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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

Weitere auslassen, weil es eine Erörterung brauchte, zu der hier nicht der
Platz ist, die aber zum Teil genügend angedeutet ist) solche Bevormundung
entschieden zurückweisen."

Bevormundung? wessen denn? der Schriftsteller selber? Wer um Himmels
willen soll denn auch uur in einem dummen Traume darauf verfallen, und
wär es ein Minister, Männer wie Gerok, Döllinger, Freytag, Treitschke u. s. w.
in ihrem Deutsch als ungesehener Kobold hinter dem Schreibtisch in Vormund¬
schaft nehmen zu wollen? Und doch klingt das eigentlich so, als wäre das
Wirken des Vereins schon so angewachsen, daß die Schriftsteller vor dem Augen¬
blicke ständen, wo es hieße: "Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!"
Wir lernen von ihnen, sind innig dankbar für die guten Stunden, in denen
wir uns durch sie bereichert, beglückt, gestärkt fühlten, aber wahren dabei unsre
Freiheit auch vor ihnen, also z.B. auch in der Fremdwörterfrage -- das ist
gut germanisch und solls bleiben, treue Hingebung mit innerer Freiheit gepaart.

Regelung des Sprachgebrauchs von oben? Wenn es jugendliche Hei߬
sporne einzeln giebt, denen das als Hilfe in der Not einmal in die Gedanken
tritt, so ist das menschlich begreiflich, aber es wäre französisch gedacht, nicht
deutsch, und der Verein als solcher denkt nicht im Traum daran! Als ich
seiner Zeit zu der Conferenz für Regelung der Rechtschreibung mit nach Berlin
berufen wurde als Vertreter des Grimmscheu Wörterbuchs, mußte ich wegen
Unwohlseins mich entschuldigen, war aber im Stillen recht froh darüber, weil
ich bei meiner festen Gesinnung in Bezug auf Sprachentwicklung doch nur
mich und die Andern dort geärgert hätte. Freiheit ist freilich das rechte einzige
Losungswort, nur nicht in einem gewissen Parteisinne von heilte, sondern ge¬
paart mit treuer, selbstvergessener Hingebung an das lebendige Ganze. Diese
Paarung als Grundsatz alles menschlichen Gedeihens ist nirgends so deutlich
als das naturnotwendige und Gottgewollte zu erkennen, als gerade an der
Sprache. Nur willige, frei willige Mitglieder siud es, die der Sprachverein
sucht, nicht solche, die sich Gewalt angethan oder bevormundet fühlen.

Oder ist dabei an eine Akademie für deutsche Sprache gedacht? Der Ge¬
danke daran ist allerdings im Verein aufgetaucht, aber von der Mehrheit gut
deutsch zurückgewiesen worden. Soll es aber nicht erlaubt sein, die Frage
aufzuwerfen? nicht eine Stelle geben, wo solche Fragen verhandelt werden?
Daß eine bejahende Antwort nicht so von vornher.ein zu verwerfen ist l> llnünö
abzuweisen wäre der Modeausdruck), das zeigt doch wohl Du Bois-Neymonds
warmes Eintreten dafür, und der ziemlich vergessene Umstand, den ich deshalb
in der Vorrede zum fünften Bande des Grimmschcn Wörterbuchs wieder ins
Bewußtsein zu rufen mich bemühte, daß die Berliner Akademie der Wissen¬
schaften von Haus aus zu keinem andern Zweck gegründet ist; Leibniz wollte
damit der deutschen Sprache und dem deutschen Geiste überhaupt eine Art
Geistesbehörde schaffen, um dem Deutschtum in Deutschland und Europa endlich


Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

Weitere auslassen, weil es eine Erörterung brauchte, zu der hier nicht der
Platz ist, die aber zum Teil genügend angedeutet ist) solche Bevormundung
entschieden zurückweisen."

Bevormundung? wessen denn? der Schriftsteller selber? Wer um Himmels
willen soll denn auch uur in einem dummen Traume darauf verfallen, und
wär es ein Minister, Männer wie Gerok, Döllinger, Freytag, Treitschke u. s. w.
in ihrem Deutsch als ungesehener Kobold hinter dem Schreibtisch in Vormund¬
schaft nehmen zu wollen? Und doch klingt das eigentlich so, als wäre das
Wirken des Vereins schon so angewachsen, daß die Schriftsteller vor dem Augen¬
blicke ständen, wo es hieße: „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!"
Wir lernen von ihnen, sind innig dankbar für die guten Stunden, in denen
wir uns durch sie bereichert, beglückt, gestärkt fühlten, aber wahren dabei unsre
Freiheit auch vor ihnen, also z.B. auch in der Fremdwörterfrage — das ist
gut germanisch und solls bleiben, treue Hingebung mit innerer Freiheit gepaart.

Regelung des Sprachgebrauchs von oben? Wenn es jugendliche Hei߬
sporne einzeln giebt, denen das als Hilfe in der Not einmal in die Gedanken
tritt, so ist das menschlich begreiflich, aber es wäre französisch gedacht, nicht
deutsch, und der Verein als solcher denkt nicht im Traum daran! Als ich
seiner Zeit zu der Conferenz für Regelung der Rechtschreibung mit nach Berlin
berufen wurde als Vertreter des Grimmscheu Wörterbuchs, mußte ich wegen
Unwohlseins mich entschuldigen, war aber im Stillen recht froh darüber, weil
ich bei meiner festen Gesinnung in Bezug auf Sprachentwicklung doch nur
mich und die Andern dort geärgert hätte. Freiheit ist freilich das rechte einzige
Losungswort, nur nicht in einem gewissen Parteisinne von heilte, sondern ge¬
paart mit treuer, selbstvergessener Hingebung an das lebendige Ganze. Diese
Paarung als Grundsatz alles menschlichen Gedeihens ist nirgends so deutlich
als das naturnotwendige und Gottgewollte zu erkennen, als gerade an der
Sprache. Nur willige, frei willige Mitglieder siud es, die der Sprachverein
sucht, nicht solche, die sich Gewalt angethan oder bevormundet fühlen.

Oder ist dabei an eine Akademie für deutsche Sprache gedacht? Der Ge¬
danke daran ist allerdings im Verein aufgetaucht, aber von der Mehrheit gut
deutsch zurückgewiesen worden. Soll es aber nicht erlaubt sein, die Frage
aufzuwerfen? nicht eine Stelle geben, wo solche Fragen verhandelt werden?
Daß eine bejahende Antwort nicht so von vornher.ein zu verwerfen ist l> llnünö
abzuweisen wäre der Modeausdruck), das zeigt doch wohl Du Bois-Neymonds
warmes Eintreten dafür, und der ziemlich vergessene Umstand, den ich deshalb
in der Vorrede zum fünften Bande des Grimmschcn Wörterbuchs wieder ins
Bewußtsein zu rufen mich bemühte, daß die Berliner Akademie der Wissen¬
schaften von Haus aus zu keinem andern Zweck gegründet ist; Leibniz wollte
damit der deutschen Sprache und dem deutschen Geiste überhaupt eine Art
Geistesbehörde schaffen, um dem Deutschtum in Deutschland und Europa endlich


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[0587] Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein Weitere auslassen, weil es eine Erörterung brauchte, zu der hier nicht der Platz ist, die aber zum Teil genügend angedeutet ist) solche Bevormundung entschieden zurückweisen." Bevormundung? wessen denn? der Schriftsteller selber? Wer um Himmels willen soll denn auch uur in einem dummen Traume darauf verfallen, und wär es ein Minister, Männer wie Gerok, Döllinger, Freytag, Treitschke u. s. w. in ihrem Deutsch als ungesehener Kobold hinter dem Schreibtisch in Vormund¬ schaft nehmen zu wollen? Und doch klingt das eigentlich so, als wäre das Wirken des Vereins schon so angewachsen, daß die Schriftsteller vor dem Augen¬ blicke ständen, wo es hieße: „Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!" Wir lernen von ihnen, sind innig dankbar für die guten Stunden, in denen wir uns durch sie bereichert, beglückt, gestärkt fühlten, aber wahren dabei unsre Freiheit auch vor ihnen, also z.B. auch in der Fremdwörterfrage — das ist gut germanisch und solls bleiben, treue Hingebung mit innerer Freiheit gepaart. Regelung des Sprachgebrauchs von oben? Wenn es jugendliche Hei߬ sporne einzeln giebt, denen das als Hilfe in der Not einmal in die Gedanken tritt, so ist das menschlich begreiflich, aber es wäre französisch gedacht, nicht deutsch, und der Verein als solcher denkt nicht im Traum daran! Als ich seiner Zeit zu der Conferenz für Regelung der Rechtschreibung mit nach Berlin berufen wurde als Vertreter des Grimmscheu Wörterbuchs, mußte ich wegen Unwohlseins mich entschuldigen, war aber im Stillen recht froh darüber, weil ich bei meiner festen Gesinnung in Bezug auf Sprachentwicklung doch nur mich und die Andern dort geärgert hätte. Freiheit ist freilich das rechte einzige Losungswort, nur nicht in einem gewissen Parteisinne von heilte, sondern ge¬ paart mit treuer, selbstvergessener Hingebung an das lebendige Ganze. Diese Paarung als Grundsatz alles menschlichen Gedeihens ist nirgends so deutlich als das naturnotwendige und Gottgewollte zu erkennen, als gerade an der Sprache. Nur willige, frei willige Mitglieder siud es, die der Sprachverein sucht, nicht solche, die sich Gewalt angethan oder bevormundet fühlen. Oder ist dabei an eine Akademie für deutsche Sprache gedacht? Der Ge¬ danke daran ist allerdings im Verein aufgetaucht, aber von der Mehrheit gut deutsch zurückgewiesen worden. Soll es aber nicht erlaubt sein, die Frage aufzuwerfen? nicht eine Stelle geben, wo solche Fragen verhandelt werden? Daß eine bejahende Antwort nicht so von vornher.ein zu verwerfen ist l> llnünö abzuweisen wäre der Modeausdruck), das zeigt doch wohl Du Bois-Neymonds warmes Eintreten dafür, und der ziemlich vergessene Umstand, den ich deshalb in der Vorrede zum fünften Bande des Grimmschcn Wörterbuchs wieder ins Bewußtsein zu rufen mich bemühte, daß die Berliner Akademie der Wissen¬ schaften von Haus aus zu keinem andern Zweck gegründet ist; Leibniz wollte damit der deutschen Sprache und dem deutschen Geiste überhaupt eine Art Geistesbehörde schaffen, um dem Deutschtum in Deutschland und Europa endlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/587>, abgerufen am 28.09.2024.