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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zur Erklärung deutscher Revoluiionssympathieu ^?9^^

fordert. Dein Staatsoberhaupt werden ebensowohl bestimmte Pflichten als Rechte
beigelegt, und zwar in einer Verbindung, daß der Genuß der letztern bedingt
erscheint durch die Erfüllung der ersteren. Das Wort Unterthan wird in dem
ganzen Gesetzbuch vermieden; nur vou Bürgern, Einwohnern ist die Rede. Die
Zeitgenossen unterließe!? nicht, das Verwandtschaftliche zwischen der preußischen
und der französischen Arbeit scharf hervorzuheben. In der von Zacharias
Better zu Gotha herausgegebenen Deutschen Zeitung werden Satz für Satz
Stellen ans dein preußischen Gesetzbuch mit der Erklärung der Menschenrechte
neben einander gehalten, um darzulegen, daß die meisten von den siebzehn so
viel verschrieenen Artikeln der französischen Erklärung entweder, zum Teil in
sehr ähnlichen Ausdrücken, in dein preußischen Gesetzbuch nachzuweisen seien,
oder der preußische Gesetzgeber wenigstens dein Sinne dieser ewig unveräußer¬
lichen Gesetze gemäß gehandelt habe. Und das habe auch nicht anders fein
können, weil eine Gesetzgebung, wobei dieses nicht geschähe, unvernünftig und
tyrannisch, also unverbindlich sein würde!

Wie außerordentlich weit der Sinn dieser letztern Worte reicht, braucht
nicht gesagt zu werden. In einem wichtigen Pnnkte lag nun aber doch die
Sache in Preußen ganz anders als in Frankreich. In Frankreich suchte die
Verfassung, der die Menschenrechte vorausgeschickt waren, die ausgesprochnen
Grundsätze in einem politischen Neubau zur Verwirklichung zu bringen; in
Preußen dagegen trat nach Vorausschickn";; der allgemeinen Sätze aus dem
Positiven Inhalt des Gesetzbuches doch in der Hauptsache noch ganz das alte
Staatswesen vor Augen; es erschien hier in der Zusammensetzung und Organi¬
sation, die Friedrich der Große so trefflich im Staude zu halten und deren
er sich so meisterlich für seine Gesichtspunkte zu bedienen gewußt hatte,
ohne daß er darauf bedacht gewesen wäre, sie selbst d.nrch eine gründliche
Umgestaltung aller Staats- und Volksverhältnisse, einem allgemein menschlichen
Ideale nahe zu bringen. Die alten Einrichtungen mit ihren Unebenheiten, Härten
und sonstigen Ärgernissen für die vorgeschrittene Aufklärung, vor allem das
starke Maß von Herrschaftsrecht und Unfreiheit ans dem Platten Lande, fanden
in dein Gesetzbuche selbst ihre neue Anerkennung und Formulirung. Eine
Stimme im Neuen Teutschen Merkur beklagt, daß der hochgeachtete Minister
von Cariner zu Gunsten des Adels, deu man so gern aus der menschlichen
Gesellschaft hinwegwünschen möchte, in das sonst so vortreffliche preußische
Gesetzbuch Artikel habe aufnehmen müssen, die mit andern in diesem Gesetz¬
buche vvrhnndnen so übel "kontrastirten." Aber wie viele solche Verstoße
gegen den Geist, in welchem jetzt ein großer Teil der Gebildeten das in der
Einleitung vorgetragene aufzufassen geneigt war, Hütte noch genannt werden
können!

Wir erkennen aus allem: die abstrakten Sätze der politischen Aufklärung
waren bei Vehandlung politischer und gesetzgeberischer Probleme in allgemeinsten


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fordert. Dein Staatsoberhaupt werden ebensowohl bestimmte Pflichten als Rechte
beigelegt, und zwar in einer Verbindung, daß der Genuß der letztern bedingt
erscheint durch die Erfüllung der ersteren. Das Wort Unterthan wird in dem
ganzen Gesetzbuch vermieden; nur vou Bürgern, Einwohnern ist die Rede. Die
Zeitgenossen unterließe!? nicht, das Verwandtschaftliche zwischen der preußischen
und der französischen Arbeit scharf hervorzuheben. In der von Zacharias
Better zu Gotha herausgegebenen Deutschen Zeitung werden Satz für Satz
Stellen ans dein preußischen Gesetzbuch mit der Erklärung der Menschenrechte
neben einander gehalten, um darzulegen, daß die meisten von den siebzehn so
viel verschrieenen Artikeln der französischen Erklärung entweder, zum Teil in
sehr ähnlichen Ausdrücken, in dein preußischen Gesetzbuch nachzuweisen seien,
oder der preußische Gesetzgeber wenigstens dein Sinne dieser ewig unveräußer¬
lichen Gesetze gemäß gehandelt habe. Und das habe auch nicht anders fein
können, weil eine Gesetzgebung, wobei dieses nicht geschähe, unvernünftig und
tyrannisch, also unverbindlich sein würde!

Wie außerordentlich weit der Sinn dieser letztern Worte reicht, braucht
nicht gesagt zu werden. In einem wichtigen Pnnkte lag nun aber doch die
Sache in Preußen ganz anders als in Frankreich. In Frankreich suchte die
Verfassung, der die Menschenrechte vorausgeschickt waren, die ausgesprochnen
Grundsätze in einem politischen Neubau zur Verwirklichung zu bringen; in
Preußen dagegen trat nach Vorausschickn»;; der allgemeinen Sätze aus dem
Positiven Inhalt des Gesetzbuches doch in der Hauptsache noch ganz das alte
Staatswesen vor Augen; es erschien hier in der Zusammensetzung und Organi¬
sation, die Friedrich der Große so trefflich im Staude zu halten und deren
er sich so meisterlich für seine Gesichtspunkte zu bedienen gewußt hatte,
ohne daß er darauf bedacht gewesen wäre, sie selbst d.nrch eine gründliche
Umgestaltung aller Staats- und Volksverhältnisse, einem allgemein menschlichen
Ideale nahe zu bringen. Die alten Einrichtungen mit ihren Unebenheiten, Härten
und sonstigen Ärgernissen für die vorgeschrittene Aufklärung, vor allem das
starke Maß von Herrschaftsrecht und Unfreiheit ans dem Platten Lande, fanden
in dein Gesetzbuche selbst ihre neue Anerkennung und Formulirung. Eine
Stimme im Neuen Teutschen Merkur beklagt, daß der hochgeachtete Minister
von Cariner zu Gunsten des Adels, deu man so gern aus der menschlichen
Gesellschaft hinwegwünschen möchte, in das sonst so vortreffliche preußische
Gesetzbuch Artikel habe aufnehmen müssen, die mit andern in diesem Gesetz¬
buche vvrhnndnen so übel „kontrastirten." Aber wie viele solche Verstoße
gegen den Geist, in welchem jetzt ein großer Teil der Gebildeten das in der
Einleitung vorgetragene aufzufassen geneigt war, Hütte noch genannt werden
können!

Wir erkennen aus allem: die abstrakten Sätze der politischen Aufklärung
waren bei Vehandlung politischer und gesetzgeberischer Probleme in allgemeinsten


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[0551] Zur Erklärung deutscher Revoluiionssympathieu ^?9^^ fordert. Dein Staatsoberhaupt werden ebensowohl bestimmte Pflichten als Rechte beigelegt, und zwar in einer Verbindung, daß der Genuß der letztern bedingt erscheint durch die Erfüllung der ersteren. Das Wort Unterthan wird in dem ganzen Gesetzbuch vermieden; nur vou Bürgern, Einwohnern ist die Rede. Die Zeitgenossen unterließe!? nicht, das Verwandtschaftliche zwischen der preußischen und der französischen Arbeit scharf hervorzuheben. In der von Zacharias Better zu Gotha herausgegebenen Deutschen Zeitung werden Satz für Satz Stellen ans dein preußischen Gesetzbuch mit der Erklärung der Menschenrechte neben einander gehalten, um darzulegen, daß die meisten von den siebzehn so viel verschrieenen Artikeln der französischen Erklärung entweder, zum Teil in sehr ähnlichen Ausdrücken, in dein preußischen Gesetzbuch nachzuweisen seien, oder der preußische Gesetzgeber wenigstens dein Sinne dieser ewig unveräußer¬ lichen Gesetze gemäß gehandelt habe. Und das habe auch nicht anders fein können, weil eine Gesetzgebung, wobei dieses nicht geschähe, unvernünftig und tyrannisch, also unverbindlich sein würde! Wie außerordentlich weit der Sinn dieser letztern Worte reicht, braucht nicht gesagt zu werden. In einem wichtigen Pnnkte lag nun aber doch die Sache in Preußen ganz anders als in Frankreich. In Frankreich suchte die Verfassung, der die Menschenrechte vorausgeschickt waren, die ausgesprochnen Grundsätze in einem politischen Neubau zur Verwirklichung zu bringen; in Preußen dagegen trat nach Vorausschickn»;; der allgemeinen Sätze aus dem Positiven Inhalt des Gesetzbuches doch in der Hauptsache noch ganz das alte Staatswesen vor Augen; es erschien hier in der Zusammensetzung und Organi¬ sation, die Friedrich der Große so trefflich im Staude zu halten und deren er sich so meisterlich für seine Gesichtspunkte zu bedienen gewußt hatte, ohne daß er darauf bedacht gewesen wäre, sie selbst d.nrch eine gründliche Umgestaltung aller Staats- und Volksverhältnisse, einem allgemein menschlichen Ideale nahe zu bringen. Die alten Einrichtungen mit ihren Unebenheiten, Härten und sonstigen Ärgernissen für die vorgeschrittene Aufklärung, vor allem das starke Maß von Herrschaftsrecht und Unfreiheit ans dem Platten Lande, fanden in dein Gesetzbuche selbst ihre neue Anerkennung und Formulirung. Eine Stimme im Neuen Teutschen Merkur beklagt, daß der hochgeachtete Minister von Cariner zu Gunsten des Adels, deu man so gern aus der menschlichen Gesellschaft hinwegwünschen möchte, in das sonst so vortreffliche preußische Gesetzbuch Artikel habe aufnehmen müssen, die mit andern in diesem Gesetz¬ buche vvrhnndnen so übel „kontrastirten." Aber wie viele solche Verstoße gegen den Geist, in welchem jetzt ein großer Teil der Gebildeten das in der Einleitung vorgetragene aufzufassen geneigt war, Hütte noch genannt werden können! Wir erkennen aus allem: die abstrakten Sätze der politischen Aufklärung waren bei Vehandlung politischer und gesetzgeberischer Probleme in allgemeinsten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/551>, abgerufen am 29.06.2024.