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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugendtraum

alten Grafen in seiner Meinung, daß ich ein Jakobiner sei, bestärkt haben würde.
Ich setze das hierher, damit nach meinem Tode derjenige, dem mein schrift¬
licher Nachlaß in die Hände gerät, sich nicht etwa fruchtlose Mühe gebe, die
Originale zu diesen angeblichen Übersetzungen aufzufinden. Übrigens sind es
durchaus unbedeutende Bruchstücke, mehr Erzeugnisse der Langenweile, als
eines längst ausgegebnen ernsten Strebens" (Sämtliche Werke X, 59). Und
aus dem Jahre 1818 findet sich in demselben Bande <S. 432) die Bemerkung
vor: "Ju meinem Kopfe siehts aus wie in Ungarn. Rohe Stoffe im Über¬
fluß, aber Fleiß und Industrie fehlt; das Material wird nicht verarbeitet. Es
giebt unter deu Schriftstellern Leute, wie die Fischangelschmiede in England;
ans einem Gedanken, den ein andrer als einen derben Barren hingeworfen
hat, schmieden sie 30 000 andre; die sind zwar klein, sehr klein, aber geschliffen
und fein. Leider versteh' ich das nicht." Diese, wie fast alles, was Grillparzer
über sich selbst aussagt, auch hypochondrisch gefärbten Stellen waren bis auf
Laubes Biographie die einzigen Nachrichten, die man über seine ersten drama¬
tischen Versuche besaß. Laube erzählte die Handlung einer einzigen Tragödie
des jungen Grillparzer, jener "Blanka von Kastilien", die ein als Sekretär
des Bnrgtheciters angestellter Onkel Grillparzers, Sonnleithner, als für die Auf¬
führung ungeeignet kurzweg abgelehnt hatte. Nun ist endlich dieses Trauer¬
spiel in seiner ganzen Breite veröffentlicht, außerdem noch zwei sehr artige
einaktige Lustspiele und eine ganze Reihe dramatischer Bruchstücke, die zuweilen
den Umfang zweier Akte überschreite"! und jedenfalls unser Interesse auch dann
zu fesseln vermögen, wenn wir sie bloß mit der Teilnahme lesen, die wir der
Studien- und Skizzenmappe eines berühmten Malers zuwenden. Diese Stücke
siud es vornehmlich, welche die neue Ausgabe der Grillparzerschen Werke, um
welche sich Professor August Sauer in Prag bleibende Verdienste erworben
hat, so wertvoll machen.

Mau hat in dem schon erwähnten Berliner Blatte diese Vermehrung der
bisherigen Gesamtausgabe Grillparzers als Verschlechterung derselben hinzu¬
stellen beliebt; es wären -- hieß es -- wieder nur Papierschnitzel eines großen
Dichters gedruckt worden. Nicht leicht ist ein schwerer Vorwurf leichtfertiger
erhoben worden, und wir halten es daher für unsre Pflicht, zu betonen, daß
Sauer aus dem reichen Handschriftennachlaß des Dichters, den das Wiener
Grillparzer-Archiv birgt, nur wirklich biographisch oder litterarisch wertvolles
mitgeteilt hat. Freilich muß man die Ergänzungsbände, die den Nachtrag zu
der bisherigen Gesamtausgabe bilden, mit Verständnis gelesen haben, wenn
man sie beurteilen will: eine Arbeit, der sich der Rezensent der Nationalzeitung
nicht unterzogen hat. Von den Epigrammen Grillparzers hat Sauer meist
nur die mitgeteilt, die schon Freiherr v. Rizy im Grillparzer-Alban veröffent¬
licht hat. Den Abdruck der Jugendtraum, Studien und Entwürfe als Kleiu-
krämerei zu tadeln, ist entweder abgeschmackt oder geradezu eine Roheit; denn


Grillparzer und seine Jugendtraum

alten Grafen in seiner Meinung, daß ich ein Jakobiner sei, bestärkt haben würde.
Ich setze das hierher, damit nach meinem Tode derjenige, dem mein schrift¬
licher Nachlaß in die Hände gerät, sich nicht etwa fruchtlose Mühe gebe, die
Originale zu diesen angeblichen Übersetzungen aufzufinden. Übrigens sind es
durchaus unbedeutende Bruchstücke, mehr Erzeugnisse der Langenweile, als
eines längst ausgegebnen ernsten Strebens" (Sämtliche Werke X, 59). Und
aus dem Jahre 1818 findet sich in demselben Bande <S. 432) die Bemerkung
vor: „Ju meinem Kopfe siehts aus wie in Ungarn. Rohe Stoffe im Über¬
fluß, aber Fleiß und Industrie fehlt; das Material wird nicht verarbeitet. Es
giebt unter deu Schriftstellern Leute, wie die Fischangelschmiede in England;
ans einem Gedanken, den ein andrer als einen derben Barren hingeworfen
hat, schmieden sie 30 000 andre; die sind zwar klein, sehr klein, aber geschliffen
und fein. Leider versteh' ich das nicht." Diese, wie fast alles, was Grillparzer
über sich selbst aussagt, auch hypochondrisch gefärbten Stellen waren bis auf
Laubes Biographie die einzigen Nachrichten, die man über seine ersten drama¬
tischen Versuche besaß. Laube erzählte die Handlung einer einzigen Tragödie
des jungen Grillparzer, jener „Blanka von Kastilien", die ein als Sekretär
des Bnrgtheciters angestellter Onkel Grillparzers, Sonnleithner, als für die Auf¬
führung ungeeignet kurzweg abgelehnt hatte. Nun ist endlich dieses Trauer¬
spiel in seiner ganzen Breite veröffentlicht, außerdem noch zwei sehr artige
einaktige Lustspiele und eine ganze Reihe dramatischer Bruchstücke, die zuweilen
den Umfang zweier Akte überschreite»! und jedenfalls unser Interesse auch dann
zu fesseln vermögen, wenn wir sie bloß mit der Teilnahme lesen, die wir der
Studien- und Skizzenmappe eines berühmten Malers zuwenden. Diese Stücke
siud es vornehmlich, welche die neue Ausgabe der Grillparzerschen Werke, um
welche sich Professor August Sauer in Prag bleibende Verdienste erworben
hat, so wertvoll machen.

Mau hat in dem schon erwähnten Berliner Blatte diese Vermehrung der
bisherigen Gesamtausgabe Grillparzers als Verschlechterung derselben hinzu¬
stellen beliebt; es wären — hieß es — wieder nur Papierschnitzel eines großen
Dichters gedruckt worden. Nicht leicht ist ein schwerer Vorwurf leichtfertiger
erhoben worden, und wir halten es daher für unsre Pflicht, zu betonen, daß
Sauer aus dem reichen Handschriftennachlaß des Dichters, den das Wiener
Grillparzer-Archiv birgt, nur wirklich biographisch oder litterarisch wertvolles
mitgeteilt hat. Freilich muß man die Ergänzungsbände, die den Nachtrag zu
der bisherigen Gesamtausgabe bilden, mit Verständnis gelesen haben, wenn
man sie beurteilen will: eine Arbeit, der sich der Rezensent der Nationalzeitung
nicht unterzogen hat. Von den Epigrammen Grillparzers hat Sauer meist
nur die mitgeteilt, die schon Freiherr v. Rizy im Grillparzer-Alban veröffent¬
licht hat. Den Abdruck der Jugendtraum, Studien und Entwürfe als Kleiu-
krämerei zu tadeln, ist entweder abgeschmackt oder geradezu eine Roheit; denn


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[0574] Grillparzer und seine Jugendtraum alten Grafen in seiner Meinung, daß ich ein Jakobiner sei, bestärkt haben würde. Ich setze das hierher, damit nach meinem Tode derjenige, dem mein schrift¬ licher Nachlaß in die Hände gerät, sich nicht etwa fruchtlose Mühe gebe, die Originale zu diesen angeblichen Übersetzungen aufzufinden. Übrigens sind es durchaus unbedeutende Bruchstücke, mehr Erzeugnisse der Langenweile, als eines längst ausgegebnen ernsten Strebens" (Sämtliche Werke X, 59). Und aus dem Jahre 1818 findet sich in demselben Bande <S. 432) die Bemerkung vor: „Ju meinem Kopfe siehts aus wie in Ungarn. Rohe Stoffe im Über¬ fluß, aber Fleiß und Industrie fehlt; das Material wird nicht verarbeitet. Es giebt unter deu Schriftstellern Leute, wie die Fischangelschmiede in England; ans einem Gedanken, den ein andrer als einen derben Barren hingeworfen hat, schmieden sie 30 000 andre; die sind zwar klein, sehr klein, aber geschliffen und fein. Leider versteh' ich das nicht." Diese, wie fast alles, was Grillparzer über sich selbst aussagt, auch hypochondrisch gefärbten Stellen waren bis auf Laubes Biographie die einzigen Nachrichten, die man über seine ersten drama¬ tischen Versuche besaß. Laube erzählte die Handlung einer einzigen Tragödie des jungen Grillparzer, jener „Blanka von Kastilien", die ein als Sekretär des Bnrgtheciters angestellter Onkel Grillparzers, Sonnleithner, als für die Auf¬ führung ungeeignet kurzweg abgelehnt hatte. Nun ist endlich dieses Trauer¬ spiel in seiner ganzen Breite veröffentlicht, außerdem noch zwei sehr artige einaktige Lustspiele und eine ganze Reihe dramatischer Bruchstücke, die zuweilen den Umfang zweier Akte überschreite»! und jedenfalls unser Interesse auch dann zu fesseln vermögen, wenn wir sie bloß mit der Teilnahme lesen, die wir der Studien- und Skizzenmappe eines berühmten Malers zuwenden. Diese Stücke siud es vornehmlich, welche die neue Ausgabe der Grillparzerschen Werke, um welche sich Professor August Sauer in Prag bleibende Verdienste erworben hat, so wertvoll machen. Mau hat in dem schon erwähnten Berliner Blatte diese Vermehrung der bisherigen Gesamtausgabe Grillparzers als Verschlechterung derselben hinzu¬ stellen beliebt; es wären — hieß es — wieder nur Papierschnitzel eines großen Dichters gedruckt worden. Nicht leicht ist ein schwerer Vorwurf leichtfertiger erhoben worden, und wir halten es daher für unsre Pflicht, zu betonen, daß Sauer aus dem reichen Handschriftennachlaß des Dichters, den das Wiener Grillparzer-Archiv birgt, nur wirklich biographisch oder litterarisch wertvolles mitgeteilt hat. Freilich muß man die Ergänzungsbände, die den Nachtrag zu der bisherigen Gesamtausgabe bilden, mit Verständnis gelesen haben, wenn man sie beurteilen will: eine Arbeit, der sich der Rezensent der Nationalzeitung nicht unterzogen hat. Von den Epigrammen Grillparzers hat Sauer meist nur die mitgeteilt, die schon Freiherr v. Rizy im Grillparzer-Alban veröffent¬ licht hat. Den Abdruck der Jugendtraum, Studien und Entwürfe als Kleiu- krämerei zu tadeln, ist entweder abgeschmackt oder geradezu eine Roheit; denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/574>, abgerufen am 28.09.2024.