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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

schulmeistern lassen, und es werden sich Unberufene herandrängen, die das Heil
im Knaupeln und Kritteln am Kleinen und Äußern suchen u. s. w. Aber Riegel,
der diese Bedenken vollständig anerkannte, wußte sie doch auch niederzuschlagen,
ich schlug freudig ein: Ja, es ist wieder einmal Zeit, wie im siebzehnten Jahr¬
hundert, zur Zeit der Fruchtbringenden Gesellschaft, mit gesamter Hand ans
Werk zu gehen, daß wir im Reden und Denken deutscher werden, als wirs
noch sind. Die Bewegung ist schon vou selber in Gang gekommen, recht ans
der gehobenen Stimmung des Ganzen heraus, wie allemal nach großen Stößen
von außen oder innen, die durch die Erschütterung wieder einmal das Gesamt¬
bewußtsein des Deutschtums wachriefen und steigerten, z. B. im Jahre 1813
und 1848, sie braucht aber eine vorsichtige Führung (die den "führenden
Schriftstellern" zukäme). Machen wir den Versuch! Der Geist der Zeit fordert
es, und was dabei Kleines und Kleinliches notwendig mit unterläuft, das ist
doch eben zu klein, um dem Großen deu Weg vertreten zu können. Nun sind
denn die Dinge in kurzer Zeit so gegangen, daß mau nach menschlichem Maße
mit dein Erfolge nicht bloß zufrieden, sondern hoch zufrieden sein kann. Ich
fürchtete gleich zuerst ganz besonders einen Stoß dagegen ans einer bestimmten
Windecke, die ja auch geschichtlich bekannt genug ist, ich will sie, um kurz zu
sein, die vornehm kühle nennen. Die Erklürnng bringt nun diesen Windstoß,
anch mit gesamter Hand, aber anch er kommt lange nicht so scharf und schlimm,
als ich gefürchtet hatte. Ja der Sache nach bläst er eigentlich in der Richtung,
in der der Verein arbeitet. Also gut!

Er will aber doch auch deu Verein treffen, möchte ihn am liebsten hinweg¬
blasen, wenigstens ans der Gunst der Nation, und ich habe schon von Mit¬
gliedern gehört, die auf die Erklärung hin ausgetreten sind. Am schärfsten trifft
wohl in der öffentlichen Meinung das Schlußwort von der "behenden Ge¬
schäftigkeit der Puristen, die nach Jnkvb Grimm in der Oberfläche der Sprache
herumreuten und wühlen." Welchen schlimmen Klang hat das Wort Purist,
Purismus, auch mir, schon wegen seiner barbarischen Bildung, die uoch dazu auf
einem Mißverständnis beruht (Puritanismus hieß es zuerst, im siebzehnten Jahr¬
hundert). Sein Begriff ist null ungefähr beschränktes deutschtümelndes Philistertum,
das auch nicht einmal, wie andres Philistertum, etwas Gemütliches an sich Hai.
Man denkt dabei an Campe, Jahr u. s. w. und kreuzige sich davor im stillen.
Ich muß doch diese Männer, seit ich sie mir selber genauer ansah, auch mit
ihren sprachlichen Bestrebungen durchaus in Ehren halten, gar manches nun
bestens anerkannte Wort ist von ihnen gemacht. Und wenn, wie der brave
Pfister, der in allerbester jugendlicher Begeisterung auch für den Verein doch
zu weit geht, neulich in der Kasseler Allgemeinen Zeitung (Ur. 70) aus münd¬
lichem Verkehr mitteilte, Jakob Grimm einmal Infanterie mit "das Vendich"
verdeutschen wollte, den Omnibus, der ihn offenbar auch ärgerte, wie Andre,
als er von England herüber geweht kam, mit "Allen," so ist das doch auch --


Grenzboten I 1889 73
Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Deutschen Sprachverein

schulmeistern lassen, und es werden sich Unberufene herandrängen, die das Heil
im Knaupeln und Kritteln am Kleinen und Äußern suchen u. s. w. Aber Riegel,
der diese Bedenken vollständig anerkannte, wußte sie doch auch niederzuschlagen,
ich schlug freudig ein: Ja, es ist wieder einmal Zeit, wie im siebzehnten Jahr¬
hundert, zur Zeit der Fruchtbringenden Gesellschaft, mit gesamter Hand ans
Werk zu gehen, daß wir im Reden und Denken deutscher werden, als wirs
noch sind. Die Bewegung ist schon vou selber in Gang gekommen, recht ans
der gehobenen Stimmung des Ganzen heraus, wie allemal nach großen Stößen
von außen oder innen, die durch die Erschütterung wieder einmal das Gesamt¬
bewußtsein des Deutschtums wachriefen und steigerten, z. B. im Jahre 1813
und 1848, sie braucht aber eine vorsichtige Führung (die den „führenden
Schriftstellern" zukäme). Machen wir den Versuch! Der Geist der Zeit fordert
es, und was dabei Kleines und Kleinliches notwendig mit unterläuft, das ist
doch eben zu klein, um dem Großen deu Weg vertreten zu können. Nun sind
denn die Dinge in kurzer Zeit so gegangen, daß mau nach menschlichem Maße
mit dein Erfolge nicht bloß zufrieden, sondern hoch zufrieden sein kann. Ich
fürchtete gleich zuerst ganz besonders einen Stoß dagegen ans einer bestimmten
Windecke, die ja auch geschichtlich bekannt genug ist, ich will sie, um kurz zu
sein, die vornehm kühle nennen. Die Erklürnng bringt nun diesen Windstoß,
anch mit gesamter Hand, aber anch er kommt lange nicht so scharf und schlimm,
als ich gefürchtet hatte. Ja der Sache nach bläst er eigentlich in der Richtung,
in der der Verein arbeitet. Also gut!

Er will aber doch auch deu Verein treffen, möchte ihn am liebsten hinweg¬
blasen, wenigstens ans der Gunst der Nation, und ich habe schon von Mit¬
gliedern gehört, die auf die Erklärung hin ausgetreten sind. Am schärfsten trifft
wohl in der öffentlichen Meinung das Schlußwort von der „behenden Ge¬
schäftigkeit der Puristen, die nach Jnkvb Grimm in der Oberfläche der Sprache
herumreuten und wühlen." Welchen schlimmen Klang hat das Wort Purist,
Purismus, auch mir, schon wegen seiner barbarischen Bildung, die uoch dazu auf
einem Mißverständnis beruht (Puritanismus hieß es zuerst, im siebzehnten Jahr¬
hundert). Sein Begriff ist null ungefähr beschränktes deutschtümelndes Philistertum,
das auch nicht einmal, wie andres Philistertum, etwas Gemütliches an sich Hai.
Man denkt dabei an Campe, Jahr u. s. w. und kreuzige sich davor im stillen.
Ich muß doch diese Männer, seit ich sie mir selber genauer ansah, auch mit
ihren sprachlichen Bestrebungen durchaus in Ehren halten, gar manches nun
bestens anerkannte Wort ist von ihnen gemacht. Und wenn, wie der brave
Pfister, der in allerbester jugendlicher Begeisterung auch für den Verein doch
zu weit geht, neulich in der Kasseler Allgemeinen Zeitung (Ur. 70) aus münd¬
lichem Verkehr mitteilte, Jakob Grimm einmal Infanterie mit „das Vendich"
verdeutschen wollte, den Omnibus, der ihn offenbar auch ärgerte, wie Andre,
als er von England herüber geweht kam, mit „Allen," so ist das doch auch —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/585>, abgerufen am 29.06.2024.