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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Mmnienbildnisse von Rubajat im <Li Lcijum

Rückseite mit einer Mörtelschicht bedeckt seien, was darauf schließen lasse, das;
diese Bilder auf einer festen Unterlage, z. B. in einer Wand eingemauert ge¬
wesen seien. Nun würeu das doch immerhin nur zwei, aber diese Mörtelschicht
(ich habe sie gesehen) beschränkt sich auf etliche Flecke, die offenbar nur eine
zufällige Verunreinigung sind. Daß der Künstler diese Bildnisse, aus denen
in jedem Zuge die Unmittelbarkeit des Lebens hervorleuchtet, erst nach dem
Tode der abkonterfeiten Person aufgenommen habe, ist allerdings wohl aus¬
geschlossen. Aber ebenso wird die Vorstellung, daß diese Bildnisse im Toten-
schmnck und Totenhemd zum Schmucke derWvhnrnume gedient Hütten, entschieden
abgelehnt werden müssen. Denken wir uns doch einmal in die Lage! Es
waren ja fühlende Menschen wie wir, diese Ägypter, Träger einer hohen Kultur,
deren Bedeutuug Griechen und Römer durchaus zu würdigen wußten. Und
solche an Herz und Geist gebildete Leute sollten sich mit Totenbildern umgeben
haben? Mit Bildern, die den Eltern stets den Gedanken wecken mußten: unsre
Kinder legen uns die einmal muss bräunliche Mumienantlitz, während zärtliche
Kinder solche Bilder erst recht aus dem Hause verbannt haben würden. In
der That, ein seltsames Noirisnto mori! Wie geschmackvoll, die eben zur Jung¬
frau erblühte Tochter im Totenhemd malen zu lassen (siehe Ur. 19*), oder
wie entzückend für die junge Gattin, wenn ihr der traute Gemahl sein Bild
im Totenhemd zum Geburtstage schenkte! Man braucht eine solche Gedanken¬
reihe nur zu beginnen, um die Unmöglichkeit einzusehen, daß diese Bilder Schmuck
der Wohnräume gewesen wären. Es ist mithin nicht anders möglich, als daß
die Mumienbildnisse von El Fajum samt und sonders Kopien sind, die von
den im Besitz der Familie bewahrten (für uns leider Verlornen) Original-
aufnahmcn einzig und allein für die liebe Mumie genommen und dem
entsprechend mit Totensymbolen, die zugleich mit dem Bilde gemalt sind,
ausgestattet wurden.

Man könnte sich vielleicht darüber wundern, warum dann oft so viel Kunst
auf diese für immer der Verborgenheit übergebenen Bildnisse verwendet worden
sei. Aber auch das erklärt sich aus ägyptischer Sitte: die Mumie mußte bis
nach dem Totengerichte (dem diesseitigen), das war in der Regel ein Jahr
lang, zu Hause aufbewahrt werden. Da ist es begreiflich, daß man die lieben
Züge auch so treu wie möglich sehen wollte.

Die Thatsache, daß die vielbewunderten Mumienbilder nur Kopien im
obigen Sinne sind, verleiht ihrer Entdeckung erst den rechten Wert, denn sie
läßt uns ahnen, wie außerordentlich hoch über unsre Vorstellung hinaus die
Porträtmalerei der Alten entwickelt war. Wenn schon Kopien für das Grab
derart ausgefallen sind, Arbeiten, an denen der Künstler kein rechtes Inter¬
esse haben konnte, weil sie der Mitwelt entrückt wurden, wie müssen da die
Originalporträts beschaffen gewesen sein!

Es kommt noch ein Umstand hinzu, der für eine viel höhere Stufe


Die Mmnienbildnisse von Rubajat im <Li Lcijum

Rückseite mit einer Mörtelschicht bedeckt seien, was darauf schließen lasse, das;
diese Bilder auf einer festen Unterlage, z. B. in einer Wand eingemauert ge¬
wesen seien. Nun würeu das doch immerhin nur zwei, aber diese Mörtelschicht
(ich habe sie gesehen) beschränkt sich auf etliche Flecke, die offenbar nur eine
zufällige Verunreinigung sind. Daß der Künstler diese Bildnisse, aus denen
in jedem Zuge die Unmittelbarkeit des Lebens hervorleuchtet, erst nach dem
Tode der abkonterfeiten Person aufgenommen habe, ist allerdings wohl aus¬
geschlossen. Aber ebenso wird die Vorstellung, daß diese Bildnisse im Toten-
schmnck und Totenhemd zum Schmucke derWvhnrnume gedient Hütten, entschieden
abgelehnt werden müssen. Denken wir uns doch einmal in die Lage! Es
waren ja fühlende Menschen wie wir, diese Ägypter, Träger einer hohen Kultur,
deren Bedeutuug Griechen und Römer durchaus zu würdigen wußten. Und
solche an Herz und Geist gebildete Leute sollten sich mit Totenbildern umgeben
haben? Mit Bildern, die den Eltern stets den Gedanken wecken mußten: unsre
Kinder legen uns die einmal muss bräunliche Mumienantlitz, während zärtliche
Kinder solche Bilder erst recht aus dem Hause verbannt haben würden. In
der That, ein seltsames Noirisnto mori! Wie geschmackvoll, die eben zur Jung¬
frau erblühte Tochter im Totenhemd malen zu lassen (siehe Ur. 19*), oder
wie entzückend für die junge Gattin, wenn ihr der traute Gemahl sein Bild
im Totenhemd zum Geburtstage schenkte! Man braucht eine solche Gedanken¬
reihe nur zu beginnen, um die Unmöglichkeit einzusehen, daß diese Bilder Schmuck
der Wohnräume gewesen wären. Es ist mithin nicht anders möglich, als daß
die Mumienbildnisse von El Fajum samt und sonders Kopien sind, die von
den im Besitz der Familie bewahrten (für uns leider Verlornen) Original-
aufnahmcn einzig und allein für die liebe Mumie genommen und dem
entsprechend mit Totensymbolen, die zugleich mit dem Bilde gemalt sind,
ausgestattet wurden.

Man könnte sich vielleicht darüber wundern, warum dann oft so viel Kunst
auf diese für immer der Verborgenheit übergebenen Bildnisse verwendet worden
sei. Aber auch das erklärt sich aus ägyptischer Sitte: die Mumie mußte bis
nach dem Totengerichte (dem diesseitigen), das war in der Regel ein Jahr
lang, zu Hause aufbewahrt werden. Da ist es begreiflich, daß man die lieben
Züge auch so treu wie möglich sehen wollte.

Die Thatsache, daß die vielbewunderten Mumienbilder nur Kopien im
obigen Sinne sind, verleiht ihrer Entdeckung erst den rechten Wert, denn sie
läßt uns ahnen, wie außerordentlich hoch über unsre Vorstellung hinaus die
Porträtmalerei der Alten entwickelt war. Wenn schon Kopien für das Grab
derart ausgefallen sind, Arbeiten, an denen der Künstler kein rechtes Inter¬
esse haben konnte, weil sie der Mitwelt entrückt wurden, wie müssen da die
Originalporträts beschaffen gewesen sein!

Es kommt noch ein Umstand hinzu, der für eine viel höhere Stufe


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[0580] Die Mmnienbildnisse von Rubajat im <Li Lcijum Rückseite mit einer Mörtelschicht bedeckt seien, was darauf schließen lasse, das; diese Bilder auf einer festen Unterlage, z. B. in einer Wand eingemauert ge¬ wesen seien. Nun würeu das doch immerhin nur zwei, aber diese Mörtelschicht (ich habe sie gesehen) beschränkt sich auf etliche Flecke, die offenbar nur eine zufällige Verunreinigung sind. Daß der Künstler diese Bildnisse, aus denen in jedem Zuge die Unmittelbarkeit des Lebens hervorleuchtet, erst nach dem Tode der abkonterfeiten Person aufgenommen habe, ist allerdings wohl aus¬ geschlossen. Aber ebenso wird die Vorstellung, daß diese Bildnisse im Toten- schmnck und Totenhemd zum Schmucke derWvhnrnume gedient Hütten, entschieden abgelehnt werden müssen. Denken wir uns doch einmal in die Lage! Es waren ja fühlende Menschen wie wir, diese Ägypter, Träger einer hohen Kultur, deren Bedeutuug Griechen und Römer durchaus zu würdigen wußten. Und solche an Herz und Geist gebildete Leute sollten sich mit Totenbildern umgeben haben? Mit Bildern, die den Eltern stets den Gedanken wecken mußten: unsre Kinder legen uns die einmal muss bräunliche Mumienantlitz, während zärtliche Kinder solche Bilder erst recht aus dem Hause verbannt haben würden. In der That, ein seltsames Noirisnto mori! Wie geschmackvoll, die eben zur Jung¬ frau erblühte Tochter im Totenhemd malen zu lassen (siehe Ur. 19*), oder wie entzückend für die junge Gattin, wenn ihr der traute Gemahl sein Bild im Totenhemd zum Geburtstage schenkte! Man braucht eine solche Gedanken¬ reihe nur zu beginnen, um die Unmöglichkeit einzusehen, daß diese Bilder Schmuck der Wohnräume gewesen wären. Es ist mithin nicht anders möglich, als daß die Mumienbildnisse von El Fajum samt und sonders Kopien sind, die von den im Besitz der Familie bewahrten (für uns leider Verlornen) Original- aufnahmcn einzig und allein für die liebe Mumie genommen und dem entsprechend mit Totensymbolen, die zugleich mit dem Bilde gemalt sind, ausgestattet wurden. Man könnte sich vielleicht darüber wundern, warum dann oft so viel Kunst auf diese für immer der Verborgenheit übergebenen Bildnisse verwendet worden sei. Aber auch das erklärt sich aus ägyptischer Sitte: die Mumie mußte bis nach dem Totengerichte (dem diesseitigen), das war in der Regel ein Jahr lang, zu Hause aufbewahrt werden. Da ist es begreiflich, daß man die lieben Züge auch so treu wie möglich sehen wollte. Die Thatsache, daß die vielbewunderten Mumienbilder nur Kopien im obigen Sinne sind, verleiht ihrer Entdeckung erst den rechten Wert, denn sie läßt uns ahnen, wie außerordentlich hoch über unsre Vorstellung hinaus die Porträtmalerei der Alten entwickelt war. Wenn schon Kopien für das Grab derart ausgefallen sind, Arbeiten, an denen der Künstler kein rechtes Inter¬ esse haben konnte, weil sie der Mitwelt entrückt wurden, wie müssen da die Originalporträts beschaffen gewesen sein! Es kommt noch ein Umstand hinzu, der für eine viel höhere Stufe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/580>, abgerufen am 29.06.2024.