofs Stroßmayer um den Papst vom Sep¬ tember 1888darüber in Zweifel sein können, auch wenn er vergessen hätte, was die Tschechen, alt und jung, seit 1867 offen bekannt haben? Kann man noch zweifeln, wohin sich ein Stroßmayer, einmal um der Macht, wenden wird, sobald die Wahl wäre zwischen einem Bismarck und einem Jgnatjew? Wenn sich Bischof Stroßmayer heute mit dein Panslawistenführer Jgnatjew auf dem Boden altslawischer Interessen zusammenfand, so ist das österreichischer Pan¬ slawismus und ein Streben, das sowohl gegen das Österreich vor wie nach 1866 gerichtet ist. Der Führer des heutigen Tschechentums, Gregr, hat es am 7. Dezember dieses Jahres im österreichischen Abgeordnetenhause offen ge¬ sagt: er bewillige das neue Wehrgesctz, damit Österreich auch andre als das deutsche Bündnis schließen könne. Das heißt doch wohl, damit das verstärkte österreichische Heer gegen Deutschland marschiren könne. Dem gegenüber hat es nichts zu bedeuten, wenn der Alttscheche Rieger den Panslawismus von sich weist. Solche Tendenzen, einmal herrschend, kann Österreich nicht ertragen, ohne seine ganze Bedeutung für uns als Verbündeter einzubüßen. Dasselbe Öster¬ reich, für das der Panslawismus so lange ein Schreckgespenst war, ist auf dem *) Es ist vergeblich versucht worden, die Echtheit des Schriftstückes anzuzweifeln.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/70
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/70>, abgerufen am 28.09.2024.