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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugendtraum

daran zerschellt sie. Die Tragik der Medea liegt auch wieder in dem feind¬
lichen Gegensatz zwischen ihrer Innerlichkeit und der fremden griechischen Welt,
in die sie sich selbst schuldvoll versetzt hat. Libussa geht tragisch an der neu
von Prymislaus geschaffnen Kultur unter, für die ihr ahnungsvolles, mystisches
Naturwesen kein Organ hat: die Pflanzenseele gedeiht nicht im zweckbewußten
Knlturtreiben, Bankban ist der tragische Held der Unzulänglichkeit, er ist den
Verhältnissen nicht gewachsen, Kaiser Rudolf soll mit Einsicht und Energie
in den Gang der Geschichte eingreifen; Einsicht hat er wohl, aber nicht die
Energie. So hat Grillparzer mit Vorliebe Tragödien geschrieben, in denen
das Schicksal weitaus mächtiger als der Mensch erscheint; eine pessimistische
Weltanschauung war ihm eigen. Und sein eignes Bekenntnis spricht er in den
Worten Nustans am Schlüsse von "Der Traum ein Leben" aus:


Eines nur ist Glück hienieden.
Eins: des Innern stiller Friede",
Und die schuldbefreile Brust!
Und die Größe ist gefährlich
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er giebt, sind nichtge Schatte",
Was er nimmt, es ist so viel!

Und Kreusci kennt ein "einzig Mittel, daß Jason wieder Mensch mit
Menschen werde: ein einfach Herz nud einen stillen Sinn." Auch das Glück
der Jugend verloren zu haben beklagen die Grillparzerschen Menschen oft,
namentlich Jason, Jaromir. Das Fortleben ist vielen eine Last, für die Kinder¬
mörderin Medea die größte Strafe -- ganz moderner Pessimismus. So hat
Grillparzer wie jeder Dichter persönliche Bekenntnisse in seinen Dramen niedergelegt.

Grillparzer wäre jedoch nicht der große Dichter, der er in Wahrheit ist,
wenn alle seine Gestalten nur Variationen eines und desselben Grnndthpus
wären, wenn er uur Menschen nach seinem eignen Ebenbilde geschaffen hätte.
Er sah nicht bloß in sich hinein, sondern auch aus sich heraus; er schuf nicht
bloß aus der Selbstbeobachtung, sondern auch aus der Beobachtung an andern
Charakteren. Es ist bekannt, daß er sich einzelne Erlebnisse zu dem Zwecke
aufzeichnete, um sie in der Dichtung zu verwenden; wie z. B. die Gestalt des
armen Spielmannes ihre Entstehung und ihr äußres Bild der Beobachtung
Grillparzcrs an einem Bettelmusikanten in jenem Wirtshause verdankt, wo
er täglich zu Mittag zu essen pflegte. sein Bedürfnis, äußre Menschenkenntnis
zu sammeln, ist sogar für seinen Liebesverkehr verhängnisvoll geworden. Grill¬
parzer erzählt, daß er im Umgange mit Frauen sich von seinen dichterischen
Neigungen haben leiten lasse". Ihn fesselten die in ihn verliebten Geschöpfe
zunächst von rein künstlerischem Staudpunkte. Er machte an ihnen Charakter¬
studien. Nicht die Verliebtheit, sondern der Egoismus des Künstlers nährte
den Verkehr. Er konnte daher mit Frauen verkehren, die ihm keineswegs


Grillparzer und seine Jugendtraum

daran zerschellt sie. Die Tragik der Medea liegt auch wieder in dem feind¬
lichen Gegensatz zwischen ihrer Innerlichkeit und der fremden griechischen Welt,
in die sie sich selbst schuldvoll versetzt hat. Libussa geht tragisch an der neu
von Prymislaus geschaffnen Kultur unter, für die ihr ahnungsvolles, mystisches
Naturwesen kein Organ hat: die Pflanzenseele gedeiht nicht im zweckbewußten
Knlturtreiben, Bankban ist der tragische Held der Unzulänglichkeit, er ist den
Verhältnissen nicht gewachsen, Kaiser Rudolf soll mit Einsicht und Energie
in den Gang der Geschichte eingreifen; Einsicht hat er wohl, aber nicht die
Energie. So hat Grillparzer mit Vorliebe Tragödien geschrieben, in denen
das Schicksal weitaus mächtiger als der Mensch erscheint; eine pessimistische
Weltanschauung war ihm eigen. Und sein eignes Bekenntnis spricht er in den
Worten Nustans am Schlüsse von „Der Traum ein Leben" aus:


Eines nur ist Glück hienieden.
Eins: des Innern stiller Friede»,
Und die schuldbefreile Brust!
Und die Größe ist gefährlich
Und der Ruhm ein leeres Spiel;
Was er giebt, sind nichtge Schatte»,
Was er nimmt, es ist so viel!

Und Kreusci kennt ein „einzig Mittel, daß Jason wieder Mensch mit
Menschen werde: ein einfach Herz nud einen stillen Sinn." Auch das Glück
der Jugend verloren zu haben beklagen die Grillparzerschen Menschen oft,
namentlich Jason, Jaromir. Das Fortleben ist vielen eine Last, für die Kinder¬
mörderin Medea die größte Strafe — ganz moderner Pessimismus. So hat
Grillparzer wie jeder Dichter persönliche Bekenntnisse in seinen Dramen niedergelegt.

Grillparzer wäre jedoch nicht der große Dichter, der er in Wahrheit ist,
wenn alle seine Gestalten nur Variationen eines und desselben Grnndthpus
wären, wenn er uur Menschen nach seinem eignen Ebenbilde geschaffen hätte.
Er sah nicht bloß in sich hinein, sondern auch aus sich heraus; er schuf nicht
bloß aus der Selbstbeobachtung, sondern auch aus der Beobachtung an andern
Charakteren. Es ist bekannt, daß er sich einzelne Erlebnisse zu dem Zwecke
aufzeichnete, um sie in der Dichtung zu verwenden; wie z. B. die Gestalt des
armen Spielmannes ihre Entstehung und ihr äußres Bild der Beobachtung
Grillparzcrs an einem Bettelmusikanten in jenem Wirtshause verdankt, wo
er täglich zu Mittag zu essen pflegte. sein Bedürfnis, äußre Menschenkenntnis
zu sammeln, ist sogar für seinen Liebesverkehr verhängnisvoll geworden. Grill¬
parzer erzählt, daß er im Umgange mit Frauen sich von seinen dichterischen
Neigungen haben leiten lasse». Ihn fesselten die in ihn verliebten Geschöpfe
zunächst von rein künstlerischem Staudpunkte. Er machte an ihnen Charakter¬
studien. Nicht die Verliebtheit, sondern der Egoismus des Künstlers nährte
den Verkehr. Er konnte daher mit Frauen verkehren, die ihm keineswegs


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[0571] Grillparzer und seine Jugendtraum daran zerschellt sie. Die Tragik der Medea liegt auch wieder in dem feind¬ lichen Gegensatz zwischen ihrer Innerlichkeit und der fremden griechischen Welt, in die sie sich selbst schuldvoll versetzt hat. Libussa geht tragisch an der neu von Prymislaus geschaffnen Kultur unter, für die ihr ahnungsvolles, mystisches Naturwesen kein Organ hat: die Pflanzenseele gedeiht nicht im zweckbewußten Knlturtreiben, Bankban ist der tragische Held der Unzulänglichkeit, er ist den Verhältnissen nicht gewachsen, Kaiser Rudolf soll mit Einsicht und Energie in den Gang der Geschichte eingreifen; Einsicht hat er wohl, aber nicht die Energie. So hat Grillparzer mit Vorliebe Tragödien geschrieben, in denen das Schicksal weitaus mächtiger als der Mensch erscheint; eine pessimistische Weltanschauung war ihm eigen. Und sein eignes Bekenntnis spricht er in den Worten Nustans am Schlüsse von „Der Traum ein Leben" aus: Eines nur ist Glück hienieden. Eins: des Innern stiller Friede», Und die schuldbefreile Brust! Und die Größe ist gefährlich Und der Ruhm ein leeres Spiel; Was er giebt, sind nichtge Schatte», Was er nimmt, es ist so viel! Und Kreusci kennt ein „einzig Mittel, daß Jason wieder Mensch mit Menschen werde: ein einfach Herz nud einen stillen Sinn." Auch das Glück der Jugend verloren zu haben beklagen die Grillparzerschen Menschen oft, namentlich Jason, Jaromir. Das Fortleben ist vielen eine Last, für die Kinder¬ mörderin Medea die größte Strafe — ganz moderner Pessimismus. So hat Grillparzer wie jeder Dichter persönliche Bekenntnisse in seinen Dramen niedergelegt. Grillparzer wäre jedoch nicht der große Dichter, der er in Wahrheit ist, wenn alle seine Gestalten nur Variationen eines und desselben Grnndthpus wären, wenn er uur Menschen nach seinem eignen Ebenbilde geschaffen hätte. Er sah nicht bloß in sich hinein, sondern auch aus sich heraus; er schuf nicht bloß aus der Selbstbeobachtung, sondern auch aus der Beobachtung an andern Charakteren. Es ist bekannt, daß er sich einzelne Erlebnisse zu dem Zwecke aufzeichnete, um sie in der Dichtung zu verwenden; wie z. B. die Gestalt des armen Spielmannes ihre Entstehung und ihr äußres Bild der Beobachtung Grillparzcrs an einem Bettelmusikanten in jenem Wirtshause verdankt, wo er täglich zu Mittag zu essen pflegte. sein Bedürfnis, äußre Menschenkenntnis zu sammeln, ist sogar für seinen Liebesverkehr verhängnisvoll geworden. Grill¬ parzer erzählt, daß er im Umgange mit Frauen sich von seinen dichterischen Neigungen haben leiten lasse». Ihn fesselten die in ihn verliebten Geschöpfe zunächst von rein künstlerischem Staudpunkte. Er machte an ihnen Charakter¬ studien. Nicht die Verliebtheit, sondern der Egoismus des Künstlers nährte den Verkehr. Er konnte daher mit Frauen verkehren, die ihm keineswegs

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/571>, abgerufen am 29.06.2024.