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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Parlamentarisches ans Österreich

Verworfen, nur die parteiische Anwendung derselben. Mag noch so viel über
den Mangel an Idealismus in der heutigen Jugend gejammert werden, mögen
die Zeitungen sich noch sehr über Autoritätsglauben und Personenkultus ent¬
rüsten - wohl zu merken, wenn es sich nicht um die "freisinnigen" Helden
hier und im Austen.de handelt zu den schlechtesten Erschein>,ngen in unsrer
Zeit gehört es gewiß nicht, daß die Studenten es verschmähen, ihre politische
Nahrung ans Börne und Heine zu schöpfen, daß ihnen Thaten einen größern
Eindruck machen, als Phrasen.

Und wie sonderbar, zu glauben, daß der jetzigen Strömung nu Bürger¬
tum ein Makel angeheftet werde, wenn man sagt, sie sei em Erzeugnis der
herrschenden Notlage! Ohne Zweifel ist sie das. Hätten die Theorien von
unbeschränkter Freiheit des Handels und Gewerbes sich in der Praxis bewahrt,
so würde unser Gewerbestand sich entweder gar nicht um Politik bekümmern
oder sehr liberal sein. Aber daß er. da Großindustrie und Zwischenhandel ihn
zu Grnnde richte", sich auch noch für die Reden und Artikel begeistern soll,
worin ihm stumme Ergebung in sein Schicksal zur Bürgerpflicht gemacht
wird, das ist etwas zu viel verlangt. Den Schutz der Arbeit führt heute
jedermann im Munde, aber jeder Versuch. Wälle gegen ihre Ausbeutung auf¬
zuführen, wird von den liberalen Organen als Beschränkung der Frechen und
mis Rückfall ins Mittelalter verschrieen und verhöhnt. Woher soll da das Ver¬
trauen der Bedrängten kommen? Die Art von Zwischenhandel, der steh be¬
kanntlich "die edelsten Kräfte der Nation" mit Vorliebe zuwenden, erfuhr erst
unlängst wieder eine treffliche Beleuchtung in dem Jahresberichte des Vereins,
der die Handarbeiterinnen aus der Sklaverei zu befreien versucht. Man war
auf die Gegnerschaft der mit Wäsche u. dergl. handelnden Kaufleute gefaßt
gewesen und erfuhr, daß diese ebenso froh sind, wie die Arbeiterumen. durch
die Vermittlungsanstalt unabhängig gemacht zu werden. Und als dem Bereut
eine große Bestellung auf gehäkelte Kinderhändchen zuging, forderten tue
Arbeiterinnen den herkömmlichen Preis von 22 Kreuzern für das Dutzend,
"och nicht zwei Kreuzer für ein Stück! Da ihnen 40 Kreuzer bewtll.ge werden
konnten, kamen sie sich reichlich belohnt vor. Um solche entsetzlichen Früchte
der freien Konkurrenz kümmern sich natürlich die Herren nicht, die große Reden
halten, unerquicklich wie der Wirbelwind.

Dergleichen bekamen wir auch in den Verhandlungen über das Höferecht
M hören. Der Gegenstand ist ja äußerst schwierig, und wenn er von beiden
Seiten mit Unaufrichtigst behandelt wird, kann freilich nichts ersprießliches
herauskommen. Für die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes war man
rechts und links sehr begeistert, aber die gegenseitig vorgebrachten Verdächtigungen,
daß dort der Angliederung bäuerlicher VesilMmer nu den großen Grundbesitz,
hier ihrer Zertrümmerung kein Hindernis bereitet werden solle, erschienen all¬
gemein glaubwürdig. Die manchesterliche Presse war. wie immer, groß in


Parlamentarisches ans Österreich

Verworfen, nur die parteiische Anwendung derselben. Mag noch so viel über
den Mangel an Idealismus in der heutigen Jugend gejammert werden, mögen
die Zeitungen sich noch sehr über Autoritätsglauben und Personenkultus ent¬
rüsten - wohl zu merken, wenn es sich nicht um die „freisinnigen" Helden
hier und im Austen.de handelt zu den schlechtesten Erschein>,ngen in unsrer
Zeit gehört es gewiß nicht, daß die Studenten es verschmähen, ihre politische
Nahrung ans Börne und Heine zu schöpfen, daß ihnen Thaten einen größern
Eindruck machen, als Phrasen.

Und wie sonderbar, zu glauben, daß der jetzigen Strömung nu Bürger¬
tum ein Makel angeheftet werde, wenn man sagt, sie sei em Erzeugnis der
herrschenden Notlage! Ohne Zweifel ist sie das. Hätten die Theorien von
unbeschränkter Freiheit des Handels und Gewerbes sich in der Praxis bewahrt,
so würde unser Gewerbestand sich entweder gar nicht um Politik bekümmern
oder sehr liberal sein. Aber daß er. da Großindustrie und Zwischenhandel ihn
zu Grnnde richte», sich auch noch für die Reden und Artikel begeistern soll,
worin ihm stumme Ergebung in sein Schicksal zur Bürgerpflicht gemacht
wird, das ist etwas zu viel verlangt. Den Schutz der Arbeit führt heute
jedermann im Munde, aber jeder Versuch. Wälle gegen ihre Ausbeutung auf¬
zuführen, wird von den liberalen Organen als Beschränkung der Frechen und
mis Rückfall ins Mittelalter verschrieen und verhöhnt. Woher soll da das Ver¬
trauen der Bedrängten kommen? Die Art von Zwischenhandel, der steh be¬
kanntlich „die edelsten Kräfte der Nation" mit Vorliebe zuwenden, erfuhr erst
unlängst wieder eine treffliche Beleuchtung in dem Jahresberichte des Vereins,
der die Handarbeiterinnen aus der Sklaverei zu befreien versucht. Man war
auf die Gegnerschaft der mit Wäsche u. dergl. handelnden Kaufleute gefaßt
gewesen und erfuhr, daß diese ebenso froh sind, wie die Arbeiterumen. durch
die Vermittlungsanstalt unabhängig gemacht zu werden. Und als dem Bereut
eine große Bestellung auf gehäkelte Kinderhändchen zuging, forderten tue
Arbeiterinnen den herkömmlichen Preis von 22 Kreuzern für das Dutzend,
«och nicht zwei Kreuzer für ein Stück! Da ihnen 40 Kreuzer bewtll.ge werden
konnten, kamen sie sich reichlich belohnt vor. Um solche entsetzlichen Früchte
der freien Konkurrenz kümmern sich natürlich die Herren nicht, die große Reden
halten, unerquicklich wie der Wirbelwind.

Dergleichen bekamen wir auch in den Verhandlungen über das Höferecht
M hören. Der Gegenstand ist ja äußerst schwierig, und wenn er von beiden
Seiten mit Unaufrichtigst behandelt wird, kann freilich nichts ersprießliches
herauskommen. Für die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes war man
rechts und links sehr begeistert, aber die gegenseitig vorgebrachten Verdächtigungen,
daß dort der Angliederung bäuerlicher VesilMmer nu den großen Grundbesitz,
hier ihrer Zertrümmerung kein Hindernis bereitet werden solle, erschienen all¬
gemein glaubwürdig. Die manchesterliche Presse war. wie immer, groß in


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[0535] Parlamentarisches ans Österreich Verworfen, nur die parteiische Anwendung derselben. Mag noch so viel über den Mangel an Idealismus in der heutigen Jugend gejammert werden, mögen die Zeitungen sich noch sehr über Autoritätsglauben und Personenkultus ent¬ rüsten - wohl zu merken, wenn es sich nicht um die „freisinnigen" Helden hier und im Austen.de handelt zu den schlechtesten Erschein>,ngen in unsrer Zeit gehört es gewiß nicht, daß die Studenten es verschmähen, ihre politische Nahrung ans Börne und Heine zu schöpfen, daß ihnen Thaten einen größern Eindruck machen, als Phrasen. Und wie sonderbar, zu glauben, daß der jetzigen Strömung nu Bürger¬ tum ein Makel angeheftet werde, wenn man sagt, sie sei em Erzeugnis der herrschenden Notlage! Ohne Zweifel ist sie das. Hätten die Theorien von unbeschränkter Freiheit des Handels und Gewerbes sich in der Praxis bewahrt, so würde unser Gewerbestand sich entweder gar nicht um Politik bekümmern oder sehr liberal sein. Aber daß er. da Großindustrie und Zwischenhandel ihn zu Grnnde richte», sich auch noch für die Reden und Artikel begeistern soll, worin ihm stumme Ergebung in sein Schicksal zur Bürgerpflicht gemacht wird, das ist etwas zu viel verlangt. Den Schutz der Arbeit führt heute jedermann im Munde, aber jeder Versuch. Wälle gegen ihre Ausbeutung auf¬ zuführen, wird von den liberalen Organen als Beschränkung der Frechen und mis Rückfall ins Mittelalter verschrieen und verhöhnt. Woher soll da das Ver¬ trauen der Bedrängten kommen? Die Art von Zwischenhandel, der steh be¬ kanntlich „die edelsten Kräfte der Nation" mit Vorliebe zuwenden, erfuhr erst unlängst wieder eine treffliche Beleuchtung in dem Jahresberichte des Vereins, der die Handarbeiterinnen aus der Sklaverei zu befreien versucht. Man war auf die Gegnerschaft der mit Wäsche u. dergl. handelnden Kaufleute gefaßt gewesen und erfuhr, daß diese ebenso froh sind, wie die Arbeiterumen. durch die Vermittlungsanstalt unabhängig gemacht zu werden. Und als dem Bereut eine große Bestellung auf gehäkelte Kinderhändchen zuging, forderten tue Arbeiterinnen den herkömmlichen Preis von 22 Kreuzern für das Dutzend, «och nicht zwei Kreuzer für ein Stück! Da ihnen 40 Kreuzer bewtll.ge werden konnten, kamen sie sich reichlich belohnt vor. Um solche entsetzlichen Früchte der freien Konkurrenz kümmern sich natürlich die Herren nicht, die große Reden halten, unerquicklich wie der Wirbelwind. Dergleichen bekamen wir auch in den Verhandlungen über das Höferecht M hören. Der Gegenstand ist ja äußerst schwierig, und wenn er von beiden Seiten mit Unaufrichtigst behandelt wird, kann freilich nichts ersprießliches herauskommen. Für die Erhaltung eines kräftigen Bauernstandes war man rechts und links sehr begeistert, aber die gegenseitig vorgebrachten Verdächtigungen, daß dort der Angliederung bäuerlicher VesilMmer nu den großen Grundbesitz, hier ihrer Zertrümmerung kein Hindernis bereitet werden solle, erschienen all¬ gemein glaubwürdig. Die manchesterliche Presse war. wie immer, groß in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/535>, abgerufen am 29.06.2024.