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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zur Erklärung deutscher Revolutionssympathien ^?90--^7Z2

klagten, wo sie vor den Günstlingeil im Staube kriechen und der Maitresse
Hofiren müssen, um ein kleines Amt zu erhalten? Ist die Nation frei, der
man sogar die Freiheit, zu denken, zu glauben und ihre Gedanken vorzutragen,
raubt? Ist die Nation frei, wo man für Geld alles feil hat? Ist überhaupt
die Nation frei, die keine Konstitution hat, wo alles unterthänig dem Fürsten,
nicht den Gesetzen -- leibeigen einem Einzelherrn ist, der ans Gnaden ihm den
Gebrauch der Luft und des Wassers erlaubt?"

Die Farben sind grell aufgetragen, aber matt lese, mit welcher grimmigen
Bitterkeit sich zehn Jahre früher, ein Jahr vor dem Ausbruch der französischen
Revolution, der Schweizer Johannes Müller in seiner Schrift: "Deutschlands
Erwartungen vom Fürstenbund" über den dentschen solus <iuo ausgelassen
hatte, und der Eindruck wird kein unähnlicher sein. Reichlicher Anlaß fand
also in der That der herrschende Geist unruhiger Aburteilung, denjenigen
Maßstab, den setzt Frankreichs Redner und Gesetzgeber als den alleinberechtigten
geltend machten, in vernichtender Weise an das staatliche Wesen Deutschlands
zu legen.

Fragte man dagegen, was etwa an den Platz des Bestehenden zu wünschen
wäre, so war hier ein unbegrenztes Feld für alle beliebigen Bilder und Träume
gegeben; und gegen diese mit Kritik oder mit Warnungen etwas auszurichten,
iilnßte um so schwerer fallen, je mehr doch auf deutschem Boden die Aussicht,
das Bestehende wirklich zu Falle zu bringen, noch im Unbestimmten lag.

Denn thatsächliche Nachahmungen der französischen Volkserhebung hatten
wohl hie und da, hauptsächlich in Westdeutschland, unter dem "nmittelbareii
Eindruck der ersten großen Revvlutionsszenen, stattgefunden -- städtische Tumulte
oder bäuerliche Unruhen in Reichsstädten oder in den Gebieten schwacher
geistlicher und weltlicher Herren. Daß aber zu einer ernstlichen Umwälzung
nach französischem Muster in Deutschland noch auf lauge hin die Bedingungen
fehlten, darin stimmte in den ersten Jahren der Revolutionszeit die Mehrzahl
der einsichtigen Revvlntivnsbewnndrer überein. Um so weniger war ihnen
also Veranlassung gegeben , den Bereich der abstrakten Gedanken zu verlasse"!
"ut in dem Versuche, die Gedanken durchzuführen, sie auf ihre praktische Taug¬
lichkeit hin anzusehn; um so weniger war ferner auch ihren Gegnern Gelegen¬
heit geboten, gegen diese Gedanken vielleicht ans ihrer llndllrchführbarkeit die
beste" Einwendungen herzunehmen.

Und auch der ganz zweifelhafte Ausfall derjenigen Lebeusprobeu, die
ni Frankreich das dort neugeschaffene oder noch im Werden begriffene ablegte,
hob die Freude der Dentschen über die ersten gesetzgeberischen Vollziehungen
der Nationalversamlnlnlig, die Beseitigung tausendjähriger Mißbildungen, nicht
"uf und stimmte sie nur wenig für eine bessere Wertschätzung des Heimischen
und Hergebrachten. Was in Frankreich geschah, um auf dem gereinigten Boden
nun in folgerichtiger Durchführung der modernen Staatslehren ein neues


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klagten, wo sie vor den Günstlingeil im Staube kriechen und der Maitresse
Hofiren müssen, um ein kleines Amt zu erhalten? Ist die Nation frei, der
man sogar die Freiheit, zu denken, zu glauben und ihre Gedanken vorzutragen,
raubt? Ist die Nation frei, wo man für Geld alles feil hat? Ist überhaupt
die Nation frei, die keine Konstitution hat, wo alles unterthänig dem Fürsten,
nicht den Gesetzen — leibeigen einem Einzelherrn ist, der ans Gnaden ihm den
Gebrauch der Luft und des Wassers erlaubt?"

Die Farben sind grell aufgetragen, aber matt lese, mit welcher grimmigen
Bitterkeit sich zehn Jahre früher, ein Jahr vor dem Ausbruch der französischen
Revolution, der Schweizer Johannes Müller in seiner Schrift: „Deutschlands
Erwartungen vom Fürstenbund" über den dentschen solus <iuo ausgelassen
hatte, und der Eindruck wird kein unähnlicher sein. Reichlicher Anlaß fand
also in der That der herrschende Geist unruhiger Aburteilung, denjenigen
Maßstab, den setzt Frankreichs Redner und Gesetzgeber als den alleinberechtigten
geltend machten, in vernichtender Weise an das staatliche Wesen Deutschlands
zu legen.

Fragte man dagegen, was etwa an den Platz des Bestehenden zu wünschen
wäre, so war hier ein unbegrenztes Feld für alle beliebigen Bilder und Träume
gegeben; und gegen diese mit Kritik oder mit Warnungen etwas auszurichten,
iilnßte um so schwerer fallen, je mehr doch auf deutschem Boden die Aussicht,
das Bestehende wirklich zu Falle zu bringen, noch im Unbestimmten lag.

Denn thatsächliche Nachahmungen der französischen Volkserhebung hatten
wohl hie und da, hauptsächlich in Westdeutschland, unter dem »nmittelbareii
Eindruck der ersten großen Revvlutionsszenen, stattgefunden — städtische Tumulte
oder bäuerliche Unruhen in Reichsstädten oder in den Gebieten schwacher
geistlicher und weltlicher Herren. Daß aber zu einer ernstlichen Umwälzung
nach französischem Muster in Deutschland noch auf lauge hin die Bedingungen
fehlten, darin stimmte in den ersten Jahren der Revolutionszeit die Mehrzahl
der einsichtigen Revvlntivnsbewnndrer überein. Um so weniger war ihnen
also Veranlassung gegeben , den Bereich der abstrakten Gedanken zu verlasse«!
»ut in dem Versuche, die Gedanken durchzuführen, sie auf ihre praktische Taug¬
lichkeit hin anzusehn; um so weniger war ferner auch ihren Gegnern Gelegen¬
heit geboten, gegen diese Gedanken vielleicht ans ihrer llndllrchführbarkeit die
beste» Einwendungen herzunehmen.

Und auch der ganz zweifelhafte Ausfall derjenigen Lebeusprobeu, die
ni Frankreich das dort neugeschaffene oder noch im Werden begriffene ablegte,
hob die Freude der Dentschen über die ersten gesetzgeberischen Vollziehungen
der Nationalversamlnlnlig, die Beseitigung tausendjähriger Mißbildungen, nicht
"uf und stimmte sie nur wenig für eine bessere Wertschätzung des Heimischen
und Hergebrachten. Was in Frankreich geschah, um auf dem gereinigten Boden
nun in folgerichtiger Durchführung der modernen Staatslehren ein neues


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[0547] Zur Erklärung deutscher Revolutionssympathien ^?90—^7Z2 klagten, wo sie vor den Günstlingeil im Staube kriechen und der Maitresse Hofiren müssen, um ein kleines Amt zu erhalten? Ist die Nation frei, der man sogar die Freiheit, zu denken, zu glauben und ihre Gedanken vorzutragen, raubt? Ist die Nation frei, wo man für Geld alles feil hat? Ist überhaupt die Nation frei, die keine Konstitution hat, wo alles unterthänig dem Fürsten, nicht den Gesetzen — leibeigen einem Einzelherrn ist, der ans Gnaden ihm den Gebrauch der Luft und des Wassers erlaubt?" Die Farben sind grell aufgetragen, aber matt lese, mit welcher grimmigen Bitterkeit sich zehn Jahre früher, ein Jahr vor dem Ausbruch der französischen Revolution, der Schweizer Johannes Müller in seiner Schrift: „Deutschlands Erwartungen vom Fürstenbund" über den dentschen solus <iuo ausgelassen hatte, und der Eindruck wird kein unähnlicher sein. Reichlicher Anlaß fand also in der That der herrschende Geist unruhiger Aburteilung, denjenigen Maßstab, den setzt Frankreichs Redner und Gesetzgeber als den alleinberechtigten geltend machten, in vernichtender Weise an das staatliche Wesen Deutschlands zu legen. Fragte man dagegen, was etwa an den Platz des Bestehenden zu wünschen wäre, so war hier ein unbegrenztes Feld für alle beliebigen Bilder und Träume gegeben; und gegen diese mit Kritik oder mit Warnungen etwas auszurichten, iilnßte um so schwerer fallen, je mehr doch auf deutschem Boden die Aussicht, das Bestehende wirklich zu Falle zu bringen, noch im Unbestimmten lag. Denn thatsächliche Nachahmungen der französischen Volkserhebung hatten wohl hie und da, hauptsächlich in Westdeutschland, unter dem »nmittelbareii Eindruck der ersten großen Revvlutionsszenen, stattgefunden — städtische Tumulte oder bäuerliche Unruhen in Reichsstädten oder in den Gebieten schwacher geistlicher und weltlicher Herren. Daß aber zu einer ernstlichen Umwälzung nach französischem Muster in Deutschland noch auf lauge hin die Bedingungen fehlten, darin stimmte in den ersten Jahren der Revolutionszeit die Mehrzahl der einsichtigen Revvlntivnsbewnndrer überein. Um so weniger war ihnen also Veranlassung gegeben , den Bereich der abstrakten Gedanken zu verlasse«! »ut in dem Versuche, die Gedanken durchzuführen, sie auf ihre praktische Taug¬ lichkeit hin anzusehn; um so weniger war ferner auch ihren Gegnern Gelegen¬ heit geboten, gegen diese Gedanken vielleicht ans ihrer llndllrchführbarkeit die beste» Einwendungen herzunehmen. Und auch der ganz zweifelhafte Ausfall derjenigen Lebeusprobeu, die ni Frankreich das dort neugeschaffene oder noch im Werden begriffene ablegte, hob die Freude der Dentschen über die ersten gesetzgeberischen Vollziehungen der Nationalversamlnlnlig, die Beseitigung tausendjähriger Mißbildungen, nicht "uf und stimmte sie nur wenig für eine bessere Wertschätzung des Heimischen und Hergebrachten. Was in Frankreich geschah, um auf dem gereinigten Boden nun in folgerichtiger Durchführung der modernen Staatslehren ein neues

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/547>, abgerufen am 29.06.2024.