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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Grillparzer und seine Jugendtraum

eines Volksbruchteils dar; was über den Durchschnitt hinausgeht, befremdet
es schon. Daher die merkwürdige Erscheinung, daß jeder Künstler von einiger¬
maßen originaler Art, zu empfinden und zu schauen, anfänglich immer einen
schweren Stand bei seinen Zeitgenossen hat. Er muß sich seine Anerkennung
geradezu erkämpfen, er muß sich sein Publikum förmlich erziehen, während es
dein minder originalen Künstler schneller gelingt, dem Publikum zu gefallen.
Diesen Kampf um die Anerkennung oder diese Erziehung des Publikums haben
alle Werke genialer Menschen aufnehmen müssen; Goethe und Schiller haben
nicht weniger um diese allgemeine Anerkennung gerungen wie Beethoven und
Schumann, oder wie heilte noch Brahms darum ringt.^) So erging es auch
Grillparzer. Selbst in seinem eignen Wien, woran er so innig hing und mit
dessen Volk ihn doch alles verband, was nur Landsleute vereinigen kann:
dieselbe Schönheit der Landschaft, dieselbe ursprüngliche Lebensfreude, dieselbe
Mundart, dieselben Genüsse der Volkstheater, dieselben Schmerzen über die
öffentlichen Zustünde der Heimat. Trotz all dieser stammeseigentümlichen Ge¬
meinschaft wurde der Dichter aber, je individueller er sich entfaltete, um so
weniger verstanden. Das Publikum verließ ihn, wie die zeitgenössische littera¬
rische Kritik Deutschlands ihn totschwieg oder ungerecht, weil ungekannt, ver¬
urteilte.

Unter solchen Umständen wurde es für Grillparzer besonders verhängnis¬
voll, daß er dem Urteile des Publikums einen so hohen Wert schon in der
Theorie beimaß, in ihm die letzte Instanz des dramatischen Dichters er¬
blickte, und sich uicht vielmehr an Schillers aristokratischen Ausspruch hielt:
Wer den besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten.
Grillparzer war kein mutiger Charakter, kein Kämpfer, er war ein leicht ver¬
zagter Mensch. Er gesteht einmal: "Es ist etwas vom Tasso in mir, nicht
i>om Goethischen, sondern vom wirklichen. Man Hütte mich hätscheln müssen,
als Dichter nämlich. Als Mensch weiß ich mit jeder Lage fertig zu werden,
und man wird mich nie mir selber untreu finden. Aber der Dichter in mir
braucht ein warmes Element, sonst zieht sich das Innere zusammen und ver-



Aus dieser bekannten Erfahrung der Kunstgeschichte schöpfen Verehrer Ibsens wie
Otto Brahm und Paul Schlcnthcr Argumente für ihren Dichter gegen seine Gegner, und
verkündigen den Norweger als deu "Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts", weil ihn seine
Zeitgenossen bekämpfen. Diese Umkehrung des Erfnhrungssatzes ist aber ein kindischer Trug¬
schluß! Er stellt eine Behauptung auf, die zur Zeit garnicht bewiesen werden kann; eigent¬
lich eine beleidigende Behauptung, da sie jeden fiir einen Narren erklärt, der ihre Urteile
über Ibsen nicht teilt. Ewig wird die Notwendigkeit vorhanden bleiben, künstlerische Neue¬
rungen mit Kritik zu verteidigen; so lange aber eine so starke gegnerische Kritik, wie die
gegen Ibsens trostlosen Realismus noch immer besteht, wird er sich als ästhetische Macht
nicht festsetzen können. Wie dem auch sei: aus dem Widerstände desPnblikums gegen eine
neue Erscheinung in der Kunst zu schließen, daß diese Neuigkeit die wahrhafte Zukunftskunst
sei, ist abgeschmackt.
Grillparzer und seine Jugendtraum

eines Volksbruchteils dar; was über den Durchschnitt hinausgeht, befremdet
es schon. Daher die merkwürdige Erscheinung, daß jeder Künstler von einiger¬
maßen originaler Art, zu empfinden und zu schauen, anfänglich immer einen
schweren Stand bei seinen Zeitgenossen hat. Er muß sich seine Anerkennung
geradezu erkämpfen, er muß sich sein Publikum förmlich erziehen, während es
dein minder originalen Künstler schneller gelingt, dem Publikum zu gefallen.
Diesen Kampf um die Anerkennung oder diese Erziehung des Publikums haben
alle Werke genialer Menschen aufnehmen müssen; Goethe und Schiller haben
nicht weniger um diese allgemeine Anerkennung gerungen wie Beethoven und
Schumann, oder wie heilte noch Brahms darum ringt.^) So erging es auch
Grillparzer. Selbst in seinem eignen Wien, woran er so innig hing und mit
dessen Volk ihn doch alles verband, was nur Landsleute vereinigen kann:
dieselbe Schönheit der Landschaft, dieselbe ursprüngliche Lebensfreude, dieselbe
Mundart, dieselben Genüsse der Volkstheater, dieselben Schmerzen über die
öffentlichen Zustünde der Heimat. Trotz all dieser stammeseigentümlichen Ge¬
meinschaft wurde der Dichter aber, je individueller er sich entfaltete, um so
weniger verstanden. Das Publikum verließ ihn, wie die zeitgenössische littera¬
rische Kritik Deutschlands ihn totschwieg oder ungerecht, weil ungekannt, ver¬
urteilte.

Unter solchen Umständen wurde es für Grillparzer besonders verhängnis¬
voll, daß er dem Urteile des Publikums einen so hohen Wert schon in der
Theorie beimaß, in ihm die letzte Instanz des dramatischen Dichters er¬
blickte, und sich uicht vielmehr an Schillers aristokratischen Ausspruch hielt:
Wer den besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten.
Grillparzer war kein mutiger Charakter, kein Kämpfer, er war ein leicht ver¬
zagter Mensch. Er gesteht einmal: „Es ist etwas vom Tasso in mir, nicht
i>om Goethischen, sondern vom wirklichen. Man Hütte mich hätscheln müssen,
als Dichter nämlich. Als Mensch weiß ich mit jeder Lage fertig zu werden,
und man wird mich nie mir selber untreu finden. Aber der Dichter in mir
braucht ein warmes Element, sonst zieht sich das Innere zusammen und ver-



Aus dieser bekannten Erfahrung der Kunstgeschichte schöpfen Verehrer Ibsens wie
Otto Brahm und Paul Schlcnthcr Argumente für ihren Dichter gegen seine Gegner, und
verkündigen den Norweger als deu „Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts", weil ihn seine
Zeitgenossen bekämpfen. Diese Umkehrung des Erfnhrungssatzes ist aber ein kindischer Trug¬
schluß! Er stellt eine Behauptung auf, die zur Zeit garnicht bewiesen werden kann; eigent¬
lich eine beleidigende Behauptung, da sie jeden fiir einen Narren erklärt, der ihre Urteile
über Ibsen nicht teilt. Ewig wird die Notwendigkeit vorhanden bleiben, künstlerische Neue¬
rungen mit Kritik zu verteidigen; so lange aber eine so starke gegnerische Kritik, wie die
gegen Ibsens trostlosen Realismus noch immer besteht, wird er sich als ästhetische Macht
nicht festsetzen können. Wie dem auch sei: aus dem Widerstände desPnblikums gegen eine
neue Erscheinung in der Kunst zu schließen, daß diese Neuigkeit die wahrhafte Zukunftskunst
sei, ist abgeschmackt.
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[0566] Grillparzer und seine Jugendtraum eines Volksbruchteils dar; was über den Durchschnitt hinausgeht, befremdet es schon. Daher die merkwürdige Erscheinung, daß jeder Künstler von einiger¬ maßen originaler Art, zu empfinden und zu schauen, anfänglich immer einen schweren Stand bei seinen Zeitgenossen hat. Er muß sich seine Anerkennung geradezu erkämpfen, er muß sich sein Publikum förmlich erziehen, während es dein minder originalen Künstler schneller gelingt, dem Publikum zu gefallen. Diesen Kampf um die Anerkennung oder diese Erziehung des Publikums haben alle Werke genialer Menschen aufnehmen müssen; Goethe und Schiller haben nicht weniger um diese allgemeine Anerkennung gerungen wie Beethoven und Schumann, oder wie heilte noch Brahms darum ringt.^) So erging es auch Grillparzer. Selbst in seinem eignen Wien, woran er so innig hing und mit dessen Volk ihn doch alles verband, was nur Landsleute vereinigen kann: dieselbe Schönheit der Landschaft, dieselbe ursprüngliche Lebensfreude, dieselbe Mundart, dieselben Genüsse der Volkstheater, dieselben Schmerzen über die öffentlichen Zustünde der Heimat. Trotz all dieser stammeseigentümlichen Ge¬ meinschaft wurde der Dichter aber, je individueller er sich entfaltete, um so weniger verstanden. Das Publikum verließ ihn, wie die zeitgenössische littera¬ rische Kritik Deutschlands ihn totschwieg oder ungerecht, weil ungekannt, ver¬ urteilte. Unter solchen Umständen wurde es für Grillparzer besonders verhängnis¬ voll, daß er dem Urteile des Publikums einen so hohen Wert schon in der Theorie beimaß, in ihm die letzte Instanz des dramatischen Dichters er¬ blickte, und sich uicht vielmehr an Schillers aristokratischen Ausspruch hielt: Wer den besten seiner Zeit genug gethan, der hat gelebt für alle Zeiten. Grillparzer war kein mutiger Charakter, kein Kämpfer, er war ein leicht ver¬ zagter Mensch. Er gesteht einmal: „Es ist etwas vom Tasso in mir, nicht i>om Goethischen, sondern vom wirklichen. Man Hütte mich hätscheln müssen, als Dichter nämlich. Als Mensch weiß ich mit jeder Lage fertig zu werden, und man wird mich nie mir selber untreu finden. Aber der Dichter in mir braucht ein warmes Element, sonst zieht sich das Innere zusammen und ver- Aus dieser bekannten Erfahrung der Kunstgeschichte schöpfen Verehrer Ibsens wie Otto Brahm und Paul Schlcnthcr Argumente für ihren Dichter gegen seine Gegner, und verkündigen den Norweger als deu „Dichter des zwanzigsten Jahrhunderts", weil ihn seine Zeitgenossen bekämpfen. Diese Umkehrung des Erfnhrungssatzes ist aber ein kindischer Trug¬ schluß! Er stellt eine Behauptung auf, die zur Zeit garnicht bewiesen werden kann; eigent¬ lich eine beleidigende Behauptung, da sie jeden fiir einen Narren erklärt, der ihre Urteile über Ibsen nicht teilt. Ewig wird die Notwendigkeit vorhanden bleiben, künstlerische Neue¬ rungen mit Kritik zu verteidigen; so lange aber eine so starke gegnerische Kritik, wie die gegen Ibsens trostlosen Realismus noch immer besteht, wird er sich als ästhetische Macht nicht festsetzen können. Wie dem auch sei: aus dem Widerstände desPnblikums gegen eine neue Erscheinung in der Kunst zu schließen, daß diese Neuigkeit die wahrhafte Zukunftskunst sei, ist abgeschmackt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/566>, abgerufen am 29.06.2024.