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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zur Erklärung deutscher Revolutionssympathien ^?9^--

Gebrauch, und man dachte nicht daran, sich ihrer zu entäußern. Man trug
sich überall mit Theorien über Staat, Regierungs- und Volksrechte, die neuern
Datums waren als die bestehenden, aus dem Mittelalter überkommenen Ge¬
walten und Berechtigungen. Bisher hatte man sich indes bemüht und gewöhnt,
die letztern auch mit jenen Theorien vereinbar zu finden; selbst die absolute
Fürstengewalt hatte man aus einem Vertrag zwischen Fürst und Volk, oder
aus einer Übertragung aller Herrschaft durch den ursprünglichen Volkswillen her¬
geleitet. So hatte man die vorhandnen Gewalten nicht in ihrem eigentlichen
Bestand augegriffen, sondern nur in ein neues Licht gesetzt und über Bestimmung
und Pflicht derselben, über einige notwendige oder wünschenswerte Beschränkung
der Herrscherwillkür und ähnliches sich in andrer Weise als vor Alters aus¬
gelassen. Jetzt aber erschien doch Unzähligen als das wirkliche Ergebnis jener
Theorien und als die natürliche Frucht des Bodens, ans dem sie erwachsen
waren, einfach das in Frankreich angestrebte Ziel; und wenn sie nun ans eines
Gegners eignem Munde Grundsätze laut werden hörten wie die, aus deren
folgerichtiger, durch nichts beeinträchtigter Durchführung in Frankreich der
vollkommne Staat entstehen sollte, so meinten sie gar nicht anders, als
der Gegner müßte sich von Rechts wegen mit ihnen in warmer Teilnahme
für das französische Vorhaben vereinigen.

Und doppelt leicht waren sie dann mit der Beschuldigung bei der Hand: der
Widerspruch gegen die Folgerungen aus so klaren, so allgemein anerkannten
Wahrheiten, wie sie hier vor Augen stünden, sei nicht anders zu erklären als
durch Beweggründe persönlichen Vorteils. In den Widersprechenden erblickten
sie Leute, denen es entweder um Behauptung von Stellen und Vorzügen, die
sie dem mißbräuchlichen Zustande der Dinge verdankten, oder um Nachteil und
Vorteil zu thun sei, der ihnen von diesen Glücklichen widerfahren könnte.
Schon im Augustheft der Berliner Monatsschrift von 1790 klagt ein Freund
der französischen Revolution über das ekelhafte Geschreibsel, womit gedungene
Zeitungsschreiber, Vaterlandsverräter, Höflinge und Aristokraten unter den
Gelehrten (dies Wort damals oft für Schriftsteller im allgemeinen) Deutsch¬
land überschwemmten. Einen absonderlichen Reiz aber hat es wohl, in ähn¬
licher Art auch den sich äußern zu hören, der später selbst als bedeutendster
Schriftsteller der Reaktion vor allem auch mit den unmäßigsten Vorwürfen
der Käuflichkeit und höfischer Rücksichten heimgesucht worden ist. Friedrich
von Gentz spricht sich zu der Zeit, wo er -- damals ein junger Beamter in
Berlin -- seinen Austritt aus den Reihen der Ncvolutivnsverehrer noch nicht
vollzogen hatte, in einem Brief an den von ihm hochverehrten Philosophen
Garve sehr erzürnt über die Furcht vor den Obrigkeiten aus, durch die fast
alle, die das deutsche Publikum mit den französischen Nachrichten bekannt
machten, genötigt seien, das wahrhaft Große und Schöne, das sie noch etwa
zu sagen hätten, zu unterdrücken und Possen und Schlacken hinzuwerfen. Und


Zur Erklärung deutscher Revolutionssympathien ^?9^—

Gebrauch, und man dachte nicht daran, sich ihrer zu entäußern. Man trug
sich überall mit Theorien über Staat, Regierungs- und Volksrechte, die neuern
Datums waren als die bestehenden, aus dem Mittelalter überkommenen Ge¬
walten und Berechtigungen. Bisher hatte man sich indes bemüht und gewöhnt,
die letztern auch mit jenen Theorien vereinbar zu finden; selbst die absolute
Fürstengewalt hatte man aus einem Vertrag zwischen Fürst und Volk, oder
aus einer Übertragung aller Herrschaft durch den ursprünglichen Volkswillen her¬
geleitet. So hatte man die vorhandnen Gewalten nicht in ihrem eigentlichen
Bestand augegriffen, sondern nur in ein neues Licht gesetzt und über Bestimmung
und Pflicht derselben, über einige notwendige oder wünschenswerte Beschränkung
der Herrscherwillkür und ähnliches sich in andrer Weise als vor Alters aus¬
gelassen. Jetzt aber erschien doch Unzähligen als das wirkliche Ergebnis jener
Theorien und als die natürliche Frucht des Bodens, ans dem sie erwachsen
waren, einfach das in Frankreich angestrebte Ziel; und wenn sie nun ans eines
Gegners eignem Munde Grundsätze laut werden hörten wie die, aus deren
folgerichtiger, durch nichts beeinträchtigter Durchführung in Frankreich der
vollkommne Staat entstehen sollte, so meinten sie gar nicht anders, als
der Gegner müßte sich von Rechts wegen mit ihnen in warmer Teilnahme
für das französische Vorhaben vereinigen.

Und doppelt leicht waren sie dann mit der Beschuldigung bei der Hand: der
Widerspruch gegen die Folgerungen aus so klaren, so allgemein anerkannten
Wahrheiten, wie sie hier vor Augen stünden, sei nicht anders zu erklären als
durch Beweggründe persönlichen Vorteils. In den Widersprechenden erblickten
sie Leute, denen es entweder um Behauptung von Stellen und Vorzügen, die
sie dem mißbräuchlichen Zustande der Dinge verdankten, oder um Nachteil und
Vorteil zu thun sei, der ihnen von diesen Glücklichen widerfahren könnte.
Schon im Augustheft der Berliner Monatsschrift von 1790 klagt ein Freund
der französischen Revolution über das ekelhafte Geschreibsel, womit gedungene
Zeitungsschreiber, Vaterlandsverräter, Höflinge und Aristokraten unter den
Gelehrten (dies Wort damals oft für Schriftsteller im allgemeinen) Deutsch¬
land überschwemmten. Einen absonderlichen Reiz aber hat es wohl, in ähn¬
licher Art auch den sich äußern zu hören, der später selbst als bedeutendster
Schriftsteller der Reaktion vor allem auch mit den unmäßigsten Vorwürfen
der Käuflichkeit und höfischer Rücksichten heimgesucht worden ist. Friedrich
von Gentz spricht sich zu der Zeit, wo er — damals ein junger Beamter in
Berlin — seinen Austritt aus den Reihen der Ncvolutivnsverehrer noch nicht
vollzogen hatte, in einem Brief an den von ihm hochverehrten Philosophen
Garve sehr erzürnt über die Furcht vor den Obrigkeiten aus, durch die fast
alle, die das deutsche Publikum mit den französischen Nachrichten bekannt
machten, genötigt seien, das wahrhaft Große und Schöne, das sie noch etwa
zu sagen hätten, zu unterdrücken und Possen und Schlacken hinzuwerfen. Und


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[0552] Zur Erklärung deutscher Revolutionssympathien ^?9^— Gebrauch, und man dachte nicht daran, sich ihrer zu entäußern. Man trug sich überall mit Theorien über Staat, Regierungs- und Volksrechte, die neuern Datums waren als die bestehenden, aus dem Mittelalter überkommenen Ge¬ walten und Berechtigungen. Bisher hatte man sich indes bemüht und gewöhnt, die letztern auch mit jenen Theorien vereinbar zu finden; selbst die absolute Fürstengewalt hatte man aus einem Vertrag zwischen Fürst und Volk, oder aus einer Übertragung aller Herrschaft durch den ursprünglichen Volkswillen her¬ geleitet. So hatte man die vorhandnen Gewalten nicht in ihrem eigentlichen Bestand augegriffen, sondern nur in ein neues Licht gesetzt und über Bestimmung und Pflicht derselben, über einige notwendige oder wünschenswerte Beschränkung der Herrscherwillkür und ähnliches sich in andrer Weise als vor Alters aus¬ gelassen. Jetzt aber erschien doch Unzähligen als das wirkliche Ergebnis jener Theorien und als die natürliche Frucht des Bodens, ans dem sie erwachsen waren, einfach das in Frankreich angestrebte Ziel; und wenn sie nun ans eines Gegners eignem Munde Grundsätze laut werden hörten wie die, aus deren folgerichtiger, durch nichts beeinträchtigter Durchführung in Frankreich der vollkommne Staat entstehen sollte, so meinten sie gar nicht anders, als der Gegner müßte sich von Rechts wegen mit ihnen in warmer Teilnahme für das französische Vorhaben vereinigen. Und doppelt leicht waren sie dann mit der Beschuldigung bei der Hand: der Widerspruch gegen die Folgerungen aus so klaren, so allgemein anerkannten Wahrheiten, wie sie hier vor Augen stünden, sei nicht anders zu erklären als durch Beweggründe persönlichen Vorteils. In den Widersprechenden erblickten sie Leute, denen es entweder um Behauptung von Stellen und Vorzügen, die sie dem mißbräuchlichen Zustande der Dinge verdankten, oder um Nachteil und Vorteil zu thun sei, der ihnen von diesen Glücklichen widerfahren könnte. Schon im Augustheft der Berliner Monatsschrift von 1790 klagt ein Freund der französischen Revolution über das ekelhafte Geschreibsel, womit gedungene Zeitungsschreiber, Vaterlandsverräter, Höflinge und Aristokraten unter den Gelehrten (dies Wort damals oft für Schriftsteller im allgemeinen) Deutsch¬ land überschwemmten. Einen absonderlichen Reiz aber hat es wohl, in ähn¬ licher Art auch den sich äußern zu hören, der später selbst als bedeutendster Schriftsteller der Reaktion vor allem auch mit den unmäßigsten Vorwürfen der Käuflichkeit und höfischer Rücksichten heimgesucht worden ist. Friedrich von Gentz spricht sich zu der Zeit, wo er — damals ein junger Beamter in Berlin — seinen Austritt aus den Reihen der Ncvolutivnsverehrer noch nicht vollzogen hatte, in einem Brief an den von ihm hochverehrten Philosophen Garve sehr erzürnt über die Furcht vor den Obrigkeiten aus, durch die fast alle, die das deutsche Publikum mit den französischen Nachrichten bekannt machten, genötigt seien, das wahrhaft Große und Schöne, das sie noch etwa zu sagen hätten, zu unterdrücken und Possen und Schlacken hinzuwerfen. Und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/552>, abgerufen am 28.09.2024.