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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Englische Technik und deutsche Konkurrenz

Fabrikstädten Englands ist der durchschnittliche Mietpreis einer aus vier
Räumen (Stube, Kammer, Waschküche und Bodenraum) bestehenden Cottage
nebst kleinem Vorgarten und größerm Gemüsegarten, Hofraum, Kohlen- und
Holzschuppen und gewöhnlich einem Stall 3 Mk. 50 Pf. bis 4 Mk. wöchentlich,
bei Jahresmiete 140 Mk. bis 160 Mk.; oft aber wird der Mietvertrag ans
noch längere Zeit abgeschlossen, und dann ermäßigt sich der Mietpreis noch
weiter. Ich wiederhole, daß sich diese Angaben auf die teureren, größeren
Städte beziehen.

Wenn ich jetzt den letzten Punkt dieses Abschnittes, die Lohnverhältnisse
berühre, so muß ich zunächst vorausschicken, daß es mir schwer geworden ist,
bestimmte Anhaltepunkte zu finden, lind das ist leicht erklärlich. Nicht nur
in verschiednen Gegenden und Zeiten, nicht uur in verschiednen Gewerben, für
die verschiednen Alter und Geschlechter, sondern auch für die verschiednen Zweige
eines und desselben Gewerbes sind die Löhne ganz ungleich. Ich glaube, nnr
ein in das industrielle Leben beider Länder eingeweihter kann hier einen Ver¬
gleich anstellen, ans dessen Ergebnis etwas gegeben werden kann. Ich begnüge
mich damit, die Löhne der in der Weberei beschäftigten Arbeiter anzugeben.
Die Löhne der Frauen und Mädchen schwanken zwischen 8 und 18 Mk. wöchent
lich, und zwar bei einer zehustüudigeu täglichen Arbeitsdnner. Die Männer,
die in solchen Fabriken allerdings fast nur als Aufseher, Maschinisten n. s. w.
angestellt sind, haben einen durchschnittlichen Wochenlohn von 3ö Mk.

Ich bin in meinen Auseinandersetzungen auf Einzelheiten eingegangen, die
anscheinend dem Gegenstände fern liegen, aber ich glaubte der in vielen Kreisen,
natürlich besonders in England vertretenen Annahme widersprechen zu müssen,
als sei die der englischen Technik erwachsene deutsche Konkurrenz lediglich eine
Folge äußrer, für die englische Industrie nachteiliger, für die deutsche aber
gülistiger Einwirkungen.

Wie läßt sich nun diese Konkurrenz erklären? Zunächst, behaupte ich,
durch die höhere Bildung des deutschen Volkes überhaupt und unsrer Gewerb-
treibenden insbesondre. Physische Kräfte sind es ja nicht allein, die der Mensch
zu seiner Thätigkeit braucht, sie haben nie allein etwas Großes ausgerichtet,
und in unsrer Zeit bedarf es erst recht einer tüchtigen Ausbildung der geistigen
Anlagen, um den Anforderungen auch ganz bescheidner Verufszweige gerecht
zu werden. Oder meint man, es sei bloße Pedanterie oder Eitelkeit, daß
heutzutage jeder Meister von seinem Lehrling eine gründliche Schulbildung
fordert und ans dessen Schulzeugnisse Wert legt? Nein, es ist die Überzeugung,
daß kein Gewerbe auf bloßer Handfertigkeit beruht, daß jedes eine bestimmte
Summe geistiger Fähigkeiten verlangt, die der, der in die Lehre tritt, sich in
der Schule angeeignet haben und in den Lehrjahren sich erhalten und erweitern
muß. Diese Überzeugung besteht nun allerdings nicht uur in Deutschland,
sondern ebenso auch in England, lind auch in England ist neuerdings der


Englische Technik und deutsche Konkurrenz

Fabrikstädten Englands ist der durchschnittliche Mietpreis einer aus vier
Räumen (Stube, Kammer, Waschküche und Bodenraum) bestehenden Cottage
nebst kleinem Vorgarten und größerm Gemüsegarten, Hofraum, Kohlen- und
Holzschuppen und gewöhnlich einem Stall 3 Mk. 50 Pf. bis 4 Mk. wöchentlich,
bei Jahresmiete 140 Mk. bis 160 Mk.; oft aber wird der Mietvertrag ans
noch längere Zeit abgeschlossen, und dann ermäßigt sich der Mietpreis noch
weiter. Ich wiederhole, daß sich diese Angaben auf die teureren, größeren
Städte beziehen.

Wenn ich jetzt den letzten Punkt dieses Abschnittes, die Lohnverhältnisse
berühre, so muß ich zunächst vorausschicken, daß es mir schwer geworden ist,
bestimmte Anhaltepunkte zu finden, lind das ist leicht erklärlich. Nicht nur
in verschiednen Gegenden und Zeiten, nicht uur in verschiednen Gewerben, für
die verschiednen Alter und Geschlechter, sondern auch für die verschiednen Zweige
eines und desselben Gewerbes sind die Löhne ganz ungleich. Ich glaube, nnr
ein in das industrielle Leben beider Länder eingeweihter kann hier einen Ver¬
gleich anstellen, ans dessen Ergebnis etwas gegeben werden kann. Ich begnüge
mich damit, die Löhne der in der Weberei beschäftigten Arbeiter anzugeben.
Die Löhne der Frauen und Mädchen schwanken zwischen 8 und 18 Mk. wöchent
lich, und zwar bei einer zehustüudigeu täglichen Arbeitsdnner. Die Männer,
die in solchen Fabriken allerdings fast nur als Aufseher, Maschinisten n. s. w.
angestellt sind, haben einen durchschnittlichen Wochenlohn von 3ö Mk.

Ich bin in meinen Auseinandersetzungen auf Einzelheiten eingegangen, die
anscheinend dem Gegenstände fern liegen, aber ich glaubte der in vielen Kreisen,
natürlich besonders in England vertretenen Annahme widersprechen zu müssen,
als sei die der englischen Technik erwachsene deutsche Konkurrenz lediglich eine
Folge äußrer, für die englische Industrie nachteiliger, für die deutsche aber
gülistiger Einwirkungen.

Wie läßt sich nun diese Konkurrenz erklären? Zunächst, behaupte ich,
durch die höhere Bildung des deutschen Volkes überhaupt und unsrer Gewerb-
treibenden insbesondre. Physische Kräfte sind es ja nicht allein, die der Mensch
zu seiner Thätigkeit braucht, sie haben nie allein etwas Großes ausgerichtet,
und in unsrer Zeit bedarf es erst recht einer tüchtigen Ausbildung der geistigen
Anlagen, um den Anforderungen auch ganz bescheidner Verufszweige gerecht
zu werden. Oder meint man, es sei bloße Pedanterie oder Eitelkeit, daß
heutzutage jeder Meister von seinem Lehrling eine gründliche Schulbildung
fordert und ans dessen Schulzeugnisse Wert legt? Nein, es ist die Überzeugung,
daß kein Gewerbe auf bloßer Handfertigkeit beruht, daß jedes eine bestimmte
Summe geistiger Fähigkeiten verlangt, die der, der in die Lehre tritt, sich in
der Schule angeeignet haben und in den Lehrjahren sich erhalten und erweitern
muß. Diese Überzeugung besteht nun allerdings nicht uur in Deutschland,
sondern ebenso auch in England, lind auch in England ist neuerdings der


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[0555] Englische Technik und deutsche Konkurrenz Fabrikstädten Englands ist der durchschnittliche Mietpreis einer aus vier Räumen (Stube, Kammer, Waschküche und Bodenraum) bestehenden Cottage nebst kleinem Vorgarten und größerm Gemüsegarten, Hofraum, Kohlen- und Holzschuppen und gewöhnlich einem Stall 3 Mk. 50 Pf. bis 4 Mk. wöchentlich, bei Jahresmiete 140 Mk. bis 160 Mk.; oft aber wird der Mietvertrag ans noch längere Zeit abgeschlossen, und dann ermäßigt sich der Mietpreis noch weiter. Ich wiederhole, daß sich diese Angaben auf die teureren, größeren Städte beziehen. Wenn ich jetzt den letzten Punkt dieses Abschnittes, die Lohnverhältnisse berühre, so muß ich zunächst vorausschicken, daß es mir schwer geworden ist, bestimmte Anhaltepunkte zu finden, lind das ist leicht erklärlich. Nicht nur in verschiednen Gegenden und Zeiten, nicht uur in verschiednen Gewerben, für die verschiednen Alter und Geschlechter, sondern auch für die verschiednen Zweige eines und desselben Gewerbes sind die Löhne ganz ungleich. Ich glaube, nnr ein in das industrielle Leben beider Länder eingeweihter kann hier einen Ver¬ gleich anstellen, ans dessen Ergebnis etwas gegeben werden kann. Ich begnüge mich damit, die Löhne der in der Weberei beschäftigten Arbeiter anzugeben. Die Löhne der Frauen und Mädchen schwanken zwischen 8 und 18 Mk. wöchent lich, und zwar bei einer zehustüudigeu täglichen Arbeitsdnner. Die Männer, die in solchen Fabriken allerdings fast nur als Aufseher, Maschinisten n. s. w. angestellt sind, haben einen durchschnittlichen Wochenlohn von 3ö Mk. Ich bin in meinen Auseinandersetzungen auf Einzelheiten eingegangen, die anscheinend dem Gegenstände fern liegen, aber ich glaubte der in vielen Kreisen, natürlich besonders in England vertretenen Annahme widersprechen zu müssen, als sei die der englischen Technik erwachsene deutsche Konkurrenz lediglich eine Folge äußrer, für die englische Industrie nachteiliger, für die deutsche aber gülistiger Einwirkungen. Wie läßt sich nun diese Konkurrenz erklären? Zunächst, behaupte ich, durch die höhere Bildung des deutschen Volkes überhaupt und unsrer Gewerb- treibenden insbesondre. Physische Kräfte sind es ja nicht allein, die der Mensch zu seiner Thätigkeit braucht, sie haben nie allein etwas Großes ausgerichtet, und in unsrer Zeit bedarf es erst recht einer tüchtigen Ausbildung der geistigen Anlagen, um den Anforderungen auch ganz bescheidner Verufszweige gerecht zu werden. Oder meint man, es sei bloße Pedanterie oder Eitelkeit, daß heutzutage jeder Meister von seinem Lehrling eine gründliche Schulbildung fordert und ans dessen Schulzeugnisse Wert legt? Nein, es ist die Überzeugung, daß kein Gewerbe auf bloßer Handfertigkeit beruht, daß jedes eine bestimmte Summe geistiger Fähigkeiten verlangt, die der, der in die Lehre tritt, sich in der Schule angeeignet haben und in den Lehrjahren sich erhalten und erweitern muß. Diese Überzeugung besteht nun allerdings nicht uur in Deutschland, sondern ebenso auch in England, lind auch in England ist neuerdings der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/555>, abgerufen am 29.06.2024.