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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jilgenddramen

Gegensatz. Denn für den echten Dichter ist jedes seiner Werke ein Stück seines
Lebens. Nicht bloß seine Gesinnung, sondern der ganze Charakter, die Färbung
seines jeweiligen Lebensgeftihls prägen sich in seinen Dichtungen aus. Wie
man bei Goethe verschiedne Bildungs- und .Kunstzeiten unterscheidet, so wird
man es auch von nur an bei Grillparzer thun müssen. Es ist gar bedeutsam,
was er in seiner Lebensbeschreibung gelegentlich sagt: "Auf alte Stoffe zurück¬
zukommen hat immer etwas Gefährliches. Selbst die Fortschritte der Bildung,
die man in der Zwischenzeit gemacht hat, werden zu Hindernissen. Man fühlt
sich genötigt, am Plane zu ändern, was manchmal auf die Geschlossenheit der
Form, manchmal sogar auf die Einheit der Anschauung von nachteiliger
Wirkung ist" (Sämtliche Werke X, 150).

Was wir von Dichtungen Grillparzers bisher kennen gelernt haben,
füllt alles in die Zeit nach der "Ahnfrau," also nach 1817. Damals war
der Dichter schon ein fertiger Mann, sechsundzwanzig Jahre alt. Mit einem
Werke, das trotz aller Schwächen und des Gepräges der Jugendlichkeit von
erstaunlicher technischer Reife zeugt, springt der junge Dichter in die deutsche
Litteratur und übertrifft alle zeitgenössischen Dramatiker, die damals die Bühne
beherrschten. Wie er sich dann fortentwickelt hat, wie er den rhetorischen Stil
immer mehr zu Gunsten des charakteristischen Spiels überwand und mit fort¬
schreitender Lebenserfahrung seine Geschöpfe immer mehr vertiefte, sie stets
naturgetreuer zu gestalten wußte, schließlich aber doch sich in "Libussa" und
"Esther" einen idealen Stil, teilweise sogar nach Goethes thpischsymbvlischer
"Natürlichen Tochter" schuf, ist aller Welt bekannt. Auch dies ist bekannt, daß
er wieder relativ früh (1850) zu dichten aufgehört hat. Aber auf Grillparzers
künstlerischer Jugend, auf seinen Lehrjahren lag bisher ein undurchdringliches
Dunkel. Und doch lag die Frage nahe: Wie ging das zu, daß ein
Dichter so reif werden konnte, wie der der "Ahnfrau" und vollends der mir
um ein Jahr jüngeren "Sappho," ohne daß man seine Werdezeit beobachten
kann, ohne daß Erzeugnisse aus jüngern Jahren vorliegen? In seiner Selbst¬
biographie erwähnt Grillparzer allerdings dramatische Jngendversnche um jener
Stelle, wo er von seinem unerquicklichen Leben als Hofmeister in einem aristo¬
kratischen Hause in Mähren spricht. Er erzählt: "Meine Stellung wurde auf
eine unangenehme Art verändert. Indes ich früher nur ein paar Stunden
mit meinem Zöglinge zu thun hatte, blieb er mir nun den ganzen Tag auf
dem Halse. Ich mußte ihn sogar täglich in die Kirche begleiten, wo ich den
Vilcg,r ok ^VÄWtiölä mitnahm, von dem man im Hause, wegen der geistlichen
Benennung Vikar auf dem Titelblatte, nicht zweifelte, daß es ein Gebet- und
Andachtsbuch sei. Ebenso mußte ich auf alle meine poetischen und dramatischen
Brouillons, von denen ich mich doch nicht ganz losgemacht hatte, obenan
setzen: aus dem Englischen oder Französischen übersetzt, damit sie als Sprach¬
übungen gelten könnten, da jedes Zeichen eines eignen poetischen Talentes den


Grillparzer und seine Jilgenddramen

Gegensatz. Denn für den echten Dichter ist jedes seiner Werke ein Stück seines
Lebens. Nicht bloß seine Gesinnung, sondern der ganze Charakter, die Färbung
seines jeweiligen Lebensgeftihls prägen sich in seinen Dichtungen aus. Wie
man bei Goethe verschiedne Bildungs- und .Kunstzeiten unterscheidet, so wird
man es auch von nur an bei Grillparzer thun müssen. Es ist gar bedeutsam,
was er in seiner Lebensbeschreibung gelegentlich sagt: „Auf alte Stoffe zurück¬
zukommen hat immer etwas Gefährliches. Selbst die Fortschritte der Bildung,
die man in der Zwischenzeit gemacht hat, werden zu Hindernissen. Man fühlt
sich genötigt, am Plane zu ändern, was manchmal auf die Geschlossenheit der
Form, manchmal sogar auf die Einheit der Anschauung von nachteiliger
Wirkung ist" (Sämtliche Werke X, 150).

Was wir von Dichtungen Grillparzers bisher kennen gelernt haben,
füllt alles in die Zeit nach der „Ahnfrau," also nach 1817. Damals war
der Dichter schon ein fertiger Mann, sechsundzwanzig Jahre alt. Mit einem
Werke, das trotz aller Schwächen und des Gepräges der Jugendlichkeit von
erstaunlicher technischer Reife zeugt, springt der junge Dichter in die deutsche
Litteratur und übertrifft alle zeitgenössischen Dramatiker, die damals die Bühne
beherrschten. Wie er sich dann fortentwickelt hat, wie er den rhetorischen Stil
immer mehr zu Gunsten des charakteristischen Spiels überwand und mit fort¬
schreitender Lebenserfahrung seine Geschöpfe immer mehr vertiefte, sie stets
naturgetreuer zu gestalten wußte, schließlich aber doch sich in „Libussa" und
„Esther" einen idealen Stil, teilweise sogar nach Goethes thpischsymbvlischer
„Natürlichen Tochter" schuf, ist aller Welt bekannt. Auch dies ist bekannt, daß
er wieder relativ früh (1850) zu dichten aufgehört hat. Aber auf Grillparzers
künstlerischer Jugend, auf seinen Lehrjahren lag bisher ein undurchdringliches
Dunkel. Und doch lag die Frage nahe: Wie ging das zu, daß ein
Dichter so reif werden konnte, wie der der „Ahnfrau" und vollends der mir
um ein Jahr jüngeren „Sappho," ohne daß man seine Werdezeit beobachten
kann, ohne daß Erzeugnisse aus jüngern Jahren vorliegen? In seiner Selbst¬
biographie erwähnt Grillparzer allerdings dramatische Jngendversnche um jener
Stelle, wo er von seinem unerquicklichen Leben als Hofmeister in einem aristo¬
kratischen Hause in Mähren spricht. Er erzählt: „Meine Stellung wurde auf
eine unangenehme Art verändert. Indes ich früher nur ein paar Stunden
mit meinem Zöglinge zu thun hatte, blieb er mir nun den ganzen Tag auf
dem Halse. Ich mußte ihn sogar täglich in die Kirche begleiten, wo ich den
Vilcg,r ok ^VÄWtiölä mitnahm, von dem man im Hause, wegen der geistlichen
Benennung Vikar auf dem Titelblatte, nicht zweifelte, daß es ein Gebet- und
Andachtsbuch sei. Ebenso mußte ich auf alle meine poetischen und dramatischen
Brouillons, von denen ich mich doch nicht ganz losgemacht hatte, obenan
setzen: aus dem Englischen oder Französischen übersetzt, damit sie als Sprach¬
übungen gelten könnten, da jedes Zeichen eines eignen poetischen Talentes den


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[0573] Grillparzer und seine Jilgenddramen Gegensatz. Denn für den echten Dichter ist jedes seiner Werke ein Stück seines Lebens. Nicht bloß seine Gesinnung, sondern der ganze Charakter, die Färbung seines jeweiligen Lebensgeftihls prägen sich in seinen Dichtungen aus. Wie man bei Goethe verschiedne Bildungs- und .Kunstzeiten unterscheidet, so wird man es auch von nur an bei Grillparzer thun müssen. Es ist gar bedeutsam, was er in seiner Lebensbeschreibung gelegentlich sagt: „Auf alte Stoffe zurück¬ zukommen hat immer etwas Gefährliches. Selbst die Fortschritte der Bildung, die man in der Zwischenzeit gemacht hat, werden zu Hindernissen. Man fühlt sich genötigt, am Plane zu ändern, was manchmal auf die Geschlossenheit der Form, manchmal sogar auf die Einheit der Anschauung von nachteiliger Wirkung ist" (Sämtliche Werke X, 150). Was wir von Dichtungen Grillparzers bisher kennen gelernt haben, füllt alles in die Zeit nach der „Ahnfrau," also nach 1817. Damals war der Dichter schon ein fertiger Mann, sechsundzwanzig Jahre alt. Mit einem Werke, das trotz aller Schwächen und des Gepräges der Jugendlichkeit von erstaunlicher technischer Reife zeugt, springt der junge Dichter in die deutsche Litteratur und übertrifft alle zeitgenössischen Dramatiker, die damals die Bühne beherrschten. Wie er sich dann fortentwickelt hat, wie er den rhetorischen Stil immer mehr zu Gunsten des charakteristischen Spiels überwand und mit fort¬ schreitender Lebenserfahrung seine Geschöpfe immer mehr vertiefte, sie stets naturgetreuer zu gestalten wußte, schließlich aber doch sich in „Libussa" und „Esther" einen idealen Stil, teilweise sogar nach Goethes thpischsymbvlischer „Natürlichen Tochter" schuf, ist aller Welt bekannt. Auch dies ist bekannt, daß er wieder relativ früh (1850) zu dichten aufgehört hat. Aber auf Grillparzers künstlerischer Jugend, auf seinen Lehrjahren lag bisher ein undurchdringliches Dunkel. Und doch lag die Frage nahe: Wie ging das zu, daß ein Dichter so reif werden konnte, wie der der „Ahnfrau" und vollends der mir um ein Jahr jüngeren „Sappho," ohne daß man seine Werdezeit beobachten kann, ohne daß Erzeugnisse aus jüngern Jahren vorliegen? In seiner Selbst¬ biographie erwähnt Grillparzer allerdings dramatische Jngendversnche um jener Stelle, wo er von seinem unerquicklichen Leben als Hofmeister in einem aristo¬ kratischen Hause in Mähren spricht. Er erzählt: „Meine Stellung wurde auf eine unangenehme Art verändert. Indes ich früher nur ein paar Stunden mit meinem Zöglinge zu thun hatte, blieb er mir nun den ganzen Tag auf dem Halse. Ich mußte ihn sogar täglich in die Kirche begleiten, wo ich den Vilcg,r ok ^VÄWtiölä mitnahm, von dem man im Hause, wegen der geistlichen Benennung Vikar auf dem Titelblatte, nicht zweifelte, daß es ein Gebet- und Andachtsbuch sei. Ebenso mußte ich auf alle meine poetischen und dramatischen Brouillons, von denen ich mich doch nicht ganz losgemacht hatte, obenan setzen: aus dem Englischen oder Französischen übersetzt, damit sie als Sprach¬ übungen gelten könnten, da jedes Zeichen eines eignen poetischen Talentes den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/573>, abgerufen am 29.06.2024.