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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Englische Technik und deutsche Konkurrenz

Schulzwang eingeführt worden, aber eben erst neuerdings. Noch giebt es
Tausende in England, die den Schulzwang verwerfen und seine günstige Wir¬
kung in jeder möglichen Weise beeinträchtigen, besonders dadurch, daß sie den
Wert der Schulbildung in den Augen der Kinder herabzusetzen suchen, sie vom
regelmäßigen Schulbesuch abhalten und so früh als irgend möglich aus der
Schule nehmen. Daß die englischen Vvlksschulgesetze weniger streng sind als
die unsrigen, ist bekannt und im Wesen der Sache begründet. Es dürfte aber
vielen neu sein zu erfahren, daß in England durchaus nicht ein Schulbesuch
vou so und so viel Jahren, wie bei uns, sondern lediglich der Besitz bestimmter
Kenntnisse gefordert wird. Noch im vorigen Sommer habe ich englische Volks¬
schulen besucht, wo die Lehrer sich bitter darüber beklagten, daß Kinder von
noch nicht elf Jahren die Schule verlassen durften, weil sie das vom Lebovl
LolirÄ verlangte Maß von Kenntnissen in der zu diesem Zwecke abgehaltnen
Prüfung nachzuweisen vermochten. Unter Voraussetzung leidlich regelmäßigen
Schulbesuchs und normaler Geistesgaben ist, nach Angabe derer, die ich über
diesen Punkt sprach, das Ziel sehr bequem mit 12--12^/z Jahren zu erreichen,
also nach etwa sechsjährigem Schulbesuche. Es ist nicht anzunehmen, daß die
englische Jugend im Durchschnitt begabter sei, als die deutsche, die Erfahrungen
in englischen höher" Schulen wenigstens könnten mich eher das Gegenteil
glauben machen; es ist auch nicht anzunehmen, daß die englischen Schule"
mehr leisten als die unsrigen; warum sollten sonst die Engländer uns in dieser
Hinsicht zum Vorbilde nehmen? Es bleibt also nur die Schlußfolgerung, daß
die englische Volksschulbildung bedeutend hinter der deutschen zurücksteht. Und
dieser Ausfall überträgt sich mittelbar auch auf die technische Leistungsfähigkeit
Englands. Daß in einem Lande, wo der Schulzwang schon vielfach als ein
willkürlicher Eingriff in die Rechte und Freiheiten des Menschen angesehen wird,
es einen Zwang zum Besuch von Fortbildungsschulen gar nicht giebt, ist wohl
selbstverständlich, und so kommt es, daß oft mit 11, 12 Jahren ein Knabe für
immer aufhört, sich mit dem in der Schule gelernten zu beschäftigen, wenn
ihn nicht, was gerade in diesem Alter selten genug der Fall sein mag, die
Lust am Lernen antreibt, sich weiterzubilden.

Einerseits also ist es die höhere allgemeine Bildung des deutschen Volkes,
die es zur Konkurrenz mit dein englischen auf dem. Gebiete der Technik be¬
fähigt; anderseits ist es die Rührigkeit und der Ehrgeiz der deutschen Gewerb-
treibenden und ihrer Vertreter.

Man mag über die Wirkungen des Freizügigkeitsgesetzes urteilen, wie man
will, den Vorteil hat es entschieden gebracht, daß es eine lebhafte, dem Ge¬
werbe ganz neue Bahnen vorschreibende Konkurrenz hervorgerufen hat, die den
säumigen und dem Fortschritt abholden Arbeiter und Produzenten erbarmungs¬
los zu Grunde richtet, aber gerade durch diese schonungslose Behandlung z"
verdoppelter Rührigkeit und Thatkraft mahnt.


Englische Technik und deutsche Konkurrenz

Schulzwang eingeführt worden, aber eben erst neuerdings. Noch giebt es
Tausende in England, die den Schulzwang verwerfen und seine günstige Wir¬
kung in jeder möglichen Weise beeinträchtigen, besonders dadurch, daß sie den
Wert der Schulbildung in den Augen der Kinder herabzusetzen suchen, sie vom
regelmäßigen Schulbesuch abhalten und so früh als irgend möglich aus der
Schule nehmen. Daß die englischen Vvlksschulgesetze weniger streng sind als
die unsrigen, ist bekannt und im Wesen der Sache begründet. Es dürfte aber
vielen neu sein zu erfahren, daß in England durchaus nicht ein Schulbesuch
vou so und so viel Jahren, wie bei uns, sondern lediglich der Besitz bestimmter
Kenntnisse gefordert wird. Noch im vorigen Sommer habe ich englische Volks¬
schulen besucht, wo die Lehrer sich bitter darüber beklagten, daß Kinder von
noch nicht elf Jahren die Schule verlassen durften, weil sie das vom Lebovl
LolirÄ verlangte Maß von Kenntnissen in der zu diesem Zwecke abgehaltnen
Prüfung nachzuweisen vermochten. Unter Voraussetzung leidlich regelmäßigen
Schulbesuchs und normaler Geistesgaben ist, nach Angabe derer, die ich über
diesen Punkt sprach, das Ziel sehr bequem mit 12—12^/z Jahren zu erreichen,
also nach etwa sechsjährigem Schulbesuche. Es ist nicht anzunehmen, daß die
englische Jugend im Durchschnitt begabter sei, als die deutsche, die Erfahrungen
in englischen höher» Schulen wenigstens könnten mich eher das Gegenteil
glauben machen; es ist auch nicht anzunehmen, daß die englischen Schule»
mehr leisten als die unsrigen; warum sollten sonst die Engländer uns in dieser
Hinsicht zum Vorbilde nehmen? Es bleibt also nur die Schlußfolgerung, daß
die englische Volksschulbildung bedeutend hinter der deutschen zurücksteht. Und
dieser Ausfall überträgt sich mittelbar auch auf die technische Leistungsfähigkeit
Englands. Daß in einem Lande, wo der Schulzwang schon vielfach als ein
willkürlicher Eingriff in die Rechte und Freiheiten des Menschen angesehen wird,
es einen Zwang zum Besuch von Fortbildungsschulen gar nicht giebt, ist wohl
selbstverständlich, und so kommt es, daß oft mit 11, 12 Jahren ein Knabe für
immer aufhört, sich mit dem in der Schule gelernten zu beschäftigen, wenn
ihn nicht, was gerade in diesem Alter selten genug der Fall sein mag, die
Lust am Lernen antreibt, sich weiterzubilden.

Einerseits also ist es die höhere allgemeine Bildung des deutschen Volkes,
die es zur Konkurrenz mit dein englischen auf dem. Gebiete der Technik be¬
fähigt; anderseits ist es die Rührigkeit und der Ehrgeiz der deutschen Gewerb-
treibenden und ihrer Vertreter.

Man mag über die Wirkungen des Freizügigkeitsgesetzes urteilen, wie man
will, den Vorteil hat es entschieden gebracht, daß es eine lebhafte, dem Ge¬
werbe ganz neue Bahnen vorschreibende Konkurrenz hervorgerufen hat, die den
säumigen und dem Fortschritt abholden Arbeiter und Produzenten erbarmungs¬
los zu Grunde richtet, aber gerade durch diese schonungslose Behandlung z»
verdoppelter Rührigkeit und Thatkraft mahnt.


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[0556] Englische Technik und deutsche Konkurrenz Schulzwang eingeführt worden, aber eben erst neuerdings. Noch giebt es Tausende in England, die den Schulzwang verwerfen und seine günstige Wir¬ kung in jeder möglichen Weise beeinträchtigen, besonders dadurch, daß sie den Wert der Schulbildung in den Augen der Kinder herabzusetzen suchen, sie vom regelmäßigen Schulbesuch abhalten und so früh als irgend möglich aus der Schule nehmen. Daß die englischen Vvlksschulgesetze weniger streng sind als die unsrigen, ist bekannt und im Wesen der Sache begründet. Es dürfte aber vielen neu sein zu erfahren, daß in England durchaus nicht ein Schulbesuch vou so und so viel Jahren, wie bei uns, sondern lediglich der Besitz bestimmter Kenntnisse gefordert wird. Noch im vorigen Sommer habe ich englische Volks¬ schulen besucht, wo die Lehrer sich bitter darüber beklagten, daß Kinder von noch nicht elf Jahren die Schule verlassen durften, weil sie das vom Lebovl LolirÄ verlangte Maß von Kenntnissen in der zu diesem Zwecke abgehaltnen Prüfung nachzuweisen vermochten. Unter Voraussetzung leidlich regelmäßigen Schulbesuchs und normaler Geistesgaben ist, nach Angabe derer, die ich über diesen Punkt sprach, das Ziel sehr bequem mit 12—12^/z Jahren zu erreichen, also nach etwa sechsjährigem Schulbesuche. Es ist nicht anzunehmen, daß die englische Jugend im Durchschnitt begabter sei, als die deutsche, die Erfahrungen in englischen höher» Schulen wenigstens könnten mich eher das Gegenteil glauben machen; es ist auch nicht anzunehmen, daß die englischen Schule» mehr leisten als die unsrigen; warum sollten sonst die Engländer uns in dieser Hinsicht zum Vorbilde nehmen? Es bleibt also nur die Schlußfolgerung, daß die englische Volksschulbildung bedeutend hinter der deutschen zurücksteht. Und dieser Ausfall überträgt sich mittelbar auch auf die technische Leistungsfähigkeit Englands. Daß in einem Lande, wo der Schulzwang schon vielfach als ein willkürlicher Eingriff in die Rechte und Freiheiten des Menschen angesehen wird, es einen Zwang zum Besuch von Fortbildungsschulen gar nicht giebt, ist wohl selbstverständlich, und so kommt es, daß oft mit 11, 12 Jahren ein Knabe für immer aufhört, sich mit dem in der Schule gelernten zu beschäftigen, wenn ihn nicht, was gerade in diesem Alter selten genug der Fall sein mag, die Lust am Lernen antreibt, sich weiterzubilden. Einerseits also ist es die höhere allgemeine Bildung des deutschen Volkes, die es zur Konkurrenz mit dein englischen auf dem. Gebiete der Technik be¬ fähigt; anderseits ist es die Rührigkeit und der Ehrgeiz der deutschen Gewerb- treibenden und ihrer Vertreter. Man mag über die Wirkungen des Freizügigkeitsgesetzes urteilen, wie man will, den Vorteil hat es entschieden gebracht, daß es eine lebhafte, dem Ge¬ werbe ganz neue Bahnen vorschreibende Konkurrenz hervorgerufen hat, die den säumigen und dem Fortschritt abholden Arbeiter und Produzenten erbarmungs¬ los zu Grunde richtet, aber gerade durch diese schonungslose Behandlung z» verdoppelter Rührigkeit und Thatkraft mahnt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/556>, abgerufen am 29.06.2024.