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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

Purismus? Und wenn er in seinem Deutsch interessant und seine Sippe durchaus
meidet, Wohl auch? Es giebt eben auch an der Oberfläche zu arbeiten. Und wenn
Schiller von der "Auswahl einer Nation" spricht (in der Rezension von Bürgers
Gedichten vom Jahre 1791), also das französische 6Ins kurzweg übersetzt, was
ist das anders als "Purismus"? Ist er doch auch bei Goethe zu finden.
Wenn er z. B. dem ästhetisch so wichtigen Katastrophe ausweicht mit einfacher
Übersetzung: "kurz vor der Anwendung," d. h. im Aufbau des Mahomet
(Wcchrh. u. D. 14. Buch a. E.), oder combiniren: "Ich erfand, verknüpfte,
arbeitete durch" (ebenda 12. Buch, wo von Höpfner die Rede ist), so weht
uns das doch unfehlbar "puristisch" an? Also auch dieses kleine teutsch¬
gesinnte Thun, das an die nichtstudirteu Leser denkt, wird man doch nicht
einfach verdammen oder verhöhnen können, wie es bei der "Elite der Nation"
Mode ist. Und mit der Berufung auf unsre Klassiker: "Die Unterzeichneten
wollen in diesen Fragen da stehen, wo die freien Meister der Sprache, unsre
Klassiker, standen," damit gewinnen sie keineswegs den festen Standpunkt, deu
sie dort zu haben meinen, wie die paar Belege zeigen können, zu deren Häu¬
fung ja hier der Platz nicht ist; es giebt dort kein bequemes Ruhekissen für
die Frcmdwörterfrage, sie ist da vielmehr in lebhaftester Bewegung, vorwiegend
aber bei allem Schwanken in der Richtung, in welcher der Verein arbeitet, eine
Arbeit, die bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückgeht wie die Fremdwörterfrage.

Daß auch die Erklärung diese Richtung nicht nur anerkennt, sondern auch
in ihr geht, zeigt nicht nur das Vermeiden unnötiger Fremdwörter darin (das
den Verfasser sicher einige Gewalt gekostet hat) -- denn praktisch, Autorität,
national, Litteratur, pädagogisch, Vereinsorgan sind ja sogenannte recipirte
Fremdwörter, dafür wird z. B. kosmopolitisch mit weltbürgerlich gegeben,
Protest mit Verwahrung, sodaß auch der Verein, wenigstens in seinem rechten
Flügel, auch dem Centrum, damit völlig zufrieden sein und seine Frende daran
haben kann -- sondern auch die bestimmten Erklärungen: "Sie meinen aller¬
dings, daß verständige Rede und Schrift von berufener Seite (nur durch ihren
Einfluß als stilles Vorbild?) dem verschwenderischen Mißbräuche der Fremd¬
wörter im geselligen und geschäftlichen Verkehre steuern kann" und "Die Unter¬
zeichneten, denen es fern liegt, den Überschwang der Sprachmengerei zu schützen"
-- wozu also die Gegnerschaft? und zwar mit einen: Grundklange vou Ent¬
rüstung, die selbst in stille Erbitterung übergehen will, nur lange geduldig
angesammelt, bis sie endlich überwallen mußte, wie ein kochender Topf?

Bevormundung, die sich zeigen soll, ist es, was den wallenden Unwillen
zum Überlaufen gebracht hat: "Jetzt, wo der Gesammtvvrstand die Autorität
der Regierung anruft, die Schule in den Dienst seiner Bestrebungen stellen
und nach dein Muster der Rechtschreibung auch den Sprachgebrauch von oben
geregelt sehen möchte, fühlen die Unterzeichneten sich gedrungen, öffentlich zu
erklären, daß sie auf Grund der Entwicklung unsrer Sprache (ich muß das


Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

Purismus? Und wenn er in seinem Deutsch interessant und seine Sippe durchaus
meidet, Wohl auch? Es giebt eben auch an der Oberfläche zu arbeiten. Und wenn
Schiller von der „Auswahl einer Nation" spricht (in der Rezension von Bürgers
Gedichten vom Jahre 1791), also das französische 6Ins kurzweg übersetzt, was
ist das anders als „Purismus"? Ist er doch auch bei Goethe zu finden.
Wenn er z. B. dem ästhetisch so wichtigen Katastrophe ausweicht mit einfacher
Übersetzung: „kurz vor der Anwendung," d. h. im Aufbau des Mahomet
(Wcchrh. u. D. 14. Buch a. E.), oder combiniren: „Ich erfand, verknüpfte,
arbeitete durch" (ebenda 12. Buch, wo von Höpfner die Rede ist), so weht
uns das doch unfehlbar „puristisch" an? Also auch dieses kleine teutsch¬
gesinnte Thun, das an die nichtstudirteu Leser denkt, wird man doch nicht
einfach verdammen oder verhöhnen können, wie es bei der „Elite der Nation"
Mode ist. Und mit der Berufung auf unsre Klassiker: „Die Unterzeichneten
wollen in diesen Fragen da stehen, wo die freien Meister der Sprache, unsre
Klassiker, standen," damit gewinnen sie keineswegs den festen Standpunkt, deu
sie dort zu haben meinen, wie die paar Belege zeigen können, zu deren Häu¬
fung ja hier der Platz nicht ist; es giebt dort kein bequemes Ruhekissen für
die Frcmdwörterfrage, sie ist da vielmehr in lebhaftester Bewegung, vorwiegend
aber bei allem Schwanken in der Richtung, in welcher der Verein arbeitet, eine
Arbeit, die bis ins sechzehnte Jahrhundert zurückgeht wie die Fremdwörterfrage.

Daß auch die Erklärung diese Richtung nicht nur anerkennt, sondern auch
in ihr geht, zeigt nicht nur das Vermeiden unnötiger Fremdwörter darin (das
den Verfasser sicher einige Gewalt gekostet hat) — denn praktisch, Autorität,
national, Litteratur, pädagogisch, Vereinsorgan sind ja sogenannte recipirte
Fremdwörter, dafür wird z. B. kosmopolitisch mit weltbürgerlich gegeben,
Protest mit Verwahrung, sodaß auch der Verein, wenigstens in seinem rechten
Flügel, auch dem Centrum, damit völlig zufrieden sein und seine Frende daran
haben kann — sondern auch die bestimmten Erklärungen: „Sie meinen aller¬
dings, daß verständige Rede und Schrift von berufener Seite (nur durch ihren
Einfluß als stilles Vorbild?) dem verschwenderischen Mißbräuche der Fremd¬
wörter im geselligen und geschäftlichen Verkehre steuern kann" und „Die Unter¬
zeichneten, denen es fern liegt, den Überschwang der Sprachmengerei zu schützen"
— wozu also die Gegnerschaft? und zwar mit einen: Grundklange vou Ent¬
rüstung, die selbst in stille Erbitterung übergehen will, nur lange geduldig
angesammelt, bis sie endlich überwallen mußte, wie ein kochender Topf?

Bevormundung, die sich zeigen soll, ist es, was den wallenden Unwillen
zum Überlaufen gebracht hat: „Jetzt, wo der Gesammtvvrstand die Autorität
der Regierung anruft, die Schule in den Dienst seiner Bestrebungen stellen
und nach dein Muster der Rechtschreibung auch den Sprachgebrauch von oben
geregelt sehen möchte, fühlen die Unterzeichneten sich gedrungen, öffentlich zu
erklären, daß sie auf Grund der Entwicklung unsrer Sprache (ich muß das


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/586>, abgerufen am 29.06.2024.