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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Parlamentarisches aus (Österreichs

ihrer sittlichen Entrüstung. Auf der einen Seite gab sie dein höchsten Er¬
barmen mit dem Schicksal der jüngern Geschwister Ausdruck, die ihr Brod
irgendwo suche" müßte", wenn sie nicht -- wie so vielfach üblich -- als
Arbeiter des Erben auf dem Hofe bleiben wollten, auf der andern Seite sah
sie die höchste Schmach darin, daß der Bauer in der freien Verfügung über
seinen Besitz gehindert, d. h. gegen das allmähliche Verdrängtwerden durch
Menschenfreunde, die ihm über augenblickliche Verlegenheit durch Geldvvrschüsse
zu "landesüblichen" Zinsen hinweghelfen, geschützt werden solle. Als Haupt¬
trumpf wurde ausgespielt, den Konservativen sei es mehr um den Bauernhof
als um deu Bauern zu thun. Daraus ersieht mau, daß die Liberalen deu
Bauern in abiitiÄvw, ohne Bauernhof, lieben! Und so jubelten sie einem vor
nicht zu langer Zeit auf das wütendste verfolgten Wiener Magistratsrate zu,
der in jedem Unverstaudslandtage von 1348 eine hervorragende Rolle gespielt
haben würde, und der bei diesem Anlaß offenherzig bekundete, daß er am
liebsten den für die Weisheit der berühmten "Bezirksdemokraten" unzugäng¬
lichen Vanern gänzlich ausrotten würde.

Wie die Bauern das Liebeswerben der Liberalen aufnehme" werde", ist
abzuwarten, von den Arbeitern haben diese rund und nett einen Korb bekommen.
Es war nicht anders zu erwarten. Die EnqnZte über die vou der Lücken be¬
antragten Arbeiterkammern hat allerdings wieder gezeigt, wie es in den Köpfen
vieler "Führer" aussieht. Aber auch das konnte nicht überraschen. Diese Leute
sind aus der Schule der liberalen Bourgeoisie hervorgegangen, haben gelehrig
die Sätze aus der LnvMoxvcliö und ans der großen Revolution angenommen,
wenden sie jedoch konsequenter an, als ihre Meister. Und da ihnen dieser Unter¬
schied längst klar geworden ist, fühlen sie sich unendlich erhaben über allen
Parteien, glauben fest an die Zukunft, die keine Rassen, keine Staaten, keine Stände,
keine Religionen, keine Armut, kein Verbrechen u. s. w. mehr kennen wird. Zu
glauben, daß diese Menschen auf den Leim der Arbeiterkammern gehen würden,
welche neun, nenn ganze Abgeordnete in den Neichsrat entsenden sollten, war
einfach lächerlich. Oder soll man diesen Gedanken unter die "verflucht gescheidten"
einreihen? Die Handels- und Gewerbekammern wählen mehr als die dreifache
Zahl von Abgeordneten, und dabei übt natürlich jedes Kammermitglied sein
Wahlrecht noch persönlich ans; was war natürlicher, als daß die Arbeiter auch
nicht auf das Wahlrecht verzichten wollen für eine Klassenvertretung, die nicht
einmal ohne Unterstützung andrer Fraktionen Anträge einbringen könnte. Falls
die Verfertiger des Gesetzentwurfes gemeint haben, so wohlfeil die Hilfe der
Arbeiter gegen die verhaßteste aller Parteien, die Antisemiten, zu erkaufen, so
haben sie sich gründlich getäuscht.

Übrigens gehört schon ein geübtes Gedächtnis dazu, alle die parlamenta¬
rischen Parteien und Parteilein im Kopfe zu behalten, und dazu, ob sie unter
diesen, oder jenem Namen in das Firmenverzeichnis eingetragen sind oder noch


Parlamentarisches aus (Österreichs

ihrer sittlichen Entrüstung. Auf der einen Seite gab sie dein höchsten Er¬
barmen mit dem Schicksal der jüngern Geschwister Ausdruck, die ihr Brod
irgendwo suche» müßte», wenn sie nicht — wie so vielfach üblich — als
Arbeiter des Erben auf dem Hofe bleiben wollten, auf der andern Seite sah
sie die höchste Schmach darin, daß der Bauer in der freien Verfügung über
seinen Besitz gehindert, d. h. gegen das allmähliche Verdrängtwerden durch
Menschenfreunde, die ihm über augenblickliche Verlegenheit durch Geldvvrschüsse
zu „landesüblichen" Zinsen hinweghelfen, geschützt werden solle. Als Haupt¬
trumpf wurde ausgespielt, den Konservativen sei es mehr um den Bauernhof
als um deu Bauern zu thun. Daraus ersieht mau, daß die Liberalen deu
Bauern in abiitiÄvw, ohne Bauernhof, lieben! Und so jubelten sie einem vor
nicht zu langer Zeit auf das wütendste verfolgten Wiener Magistratsrate zu,
der in jedem Unverstaudslandtage von 1348 eine hervorragende Rolle gespielt
haben würde, und der bei diesem Anlaß offenherzig bekundete, daß er am
liebsten den für die Weisheit der berühmten „Bezirksdemokraten" unzugäng¬
lichen Vanern gänzlich ausrotten würde.

Wie die Bauern das Liebeswerben der Liberalen aufnehme» werde», ist
abzuwarten, von den Arbeitern haben diese rund und nett einen Korb bekommen.
Es war nicht anders zu erwarten. Die EnqnZte über die vou der Lücken be¬
antragten Arbeiterkammern hat allerdings wieder gezeigt, wie es in den Köpfen
vieler „Führer" aussieht. Aber auch das konnte nicht überraschen. Diese Leute
sind aus der Schule der liberalen Bourgeoisie hervorgegangen, haben gelehrig
die Sätze aus der LnvMoxvcliö und ans der großen Revolution angenommen,
wenden sie jedoch konsequenter an, als ihre Meister. Und da ihnen dieser Unter¬
schied längst klar geworden ist, fühlen sie sich unendlich erhaben über allen
Parteien, glauben fest an die Zukunft, die keine Rassen, keine Staaten, keine Stände,
keine Religionen, keine Armut, kein Verbrechen u. s. w. mehr kennen wird. Zu
glauben, daß diese Menschen auf den Leim der Arbeiterkammern gehen würden,
welche neun, nenn ganze Abgeordnete in den Neichsrat entsenden sollten, war
einfach lächerlich. Oder soll man diesen Gedanken unter die „verflucht gescheidten"
einreihen? Die Handels- und Gewerbekammern wählen mehr als die dreifache
Zahl von Abgeordneten, und dabei übt natürlich jedes Kammermitglied sein
Wahlrecht noch persönlich ans; was war natürlicher, als daß die Arbeiter auch
nicht auf das Wahlrecht verzichten wollen für eine Klassenvertretung, die nicht
einmal ohne Unterstützung andrer Fraktionen Anträge einbringen könnte. Falls
die Verfertiger des Gesetzentwurfes gemeint haben, so wohlfeil die Hilfe der
Arbeiter gegen die verhaßteste aller Parteien, die Antisemiten, zu erkaufen, so
haben sie sich gründlich getäuscht.

Übrigens gehört schon ein geübtes Gedächtnis dazu, alle die parlamenta¬
rischen Parteien und Parteilein im Kopfe zu behalten, und dazu, ob sie unter
diesen, oder jenem Namen in das Firmenverzeichnis eingetragen sind oder noch


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[0536] Parlamentarisches aus (Österreichs ihrer sittlichen Entrüstung. Auf der einen Seite gab sie dein höchsten Er¬ barmen mit dem Schicksal der jüngern Geschwister Ausdruck, die ihr Brod irgendwo suche» müßte», wenn sie nicht — wie so vielfach üblich — als Arbeiter des Erben auf dem Hofe bleiben wollten, auf der andern Seite sah sie die höchste Schmach darin, daß der Bauer in der freien Verfügung über seinen Besitz gehindert, d. h. gegen das allmähliche Verdrängtwerden durch Menschenfreunde, die ihm über augenblickliche Verlegenheit durch Geldvvrschüsse zu „landesüblichen" Zinsen hinweghelfen, geschützt werden solle. Als Haupt¬ trumpf wurde ausgespielt, den Konservativen sei es mehr um den Bauernhof als um deu Bauern zu thun. Daraus ersieht mau, daß die Liberalen deu Bauern in abiitiÄvw, ohne Bauernhof, lieben! Und so jubelten sie einem vor nicht zu langer Zeit auf das wütendste verfolgten Wiener Magistratsrate zu, der in jedem Unverstaudslandtage von 1348 eine hervorragende Rolle gespielt haben würde, und der bei diesem Anlaß offenherzig bekundete, daß er am liebsten den für die Weisheit der berühmten „Bezirksdemokraten" unzugäng¬ lichen Vanern gänzlich ausrotten würde. Wie die Bauern das Liebeswerben der Liberalen aufnehme» werde», ist abzuwarten, von den Arbeitern haben diese rund und nett einen Korb bekommen. Es war nicht anders zu erwarten. Die EnqnZte über die vou der Lücken be¬ antragten Arbeiterkammern hat allerdings wieder gezeigt, wie es in den Köpfen vieler „Führer" aussieht. Aber auch das konnte nicht überraschen. Diese Leute sind aus der Schule der liberalen Bourgeoisie hervorgegangen, haben gelehrig die Sätze aus der LnvMoxvcliö und ans der großen Revolution angenommen, wenden sie jedoch konsequenter an, als ihre Meister. Und da ihnen dieser Unter¬ schied längst klar geworden ist, fühlen sie sich unendlich erhaben über allen Parteien, glauben fest an die Zukunft, die keine Rassen, keine Staaten, keine Stände, keine Religionen, keine Armut, kein Verbrechen u. s. w. mehr kennen wird. Zu glauben, daß diese Menschen auf den Leim der Arbeiterkammern gehen würden, welche neun, nenn ganze Abgeordnete in den Neichsrat entsenden sollten, war einfach lächerlich. Oder soll man diesen Gedanken unter die „verflucht gescheidten" einreihen? Die Handels- und Gewerbekammern wählen mehr als die dreifache Zahl von Abgeordneten, und dabei übt natürlich jedes Kammermitglied sein Wahlrecht noch persönlich ans; was war natürlicher, als daß die Arbeiter auch nicht auf das Wahlrecht verzichten wollen für eine Klassenvertretung, die nicht einmal ohne Unterstützung andrer Fraktionen Anträge einbringen könnte. Falls die Verfertiger des Gesetzentwurfes gemeint haben, so wohlfeil die Hilfe der Arbeiter gegen die verhaßteste aller Parteien, die Antisemiten, zu erkaufen, so haben sie sich gründlich getäuscht. Übrigens gehört schon ein geübtes Gedächtnis dazu, alle die parlamenta¬ rischen Parteien und Parteilein im Kopfe zu behalten, und dazu, ob sie unter diesen, oder jenem Namen in das Firmenverzeichnis eingetragen sind oder noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/536>, abgerufen am 29.06.2024.