Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Parlamentarisches aus Österreich

ohne Konzession ihr Wesen treiben. Wer sich über die fortschreitende Zerklüftung
erbosen oder lustig machen wollte, dein bot auch diese "große Debatte"
dazu wieder reichlichen Anlaß. Längst hatten die Tschechen sich in alte und
junge gesondert, und nun kommen noch "Realisten" hinzu, die Lemberger
Demokraten empöre" sich gegen die Krakauer Opportunisten, die gemeinschaftlich
die Ruthenen unterdrücken, zwischen den Klerikalen, die ihr Deutschtum uicht
vergessen können und wollen, und jenen andern, die das Nationalgefühl auf dem
Altar der schwarzen Internationale geopfert haben, ist ein wilder Bruderzwist
entbrannt, italienische und slavische Vertreter aus dem Küstenlande waren nahe
daran, einander lmchstäblich in die Haare zu geraten, Demokraten und Anti¬
semiten bescheinigen sich gegenseitig ihre Verachtung, und wen die Liberalen
mehr hassen, die Mtramontanen, die Slovenen, die Antisemiten oder die Mit¬
glieder der "Deutschnationalen Vereinigung", das Ware schwer zu entscheiden.
Wenn auf der Regiernngsbank gesagt wird, man habe ja die verschiednen
Nationalitäten in Osterreich nicht erfunden, und wenn der freiwillige Sarmate
Otto Hausner behauptet, Tschechen und Deutschböhmen znukten sich gegenwärtig
uicht mehr als sonst, so wird damit die Thatsache nicht beseitigt, daß die Er¬
bitterung immer allgemeiner wird. Immer wilder werden die Ausbrüche der
Wuth gegen alles Deutsche und daher auch gegen das Deutsche Reich bei den
tschechischen Radikalen, und ein jüdischer Professor ans Prag versichert, das
"böhmische" Volk werde mit der Negierung nicht Frieden schließen, so lange
nicht das neuerfundene "böhmische Stantsrecht" zur Anerkennung gekommen,
und der Kaiser zum König von Böhmen gekrönt worden sei. Also gänzliche
Preisgebung des Deutschtums in Böhmen! Der jetzt in aller Form als Führer
der deutsch österreichischen Partei oder vereinigten Linke" anerkannte Abgeordnete
v. Pierer ließ wieder einmal durchblicken, daß weitere Vergewaltigung, vor
allem aber eine Umänderung des Schulgesetzes seine Partei bestimmen könnte,
ebenso wie im böhmischen Landtage, auch im Neichsrate das Feld zu räumen.
Gewiß würde die Verlegenheit groß sein, wen" wirklich die Deutschen sich
zurückzögen, und man behauptet auch schon, das Ministerium habe infolge
der Drohung beschlösse", seine eigne Aktion auf dein Gebiete der Schulgesetz¬
gebung wenigstens zu vertagen. Es ist denkbar, daß es gern von diesen: Vor-
wande Gebrauch macht, viel weniger wahrscheinlich, daß es um den Ernst der
Drohung glaubt. Das wunderbarste bleibt, daß immer uoch Politiker meinen,
durch große Standreden etwas andres zu erzielen als die "Vegliickwnuschnngcn"
ihrer Parteifreunde, und daß noch irgend jemand den Ehrgeiz besitzt, öster¬
reichischer Minister zu werden.




Grenzboten I 183!)">7
Parlamentarisches aus Österreich

ohne Konzession ihr Wesen treiben. Wer sich über die fortschreitende Zerklüftung
erbosen oder lustig machen wollte, dein bot auch diese „große Debatte"
dazu wieder reichlichen Anlaß. Längst hatten die Tschechen sich in alte und
junge gesondert, und nun kommen noch „Realisten" hinzu, die Lemberger
Demokraten empöre» sich gegen die Krakauer Opportunisten, die gemeinschaftlich
die Ruthenen unterdrücken, zwischen den Klerikalen, die ihr Deutschtum uicht
vergessen können und wollen, und jenen andern, die das Nationalgefühl auf dem
Altar der schwarzen Internationale geopfert haben, ist ein wilder Bruderzwist
entbrannt, italienische und slavische Vertreter aus dem Küstenlande waren nahe
daran, einander lmchstäblich in die Haare zu geraten, Demokraten und Anti¬
semiten bescheinigen sich gegenseitig ihre Verachtung, und wen die Liberalen
mehr hassen, die Mtramontanen, die Slovenen, die Antisemiten oder die Mit¬
glieder der „Deutschnationalen Vereinigung", das Ware schwer zu entscheiden.
Wenn auf der Regiernngsbank gesagt wird, man habe ja die verschiednen
Nationalitäten in Osterreich nicht erfunden, und wenn der freiwillige Sarmate
Otto Hausner behauptet, Tschechen und Deutschböhmen znukten sich gegenwärtig
uicht mehr als sonst, so wird damit die Thatsache nicht beseitigt, daß die Er¬
bitterung immer allgemeiner wird. Immer wilder werden die Ausbrüche der
Wuth gegen alles Deutsche und daher auch gegen das Deutsche Reich bei den
tschechischen Radikalen, und ein jüdischer Professor ans Prag versichert, das
„böhmische" Volk werde mit der Negierung nicht Frieden schließen, so lange
nicht das neuerfundene „böhmische Stantsrecht" zur Anerkennung gekommen,
und der Kaiser zum König von Böhmen gekrönt worden sei. Also gänzliche
Preisgebung des Deutschtums in Böhmen! Der jetzt in aller Form als Führer
der deutsch österreichischen Partei oder vereinigten Linke» anerkannte Abgeordnete
v. Pierer ließ wieder einmal durchblicken, daß weitere Vergewaltigung, vor
allem aber eine Umänderung des Schulgesetzes seine Partei bestimmen könnte,
ebenso wie im böhmischen Landtage, auch im Neichsrate das Feld zu räumen.
Gewiß würde die Verlegenheit groß sein, wen» wirklich die Deutschen sich
zurückzögen, und man behauptet auch schon, das Ministerium habe infolge
der Drohung beschlösse», seine eigne Aktion auf dein Gebiete der Schulgesetz¬
gebung wenigstens zu vertagen. Es ist denkbar, daß es gern von diesen: Vor-
wande Gebrauch macht, viel weniger wahrscheinlich, daß es um den Ernst der
Drohung glaubt. Das wunderbarste bleibt, daß immer uoch Politiker meinen,
durch große Standreden etwas andres zu erzielen als die „Vegliickwnuschnngcn"
ihrer Parteifreunde, und daß noch irgend jemand den Ehrgeiz besitzt, öster¬
reichischer Minister zu werden.




Grenzboten I 183!)«>7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0537" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204626"/>
          <fw type="header" place="top"> Parlamentarisches aus Österreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1750" prev="#ID_1749"> ohne Konzession ihr Wesen treiben. Wer sich über die fortschreitende Zerklüftung<lb/>
erbosen oder lustig machen wollte, dein bot auch diese &#x201E;große Debatte"<lb/>
dazu wieder reichlichen Anlaß. Längst hatten die Tschechen sich in alte und<lb/>
junge gesondert, und nun kommen noch &#x201E;Realisten" hinzu, die Lemberger<lb/>
Demokraten empöre» sich gegen die Krakauer Opportunisten, die gemeinschaftlich<lb/>
die Ruthenen unterdrücken, zwischen den Klerikalen, die ihr Deutschtum uicht<lb/>
vergessen können und wollen, und jenen andern, die das Nationalgefühl auf dem<lb/>
Altar der schwarzen Internationale geopfert haben, ist ein wilder Bruderzwist<lb/>
entbrannt, italienische und slavische Vertreter aus dem Küstenlande waren nahe<lb/>
daran, einander lmchstäblich in die Haare zu geraten, Demokraten und Anti¬<lb/>
semiten bescheinigen sich gegenseitig ihre Verachtung, und wen die Liberalen<lb/>
mehr hassen, die Mtramontanen, die Slovenen, die Antisemiten oder die Mit¬<lb/>
glieder der &#x201E;Deutschnationalen Vereinigung", das Ware schwer zu entscheiden.<lb/>
Wenn auf der Regiernngsbank gesagt wird, man habe ja die verschiednen<lb/>
Nationalitäten in Osterreich nicht erfunden, und wenn der freiwillige Sarmate<lb/>
Otto Hausner behauptet, Tschechen und Deutschböhmen znukten sich gegenwärtig<lb/>
uicht mehr als sonst, so wird damit die Thatsache nicht beseitigt, daß die Er¬<lb/>
bitterung immer allgemeiner wird. Immer wilder werden die Ausbrüche der<lb/>
Wuth gegen alles Deutsche und daher auch gegen das Deutsche Reich bei den<lb/>
tschechischen Radikalen, und ein jüdischer Professor ans Prag versichert, das<lb/>
&#x201E;böhmische" Volk werde mit der Negierung nicht Frieden schließen, so lange<lb/>
nicht das neuerfundene &#x201E;böhmische Stantsrecht" zur Anerkennung gekommen,<lb/>
und der Kaiser zum König von Böhmen gekrönt worden sei. Also gänzliche<lb/>
Preisgebung des Deutschtums in Böhmen! Der jetzt in aller Form als Führer<lb/>
der deutsch österreichischen Partei oder vereinigten Linke» anerkannte Abgeordnete<lb/>
v. Pierer ließ wieder einmal durchblicken, daß weitere Vergewaltigung, vor<lb/>
allem aber eine Umänderung des Schulgesetzes seine Partei bestimmen könnte,<lb/>
ebenso wie im böhmischen Landtage, auch im Neichsrate das Feld zu räumen.<lb/>
Gewiß würde die Verlegenheit groß sein, wen» wirklich die Deutschen sich<lb/>
zurückzögen, und man behauptet auch schon, das Ministerium habe infolge<lb/>
der Drohung beschlösse», seine eigne Aktion auf dein Gebiete der Schulgesetz¬<lb/>
gebung wenigstens zu vertagen. Es ist denkbar, daß es gern von diesen: Vor-<lb/>
wande Gebrauch macht, viel weniger wahrscheinlich, daß es um den Ernst der<lb/>
Drohung glaubt. Das wunderbarste bleibt, daß immer uoch Politiker meinen,<lb/>
durch große Standreden etwas andres zu erzielen als die &#x201E;Vegliickwnuschnngcn"<lb/>
ihrer Parteifreunde, und daß noch irgend jemand den Ehrgeiz besitzt, öster¬<lb/>
reichischer Minister zu werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 183!)«&gt;7</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0537] Parlamentarisches aus Österreich ohne Konzession ihr Wesen treiben. Wer sich über die fortschreitende Zerklüftung erbosen oder lustig machen wollte, dein bot auch diese „große Debatte" dazu wieder reichlichen Anlaß. Längst hatten die Tschechen sich in alte und junge gesondert, und nun kommen noch „Realisten" hinzu, die Lemberger Demokraten empöre» sich gegen die Krakauer Opportunisten, die gemeinschaftlich die Ruthenen unterdrücken, zwischen den Klerikalen, die ihr Deutschtum uicht vergessen können und wollen, und jenen andern, die das Nationalgefühl auf dem Altar der schwarzen Internationale geopfert haben, ist ein wilder Bruderzwist entbrannt, italienische und slavische Vertreter aus dem Küstenlande waren nahe daran, einander lmchstäblich in die Haare zu geraten, Demokraten und Anti¬ semiten bescheinigen sich gegenseitig ihre Verachtung, und wen die Liberalen mehr hassen, die Mtramontanen, die Slovenen, die Antisemiten oder die Mit¬ glieder der „Deutschnationalen Vereinigung", das Ware schwer zu entscheiden. Wenn auf der Regiernngsbank gesagt wird, man habe ja die verschiednen Nationalitäten in Osterreich nicht erfunden, und wenn der freiwillige Sarmate Otto Hausner behauptet, Tschechen und Deutschböhmen znukten sich gegenwärtig uicht mehr als sonst, so wird damit die Thatsache nicht beseitigt, daß die Er¬ bitterung immer allgemeiner wird. Immer wilder werden die Ausbrüche der Wuth gegen alles Deutsche und daher auch gegen das Deutsche Reich bei den tschechischen Radikalen, und ein jüdischer Professor ans Prag versichert, das „böhmische" Volk werde mit der Negierung nicht Frieden schließen, so lange nicht das neuerfundene „böhmische Stantsrecht" zur Anerkennung gekommen, und der Kaiser zum König von Böhmen gekrönt worden sei. Also gänzliche Preisgebung des Deutschtums in Böhmen! Der jetzt in aller Form als Führer der deutsch österreichischen Partei oder vereinigten Linke» anerkannte Abgeordnete v. Pierer ließ wieder einmal durchblicken, daß weitere Vergewaltigung, vor allem aber eine Umänderung des Schulgesetzes seine Partei bestimmen könnte, ebenso wie im böhmischen Landtage, auch im Neichsrate das Feld zu räumen. Gewiß würde die Verlegenheit groß sein, wen» wirklich die Deutschen sich zurückzögen, und man behauptet auch schon, das Ministerium habe infolge der Drohung beschlösse», seine eigne Aktion auf dein Gebiete der Schulgesetz¬ gebung wenigstens zu vertagen. Es ist denkbar, daß es gern von diesen: Vor- wande Gebrauch macht, viel weniger wahrscheinlich, daß es um den Ernst der Drohung glaubt. Das wunderbarste bleibt, daß immer uoch Politiker meinen, durch große Standreden etwas andres zu erzielen als die „Vegliickwnuschnngcn" ihrer Parteifreunde, und daß noch irgend jemand den Ehrgeiz besitzt, öster¬ reichischer Minister zu werden. Grenzboten I 183!)«>7

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/537
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/537>, abgerufen am 28.09.2024.