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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Forderungen auf, die schon seit geraumer Zeit die große Mehrzahl der Ge¬
bildeten beherrschten; nur daß sie gegenüber der Unvernunft des Herkommens
jetzt in Frankreich zum erstenmal auf europäischem Boden zur Verwirklichung
kommen sollten. Ganz vorzüglich an der berühmten Erklärung der Menschen-
rechte trat das zu Tage, die, als die Grundlage zum Ganzen, dem Verfassungs¬
werk der Nationalversammlung vorausging. Wie oft wurde darauf hin¬
gewiesen, sie enthalte nur wenig, was nicht seit lange, auch unter den
Deutschen, in philosophischen und juristischen Lehrbüchern von angesehenen
Gelehrten ohne Bedenken und Anstoß vorgetragen worden sei! Wer an der
Stellung, die der französische Verfassungsentwurf dem Königtum zuwies, an
der Beeinträchtigung der Erhabenheit, in der die monarchische Gewalt als
Herrin über dem Ganzen gestanden hatte, ein Ärgernis nahm, dem konnte man
nicht bloß das bekannte Wort Friedrichs des Großen von dem Fürsten als
dem ersten Diener des Staates entgegenhalten; noch viel ausführlicher und
eindringlicher hatte Joseph II. in öffentlichen Erlassen seine Beamten über
das Wohl des Volkes als den Zweck belehrt, dem alles zu dienen habe, durch
den allein Vorzug und Vorrecht in der bürgerlichen Gesellschaft gerechtfertigt
werde. Die Angriffe der Nationalversammlung auf Vorrechte des Adels und
der Geistlichkeit, wo fanden sie leichter eine Begründung und Rechtfertigung
als in den Worten und Handlungen dieses Kaisers! Und bewegten sich doch
vielfach auch solche, die der Verehrung des revolutionären Heils entgegentraten,
trotzdem nach wie vor in diesen, ihnen zur andern Natur gewordnen Vor¬
stellungen. Nicht bloß Männer wie Schlözer und längere Zeit hindurch auch
Gentz blieben, nachdem sie sich gegen die französische Revolution ausgesprochen
hatten, der Gewohnheit treu, dem Staat ein Vertragsverhültnis zwischen Volk
und Regenten zu Grunde zu legen, da dünn "der Hüter, wenn er nicht kontraktmäßig
handle, abgedankt werden möge" (Schlözer); auch ein Mann von so vielfältig
eigner Ansicht gegenüber der Aufklärung wie Justus Möser operirte gelegentlich
mit diesen Begriffen, und selbst ein so heftiger Gegner alles Allfklärungswesens
wie der Herausgeber der Wiener Zeitschrift, Aloys Hofmann, bediente sich
wohl dann und wann verwandter Redensarten. Schlözer geriet über die Lehre
von einem spezifisch göttlichen Rechte der Obrigkeit noch im Jahre 1793 mit
seinem alten politischen Freunde (wie loir ihn nennen würden) Karl Friedrich
Moser in einen lebhaften Streit. Weder ein solches Recht des Fürsten, noch
eine Herleitung seiner Gewalt aus der väterlichen durfte nach der Ansicht
des Göttinger Gelehrten dein Satze entgegengestellt werden, daß die Souveränität
ursprünglich in der Nation residire. Wo Schlözer mit den Händeln zwischen
den Lüttichern und ihrem Fürstbischof zu thu" hat, läßt er sich in dem Eifer,
der bei Bekämpfung geistlicher Mißregierung von jeher doppelte Macht über
ihn gewann, bis zu der Äußerung hinreißen: "Stunde" (hier ganz mit dem
Volke als ein und dasselbe gedacht) sind eher als der Fürst; sie erschaffen ihn erst;"


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Forderungen auf, die schon seit geraumer Zeit die große Mehrzahl der Ge¬
bildeten beherrschten; nur daß sie gegenüber der Unvernunft des Herkommens
jetzt in Frankreich zum erstenmal auf europäischem Boden zur Verwirklichung
kommen sollten. Ganz vorzüglich an der berühmten Erklärung der Menschen-
rechte trat das zu Tage, die, als die Grundlage zum Ganzen, dem Verfassungs¬
werk der Nationalversammlung vorausging. Wie oft wurde darauf hin¬
gewiesen, sie enthalte nur wenig, was nicht seit lange, auch unter den
Deutschen, in philosophischen und juristischen Lehrbüchern von angesehenen
Gelehrten ohne Bedenken und Anstoß vorgetragen worden sei! Wer an der
Stellung, die der französische Verfassungsentwurf dem Königtum zuwies, an
der Beeinträchtigung der Erhabenheit, in der die monarchische Gewalt als
Herrin über dem Ganzen gestanden hatte, ein Ärgernis nahm, dem konnte man
nicht bloß das bekannte Wort Friedrichs des Großen von dem Fürsten als
dem ersten Diener des Staates entgegenhalten; noch viel ausführlicher und
eindringlicher hatte Joseph II. in öffentlichen Erlassen seine Beamten über
das Wohl des Volkes als den Zweck belehrt, dem alles zu dienen habe, durch
den allein Vorzug und Vorrecht in der bürgerlichen Gesellschaft gerechtfertigt
werde. Die Angriffe der Nationalversammlung auf Vorrechte des Adels und
der Geistlichkeit, wo fanden sie leichter eine Begründung und Rechtfertigung
als in den Worten und Handlungen dieses Kaisers! Und bewegten sich doch
vielfach auch solche, die der Verehrung des revolutionären Heils entgegentraten,
trotzdem nach wie vor in diesen, ihnen zur andern Natur gewordnen Vor¬
stellungen. Nicht bloß Männer wie Schlözer und längere Zeit hindurch auch
Gentz blieben, nachdem sie sich gegen die französische Revolution ausgesprochen
hatten, der Gewohnheit treu, dem Staat ein Vertragsverhültnis zwischen Volk
und Regenten zu Grunde zu legen, da dünn „der Hüter, wenn er nicht kontraktmäßig
handle, abgedankt werden möge" (Schlözer); auch ein Mann von so vielfältig
eigner Ansicht gegenüber der Aufklärung wie Justus Möser operirte gelegentlich
mit diesen Begriffen, und selbst ein so heftiger Gegner alles Allfklärungswesens
wie der Herausgeber der Wiener Zeitschrift, Aloys Hofmann, bediente sich
wohl dann und wann verwandter Redensarten. Schlözer geriet über die Lehre
von einem spezifisch göttlichen Rechte der Obrigkeit noch im Jahre 1793 mit
seinem alten politischen Freunde (wie loir ihn nennen würden) Karl Friedrich
Moser in einen lebhaften Streit. Weder ein solches Recht des Fürsten, noch
eine Herleitung seiner Gewalt aus der väterlichen durfte nach der Ansicht
des Göttinger Gelehrten dein Satze entgegengestellt werden, daß die Souveränität
ursprünglich in der Nation residire. Wo Schlözer mit den Händeln zwischen
den Lüttichern und ihrem Fürstbischof zu thu« hat, läßt er sich in dem Eifer,
der bei Bekämpfung geistlicher Mißregierung von jeher doppelte Macht über
ihn gewann, bis zu der Äußerung hinreißen: „Stunde" (hier ganz mit dem
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[0549] Zur Erklärung deutschor Revolutionssympathien ^?9t>-^?92 Forderungen auf, die schon seit geraumer Zeit die große Mehrzahl der Ge¬ bildeten beherrschten; nur daß sie gegenüber der Unvernunft des Herkommens jetzt in Frankreich zum erstenmal auf europäischem Boden zur Verwirklichung kommen sollten. Ganz vorzüglich an der berühmten Erklärung der Menschen- rechte trat das zu Tage, die, als die Grundlage zum Ganzen, dem Verfassungs¬ werk der Nationalversammlung vorausging. Wie oft wurde darauf hin¬ gewiesen, sie enthalte nur wenig, was nicht seit lange, auch unter den Deutschen, in philosophischen und juristischen Lehrbüchern von angesehenen Gelehrten ohne Bedenken und Anstoß vorgetragen worden sei! Wer an der Stellung, die der französische Verfassungsentwurf dem Königtum zuwies, an der Beeinträchtigung der Erhabenheit, in der die monarchische Gewalt als Herrin über dem Ganzen gestanden hatte, ein Ärgernis nahm, dem konnte man nicht bloß das bekannte Wort Friedrichs des Großen von dem Fürsten als dem ersten Diener des Staates entgegenhalten; noch viel ausführlicher und eindringlicher hatte Joseph II. in öffentlichen Erlassen seine Beamten über das Wohl des Volkes als den Zweck belehrt, dem alles zu dienen habe, durch den allein Vorzug und Vorrecht in der bürgerlichen Gesellschaft gerechtfertigt werde. Die Angriffe der Nationalversammlung auf Vorrechte des Adels und der Geistlichkeit, wo fanden sie leichter eine Begründung und Rechtfertigung als in den Worten und Handlungen dieses Kaisers! Und bewegten sich doch vielfach auch solche, die der Verehrung des revolutionären Heils entgegentraten, trotzdem nach wie vor in diesen, ihnen zur andern Natur gewordnen Vor¬ stellungen. Nicht bloß Männer wie Schlözer und längere Zeit hindurch auch Gentz blieben, nachdem sie sich gegen die französische Revolution ausgesprochen hatten, der Gewohnheit treu, dem Staat ein Vertragsverhültnis zwischen Volk und Regenten zu Grunde zu legen, da dünn „der Hüter, wenn er nicht kontraktmäßig handle, abgedankt werden möge" (Schlözer); auch ein Mann von so vielfältig eigner Ansicht gegenüber der Aufklärung wie Justus Möser operirte gelegentlich mit diesen Begriffen, und selbst ein so heftiger Gegner alles Allfklärungswesens wie der Herausgeber der Wiener Zeitschrift, Aloys Hofmann, bediente sich wohl dann und wann verwandter Redensarten. Schlözer geriet über die Lehre von einem spezifisch göttlichen Rechte der Obrigkeit noch im Jahre 1793 mit seinem alten politischen Freunde (wie loir ihn nennen würden) Karl Friedrich Moser in einen lebhaften Streit. Weder ein solches Recht des Fürsten, noch eine Herleitung seiner Gewalt aus der väterlichen durfte nach der Ansicht des Göttinger Gelehrten dein Satze entgegengestellt werden, daß die Souveränität ursprünglich in der Nation residire. Wo Schlözer mit den Händeln zwischen den Lüttichern und ihrem Fürstbischof zu thu« hat, läßt er sich in dem Eifer, der bei Bekämpfung geistlicher Mißregierung von jeher doppelte Macht über ihn gewann, bis zu der Äußerung hinreißen: „Stunde" (hier ganz mit dem Volke als ein und dasselbe gedacht) sind eher als der Fürst; sie erschaffen ihn erst;"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/549>, abgerufen am 28.09.2024.