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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Veutschen Sprachverein

heit und mit ungefährer Gewißheit zllgleich vorwärts sehen kann, wie in dem
Streit, dem Hin- und Herziehen die Dinge gehen und gehen werden.

Auch die Erklärung tritt mehrfach auf höhern geschichtlichen Standpunkt,
besonders in dem Satze: "Unsre durch die Freiheit gedeihende Sprache hat
nach jeder Hochflut von Fremdwörtern allmählich das ihrem Geiste Fremde
wieder ausgeschieden, aber die Wvrtbilder neuer Begriffe als bereichernden
Gewinn festgehalten." Also eigentlich der volkswirtschaftliche Grundsatz der
Manchesterschule aus das große Sprachleben übertragen. Er enthält ja eine
wahre, dabei noch ziemlich neue tröstliche Weisheit, aber nur innerhalb ge¬
wisser Grenzen, mit der Gefahr schädlicher Übertreibung. Gehört das Sprach¬
leben ganz in diese Grenzen? Kann mau sagen: laßt nur die Flut herein
und frei walten, das Überflüssige und Schädliche läuft von selbst wieder ab,
ohne daß jemand die Hand dazu rührt? das besorgt der Geist der Sprache!
Ja wo ist und wirkt denn der Geist? Doch nur in den Einzelnen, nicht ohne
oder gar wider sie als eine höhere göttliche, unpersönliche Gewalt? In den
"führenden Schriftstellern" soll er sein Wirken entfalten, oder sie geben ihr
Führeramt an Andre ab, die die Geführten sein sollen, an die Masse. Wollen
das die Unterzeichner? Eben nicht! aber sie thuus in der Fremdwörterfrage
eigentlich grundsätzlich in jenem Satze. Oder nicht?

Bei der "Hochflut" übrigens möchte man gern wissen, ob damit für jetzt
oder die letzte Zeit vor der Spmchbewegung eine solche "Hochflut von Fremd¬
wörtern" als bestehend zugestanden wird? Es klingt doch wirklich so, schon
weil der eigentliche Sinn des Satzes im Zusammenhange kein andrer sein kann
als: der Sprachverein ist ganz unnötig, was er Gutes oder Rechtes wollen
kann, wird von selber kommen, es kostet nur Zeit und Geduld -- und: wir
thun jedenfalls nichts dazu, weil das verkehrt wäre -- aber nein, gar mancher
von den Unterzeichnern thut schon mit dazu, selbst recht wesentlich, wie ur¬
kundlich zu belegen wäre, wenn man sich Namen zu nennen entschließen könnte.
Sie sträuben sich da mit Worten oder "im Princip," helfen aber selbst wirk¬
sam bei der Sprachbewegung unsers neuen Lebeus. Also gut! Andre werden
auch noch kommen.

Daß es eine solche Flut gab und auch nach dem weltgeschichtlichen Auf¬
schwünge des deutschen Selbstgefühls seit 1870 uoch groß und garstig genug
giebt, das kann man nur übersehen, wenn um" nicht so vorsichtig ist, sich mit
Bewußtsein gegen die Gewalt der Gewöhnung zu wehren und Auge, Ohr und
Sinn für das schlechte oder unnütze Fremde offen zu halten, das gemäß Jahr¬
hunderte alter Verwöhnung immer und immer noch so leicht bei uns fröhliche,
gemütliche Aufnahme findet. Als Riegel an die Gründung des Vereins ging
und auch mich nnter Vorlegung des Planes zum Eintritt in den Vorstand
aufforderte, da sträubte ich mich dagegen und machte ernste Bedenken geltend,
wesentlich dieselben, die hier in der Erklärung erklingen: niemand will sich


Die Berliner Erklärung wider den Allgemeinen Veutschen Sprachverein

heit und mit ungefährer Gewißheit zllgleich vorwärts sehen kann, wie in dem
Streit, dem Hin- und Herziehen die Dinge gehen und gehen werden.

Auch die Erklärung tritt mehrfach auf höhern geschichtlichen Standpunkt,
besonders in dem Satze: „Unsre durch die Freiheit gedeihende Sprache hat
nach jeder Hochflut von Fremdwörtern allmählich das ihrem Geiste Fremde
wieder ausgeschieden, aber die Wvrtbilder neuer Begriffe als bereichernden
Gewinn festgehalten." Also eigentlich der volkswirtschaftliche Grundsatz der
Manchesterschule aus das große Sprachleben übertragen. Er enthält ja eine
wahre, dabei noch ziemlich neue tröstliche Weisheit, aber nur innerhalb ge¬
wisser Grenzen, mit der Gefahr schädlicher Übertreibung. Gehört das Sprach¬
leben ganz in diese Grenzen? Kann mau sagen: laßt nur die Flut herein
und frei walten, das Überflüssige und Schädliche läuft von selbst wieder ab,
ohne daß jemand die Hand dazu rührt? das besorgt der Geist der Sprache!
Ja wo ist und wirkt denn der Geist? Doch nur in den Einzelnen, nicht ohne
oder gar wider sie als eine höhere göttliche, unpersönliche Gewalt? In den
„führenden Schriftstellern" soll er sein Wirken entfalten, oder sie geben ihr
Führeramt an Andre ab, die die Geführten sein sollen, an die Masse. Wollen
das die Unterzeichner? Eben nicht! aber sie thuus in der Fremdwörterfrage
eigentlich grundsätzlich in jenem Satze. Oder nicht?

Bei der „Hochflut" übrigens möchte man gern wissen, ob damit für jetzt
oder die letzte Zeit vor der Spmchbewegung eine solche „Hochflut von Fremd¬
wörtern" als bestehend zugestanden wird? Es klingt doch wirklich so, schon
weil der eigentliche Sinn des Satzes im Zusammenhange kein andrer sein kann
als: der Sprachverein ist ganz unnötig, was er Gutes oder Rechtes wollen
kann, wird von selber kommen, es kostet nur Zeit und Geduld — und: wir
thun jedenfalls nichts dazu, weil das verkehrt wäre — aber nein, gar mancher
von den Unterzeichnern thut schon mit dazu, selbst recht wesentlich, wie ur¬
kundlich zu belegen wäre, wenn man sich Namen zu nennen entschließen könnte.
Sie sträuben sich da mit Worten oder „im Princip," helfen aber selbst wirk¬
sam bei der Sprachbewegung unsers neuen Lebeus. Also gut! Andre werden
auch noch kommen.

Daß es eine solche Flut gab und auch nach dem weltgeschichtlichen Auf¬
schwünge des deutschen Selbstgefühls seit 1870 uoch groß und garstig genug
giebt, das kann man nur übersehen, wenn um» nicht so vorsichtig ist, sich mit
Bewußtsein gegen die Gewalt der Gewöhnung zu wehren und Auge, Ohr und
Sinn für das schlechte oder unnütze Fremde offen zu halten, das gemäß Jahr¬
hunderte alter Verwöhnung immer und immer noch so leicht bei uns fröhliche,
gemütliche Aufnahme findet. Als Riegel an die Gründung des Vereins ging
und auch mich nnter Vorlegung des Planes zum Eintritt in den Vorstand
aufforderte, da sträubte ich mich dagegen und machte ernste Bedenken geltend,
wesentlich dieselben, die hier in der Erklärung erklingen: niemand will sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/584>, abgerufen am 28.09.2024.