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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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D>e Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

zu seinem ganzen Rechte zu verhelfen, war er doch "teutschgesinuet" durch und
durch und sah in jener Hebung des Deutschtums sein höchstes Lebensziel,
Mir selbst ist der Gedanke oft genug nahe getreten, dn ich seit dreißig Jahren
unzählige Male angegangen worden bin, von Einzelnen wie auch von Behörden,
mit Fragen, was denn dies und das seltne Wort eigentlich und genau bedeute
oder was das Nichtige wäre in einem einzelnen Sprachstreit, auch wie man
dies und jenes Fremdwort gut deutsch geben könne. So wäre eine solche
Stelle sür solche Auskünfte und Ratschläge doch wohl brauchbar in unserm
neu aufsteigenden Leben, in dem das Sprachlebcn, wie seit Jahrhunderten
gerade bei uns im Kampfe nur unser Dasein, eine besonders wichtige Stellung
einnimmt, es ist und bleibt der treue Spiegel des Geisteslebens in seiner Ge¬
sundheit und seinem Streben.

Unter den Vorwürfen, auf welche hin die drohende Bevormundung zurück-
gewiesen wird, steht der voran, daß der Verein nun sogar "die Schule in den
Dienst seiner Bestrebungen stellen möchte," und einige namhafte Schuldirektoren
sind deshalb mit zugezogen worden, um die Verwahrung zu unterzeichnen.
Wird also eine Bevormundung der Nation gefürchtet durch die Gefangen¬
nehmung der nachwachsenden Geschlechter unter das Joch des Vereins? Ich
bin auch Schulmann gewesen viele Jahre lang, besonders gerade im Dienste
des deutschen Unterrichts, und habe die dafür auftauchenden Fragen recht
reiflich durchdacht, durchlebt. Wenn hier in Bezug auf die Sprache als ge¬
nügendes Ziel aufgesteckt wird, daß die Jugend, "wie bisher, zum saubern
Gebrauch der Sprache angeleitet werde," so ist das ja um sich ganz recht (nur
daß man dein unsichern "sauber" doch anmerkt, wie man dem altherkömmlichen
"rein" ausweichen wollte, da es ja den Fremdwörtern zu Leibe gehen konnte) --
aber mit seiner negativen Seite ist es zugleich so dürftig, daß ichs nicht fertig
bringe zu begreifen, wie dem geistvolle Schulhänpter haben ihren Stempel
leihen können; sie gewannen freilich damit Deckung für ihre eigne Gewöhnung
an die Fremdwörterei, was auch bei manchem, andern Unterzeichner mitgewirkt
haben mag. Oder ist das zu boshaft gedacht? das sollte mich freuen. Ich
habe in meiner Schrift über den deutschen Sprachunterricht unter wachsendem
Beifall der Lehrerschaft schon für untere Klassen der Volksschule das Ziel höher
und tiefer ausgesteckt, als hiermit doch auch für die obersten Klassen der Ge¬
lehrtenschulen geschieht. Auch von der Fremdwörterfrage ist dort aufs ein¬
gehendste die Rede, die recht eigentlich in die Schule gehört, von der Volks¬
schule angefangen bis zu den höchsten. Nicht um die Fremdlinge tot zu
schlagen, sondern den Schülern ihnen gegenüber innere Freiheit, ich will kurz
sagen, ihre deutsche Freiheit wiederzugeben (die gar mancher geübte und nam¬
hafte Schriftsteller -- verloren hat), und um die Fremden zugleich zu benutzen
zur Einführung der Schüler in das Kulturleben der Völker und der Menschheit,
daß sie daran einen freien, weiten Blick gewinnen in das große Gesamtleben


D>e Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

zu seinem ganzen Rechte zu verhelfen, war er doch „teutschgesinuet" durch und
durch und sah in jener Hebung des Deutschtums sein höchstes Lebensziel,
Mir selbst ist der Gedanke oft genug nahe getreten, dn ich seit dreißig Jahren
unzählige Male angegangen worden bin, von Einzelnen wie auch von Behörden,
mit Fragen, was denn dies und das seltne Wort eigentlich und genau bedeute
oder was das Nichtige wäre in einem einzelnen Sprachstreit, auch wie man
dies und jenes Fremdwort gut deutsch geben könne. So wäre eine solche
Stelle sür solche Auskünfte und Ratschläge doch wohl brauchbar in unserm
neu aufsteigenden Leben, in dem das Sprachlebcn, wie seit Jahrhunderten
gerade bei uns im Kampfe nur unser Dasein, eine besonders wichtige Stellung
einnimmt, es ist und bleibt der treue Spiegel des Geisteslebens in seiner Ge¬
sundheit und seinem Streben.

Unter den Vorwürfen, auf welche hin die drohende Bevormundung zurück-
gewiesen wird, steht der voran, daß der Verein nun sogar „die Schule in den
Dienst seiner Bestrebungen stellen möchte," und einige namhafte Schuldirektoren
sind deshalb mit zugezogen worden, um die Verwahrung zu unterzeichnen.
Wird also eine Bevormundung der Nation gefürchtet durch die Gefangen¬
nehmung der nachwachsenden Geschlechter unter das Joch des Vereins? Ich
bin auch Schulmann gewesen viele Jahre lang, besonders gerade im Dienste
des deutschen Unterrichts, und habe die dafür auftauchenden Fragen recht
reiflich durchdacht, durchlebt. Wenn hier in Bezug auf die Sprache als ge¬
nügendes Ziel aufgesteckt wird, daß die Jugend, „wie bisher, zum saubern
Gebrauch der Sprache angeleitet werde," so ist das ja um sich ganz recht (nur
daß man dein unsichern „sauber" doch anmerkt, wie man dem altherkömmlichen
„rein" ausweichen wollte, da es ja den Fremdwörtern zu Leibe gehen konnte) —
aber mit seiner negativen Seite ist es zugleich so dürftig, daß ichs nicht fertig
bringe zu begreifen, wie dem geistvolle Schulhänpter haben ihren Stempel
leihen können; sie gewannen freilich damit Deckung für ihre eigne Gewöhnung
an die Fremdwörterei, was auch bei manchem, andern Unterzeichner mitgewirkt
haben mag. Oder ist das zu boshaft gedacht? das sollte mich freuen. Ich
habe in meiner Schrift über den deutschen Sprachunterricht unter wachsendem
Beifall der Lehrerschaft schon für untere Klassen der Volksschule das Ziel höher
und tiefer ausgesteckt, als hiermit doch auch für die obersten Klassen der Ge¬
lehrtenschulen geschieht. Auch von der Fremdwörterfrage ist dort aufs ein¬
gehendste die Rede, die recht eigentlich in die Schule gehört, von der Volks¬
schule angefangen bis zu den höchsten. Nicht um die Fremdlinge tot zu
schlagen, sondern den Schülern ihnen gegenüber innere Freiheit, ich will kurz
sagen, ihre deutsche Freiheit wiederzugeben (die gar mancher geübte und nam¬
hafte Schriftsteller — verloren hat), und um die Fremden zugleich zu benutzen
zur Einführung der Schüler in das Kulturleben der Völker und der Menschheit,
daß sie daran einen freien, weiten Blick gewinnen in das große Gesamtleben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/588>, abgerufen am 28.09.2024.