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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten
3

iederholt haben wir in den vorigen beiden Abschnitten darauf
aufmerksam gemacht, daß dem Bündnisvertrage von 1879 nur
die Sorge um die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit
der beiden Mächte an der Westgrenze Rußlands das Dasein
gab, daß ihm also durchaus keine andern Absichten zu Grunde
liegen, und daß der cWus tosclsris hier nur eintritt, wenn Rußland einen der
beiden Verbündeten oder beide allein oder mit einer oder mehrern Mächten vereint
angreift, daß dagegen der Fall eines Angriffs Rußlands durch einen der
Vertragschließenden nicht vorgesehen, also wohl stillschweigend ausgeschlossen
ist. Desgleichen ist schon angedeutet, daß Rußland allein beide verbündete
Reiche zugleich anzufallen nicht die Macht hat, und daß es, eben des Ver¬
teidigungsbündnisses wegen, sehr bald beide gegen sich haben würde, wenn es
einem von ihnen den Krieg erklären wollte. Rußland wird nur angreifen,
wenn es dabei den Beistand einer andern Macht findet, und ein Blick auf die
Geschichte der letzten Jahre und auf die Gegenwart, soweit sie sich in den
Zeitungen spiegelt, läßt kaum zweifeln, daß diese Macht Frankreich sein wird,
und zwar Frankreich allein. Es fragt sich also nur, ob Rußland und Frank¬
reich infolge geheimer Verträge gemeinsam losbrechen werden, oder ob nur eins
von ihnen auf Grund zwingender Umstände den Kampf eröffnen, das andre
aber vorläufig warten wird, wie die ersten Zusammenstöße verlaufen. Im
letztern Falle ist es von großer Wichtigkeit, auf welcher Seite, ob auf der
östlichen oder der westlichen, der Angriff zuerst erfolgt. Am günstigsten für
Rußland würde diese Frage gelöst werden, wenn Frankreich zuerst dem Deutschen
Reiche den Krieg erklärte, da es dann den größten Teil von dessen Wehrkraft


Grenzboten I 1889 74


Militärisch-politische Blicke nach Osten
3

iederholt haben wir in den vorigen beiden Abschnitten darauf
aufmerksam gemacht, daß dem Bündnisvertrage von 1879 nur
die Sorge um die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit
der beiden Mächte an der Westgrenze Rußlands das Dasein
gab, daß ihm also durchaus keine andern Absichten zu Grunde
liegen, und daß der cWus tosclsris hier nur eintritt, wenn Rußland einen der
beiden Verbündeten oder beide allein oder mit einer oder mehrern Mächten vereint
angreift, daß dagegen der Fall eines Angriffs Rußlands durch einen der
Vertragschließenden nicht vorgesehen, also wohl stillschweigend ausgeschlossen
ist. Desgleichen ist schon angedeutet, daß Rußland allein beide verbündete
Reiche zugleich anzufallen nicht die Macht hat, und daß es, eben des Ver¬
teidigungsbündnisses wegen, sehr bald beide gegen sich haben würde, wenn es
einem von ihnen den Krieg erklären wollte. Rußland wird nur angreifen,
wenn es dabei den Beistand einer andern Macht findet, und ein Blick auf die
Geschichte der letzten Jahre und auf die Gegenwart, soweit sie sich in den
Zeitungen spiegelt, läßt kaum zweifeln, daß diese Macht Frankreich sein wird,
und zwar Frankreich allein. Es fragt sich also nur, ob Rußland und Frank¬
reich infolge geheimer Verträge gemeinsam losbrechen werden, oder ob nur eins
von ihnen auf Grund zwingender Umstände den Kampf eröffnen, das andre
aber vorläufig warten wird, wie die ersten Zusammenstöße verlaufen. Im
letztern Falle ist es von großer Wichtigkeit, auf welcher Seite, ob auf der
östlichen oder der westlichen, der Angriff zuerst erfolgt. Am günstigsten für
Rußland würde diese Frage gelöst werden, wenn Frankreich zuerst dem Deutschen
Reiche den Krieg erklärte, da es dann den größten Teil von dessen Wehrkraft


Grenzboten I 1889 74
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[0593] [Abbildung] Militärisch-politische Blicke nach Osten 3 iederholt haben wir in den vorigen beiden Abschnitten darauf aufmerksam gemacht, daß dem Bündnisvertrage von 1879 nur die Sorge um die Erhaltung des Friedens und der Sicherheit der beiden Mächte an der Westgrenze Rußlands das Dasein gab, daß ihm also durchaus keine andern Absichten zu Grunde liegen, und daß der cWus tosclsris hier nur eintritt, wenn Rußland einen der beiden Verbündeten oder beide allein oder mit einer oder mehrern Mächten vereint angreift, daß dagegen der Fall eines Angriffs Rußlands durch einen der Vertragschließenden nicht vorgesehen, also wohl stillschweigend ausgeschlossen ist. Desgleichen ist schon angedeutet, daß Rußland allein beide verbündete Reiche zugleich anzufallen nicht die Macht hat, und daß es, eben des Ver¬ teidigungsbündnisses wegen, sehr bald beide gegen sich haben würde, wenn es einem von ihnen den Krieg erklären wollte. Rußland wird nur angreifen, wenn es dabei den Beistand einer andern Macht findet, und ein Blick auf die Geschichte der letzten Jahre und auf die Gegenwart, soweit sie sich in den Zeitungen spiegelt, läßt kaum zweifeln, daß diese Macht Frankreich sein wird, und zwar Frankreich allein. Es fragt sich also nur, ob Rußland und Frank¬ reich infolge geheimer Verträge gemeinsam losbrechen werden, oder ob nur eins von ihnen auf Grund zwingender Umstände den Kampf eröffnen, das andre aber vorläufig warten wird, wie die ersten Zusammenstöße verlaufen. Im letztern Falle ist es von großer Wichtigkeit, auf welcher Seite, ob auf der östlichen oder der westlichen, der Angriff zuerst erfolgt. Am günstigsten für Rußland würde diese Frage gelöst werden, wenn Frankreich zuerst dem Deutschen Reiche den Krieg erklärte, da es dann den größten Teil von dessen Wehrkraft Grenzboten I 1889 74

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/593>, abgerufen am 28.09.2024.