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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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zur Vollendung seiner Mobilmachung noch immer etwa vier Wochen und wahr¬
scheinlich noch mehr Zeit, wogegen seine Nachbarn im Westen vermöge der ge¬
ringern Ausdehnung ihres Gebietes, ihres unvergleichlich vollkommneren Eisen¬
bahn und Telegraphenfhstemes, ihrer erprobteren militärischen Organisation und
ihres (wenigstens in Deutschland) unbedingt sicher und Schlag auf Schlag ar¬
beitenden Mobilinachungsapparats kaum den dritten Teil der für Rußland er-
sorderlichen Zeit zur Mobilmachung und zum Ausmarsche ihrer Armee nötig
haben und diesen Vorteil unzweifelhaft bestens und nachdrücklichst wahrnehmen
werden.

Der Verfasser der Schrift: "Das Kriegstheater an der Weichsel" meint
in diesen: Zusammenhange, man könne vielleicht fragen, ob der deutsch-
österreichische Bündnisvertrag nach seinem Wortlaute nicht hinfällig werde,
sobald einer der Kontrahenten als angreifender Teil auftrete. Er ant¬
wortet: "Eine solche Auffassung dürfte weder dem Sinne, noch dem Zwecke
des Vertrags entsprechen. Dieser hat den Zweck, den Frieden zu sichern,
es würde daher widersinnig sein und die entgegengesetzte Wirkung haben,
wenn er den Verbündeten die Verpflichtung auferlegen sollte, obgleich sie
aus Trnppenkvnzentrationen und sonstigen untrüglichen kriegerischen Vorberei-
tungen zweifellos erkennen, daß Nußland sofort nach Beendigung seiner
Rüstungen gegen einen der Unterzeichner des Vertrags loszuschlagen beab¬
sichtigt, den Angriff ruhig zu erwarten. "Vou Seiten des Bedrohten wird es
geradezu ein Vergehen gegen die Sicherheit des eignen Staates sein, wenn er
in diesem Falle einen Augenblick zögern wollte, die Überlegenheit seiner staat¬
lichen Einrichtungen, seiner besseren Armeeorganisation und seiner höhern Be¬
fähigung, rasch für den Krieg bereit zu werden, nicht auf das rücksichtsloseste
auszunützen, dem drohenden Angriffe zuvorzukommen und alle Vorteile der
Offensive sich selbst zuzuwenden. Sache der Diplomatie würde es sein, die
aggressiven Absichten Rußlands vor Europa als unzweifelbar darzulegen. Für
Osterreich wird ein solcher Entschluß um so mehr zur Pflicht, als der süd¬
östliche Teil Galiziens einer russischen Invasion wehrlos preisgegeben und nur
durch eine energische Offensive zu schützen ist."

Ähnlich urteilt der Verfasser der "Gedanken über Österreich-Ungarns
militür-politische Lage." Er sagt: "Auf den Umstand, daß die österreichisch-
ungarische Armee bei der Mobilisierung einen bedeutenden Vorsprung gewinne,
muß das Hauptgewicht gelegt werden; denn dieser Vorsprung sichert ihr die
strategische Offensive, ermöglicht ihr, bei Beginn des Feldzugs numerisch
überlegen aufzutreten und verheißt ihr die ersten Erfolge, die für den weiteren
Gang der Dinge häufig entscheidend sind, auf alle Fälle aber Verbündete an
unsrer Südgrenze werben und Disharmonien im Innern des Reiches auflöse,?
werden," wobei an den Ausspruch Metternichs erinnert wird: ,,Wenn ein neuer
Schlag (es war im Juli 1809) unglücklich ausfällt oder ein glücklicher nicht


zur Vollendung seiner Mobilmachung noch immer etwa vier Wochen und wahr¬
scheinlich noch mehr Zeit, wogegen seine Nachbarn im Westen vermöge der ge¬
ringern Ausdehnung ihres Gebietes, ihres unvergleichlich vollkommneren Eisen¬
bahn und Telegraphenfhstemes, ihrer erprobteren militärischen Organisation und
ihres (wenigstens in Deutschland) unbedingt sicher und Schlag auf Schlag ar¬
beitenden Mobilinachungsapparats kaum den dritten Teil der für Rußland er-
sorderlichen Zeit zur Mobilmachung und zum Ausmarsche ihrer Armee nötig
haben und diesen Vorteil unzweifelhaft bestens und nachdrücklichst wahrnehmen
werden.

Der Verfasser der Schrift: „Das Kriegstheater an der Weichsel" meint
in diesen: Zusammenhange, man könne vielleicht fragen, ob der deutsch-
österreichische Bündnisvertrag nach seinem Wortlaute nicht hinfällig werde,
sobald einer der Kontrahenten als angreifender Teil auftrete. Er ant¬
wortet: „Eine solche Auffassung dürfte weder dem Sinne, noch dem Zwecke
des Vertrags entsprechen. Dieser hat den Zweck, den Frieden zu sichern,
es würde daher widersinnig sein und die entgegengesetzte Wirkung haben,
wenn er den Verbündeten die Verpflichtung auferlegen sollte, obgleich sie
aus Trnppenkvnzentrationen und sonstigen untrüglichen kriegerischen Vorberei-
tungen zweifellos erkennen, daß Nußland sofort nach Beendigung seiner
Rüstungen gegen einen der Unterzeichner des Vertrags loszuschlagen beab¬
sichtigt, den Angriff ruhig zu erwarten. „Vou Seiten des Bedrohten wird es
geradezu ein Vergehen gegen die Sicherheit des eignen Staates sein, wenn er
in diesem Falle einen Augenblick zögern wollte, die Überlegenheit seiner staat¬
lichen Einrichtungen, seiner besseren Armeeorganisation und seiner höhern Be¬
fähigung, rasch für den Krieg bereit zu werden, nicht auf das rücksichtsloseste
auszunützen, dem drohenden Angriffe zuvorzukommen und alle Vorteile der
Offensive sich selbst zuzuwenden. Sache der Diplomatie würde es sein, die
aggressiven Absichten Rußlands vor Europa als unzweifelbar darzulegen. Für
Osterreich wird ein solcher Entschluß um so mehr zur Pflicht, als der süd¬
östliche Teil Galiziens einer russischen Invasion wehrlos preisgegeben und nur
durch eine energische Offensive zu schützen ist."

Ähnlich urteilt der Verfasser der „Gedanken über Österreich-Ungarns
militür-politische Lage." Er sagt: „Auf den Umstand, daß die österreichisch-
ungarische Armee bei der Mobilisierung einen bedeutenden Vorsprung gewinne,
muß das Hauptgewicht gelegt werden; denn dieser Vorsprung sichert ihr die
strategische Offensive, ermöglicht ihr, bei Beginn des Feldzugs numerisch
überlegen aufzutreten und verheißt ihr die ersten Erfolge, die für den weiteren
Gang der Dinge häufig entscheidend sind, auf alle Fälle aber Verbündete an
unsrer Südgrenze werben und Disharmonien im Innern des Reiches auflöse,?
werden," wobei an den Ausspruch Metternichs erinnert wird: ,,Wenn ein neuer
Schlag (es war im Juli 1809) unglücklich ausfällt oder ein glücklicher nicht


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/600>, abgerufen am 28.09.2024.