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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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ruf gemacht, und das ist für beide Teile eine sehr geschickte Wahl. Pfaffen¬
herrschaft, nach dem Syllabus geregelter Unterricht, Konkordat -- das sind
Schreckbilder, die den im übrigen ziemlich teilnahmlos gewordnen "ruhigen
Bürger" aus seiner Ruhe aufstören können und so manche Bedenken, die sich
bei ihm gegen die "Neuschule" (diesen uicht angenehm an die Prager Synagoge
erinnernden Ausdruck, deu die Gegner mit unverkennbarer Absicht gewählt
hatten, eiguen sich jetzt die Freunde ganz unbefangen um!) eingestellt hatten, zum
Schweigen bringen. Und der Institution würde auch keine Gefahr drohen,
wenn der Liberalismus wahrend feiner Herrschaft offne Augen gehabt hätte.
Freilich sieht er uoch heute nicht, daß der streng religiöse katholische Bauer
ein Recht hat, zu wünschen, seine Kinder nicht von Personen unterrichtet zu
wissen, welche einer andern christlichen Konfession, vielleicht nicht einmal der
christlichen Kirche angehören. Findet man es doch ganz in der Ordnung, daß
Juden ihre eignen Talmud-Thora-Schulen halten, und ist geneigt, diese aus
öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Man wird sagen: nun wohl, so mögen
die Tiroler ihre eignen katholischen Schulen ' gründen. Allein so liegt die
Sache nicht in Ländern, wo die sogenannten Akatholiken nur einen geringen
Bruchteil der Bevölkerung bilden. Das Schicksal Kaiser Josephs II., für den
der Liberalismus fo große Verehrung bekundet, namentlich seine Erfahrungen
mit Belgien, sollten doch davor warnen, Aufklärung mit Gewalt verbreiten zu
wollen. Aber die Verranntheit in politische Dogmen läßt im allgemeinen keine
unbefangene Anschauung auskommen, und wo trotzdem eine vorhanden ist, da
wagt sie sich meistens aus Furcht vor dem die öffentliche Meinung machenden
Judentum nicht heraus.

Mit beinahe rührender Naivität warf einer von den liberalen Rednern,
Freiherr von Scharschmidt, die Frage auf, woher doch die zunehmende Ab¬
neigung gegen den Liberalismus stamme? Diese Thatsache also ist ihm
nicht entgangen, aber er begreift sie nicht. Die liberalen Grundsätze lasten
sich doch, meint er, in die Schlagwörter fasten: "Gleichheit der Bürger vor
dem Gesetze, Schutz der persönlichen Freiheit gegen Willkür, Freiheit der Mei¬
nungsäußerung innerhalb der gesetzlichen Schranken, Freiheit des Glaubens
und des Gewissens, Unabhängigkeit der Gerichte, Teilnahme des Volkes an
der Gesetzgebung und an der Besteuerung, öffentliche Kontrolle der Finanzen.'
Der Redner glaubt also seinen Zeitungen, daß die in der That täglich an¬
wachsende und erstarkende Partei, die den Wortführern des Liberalismus im
Parlament und in der Presse nicht mehr Heeresfolge leisten will, sich den
von ihm aufgezählten Grundsätzen abgewandt habe. Er würde aber eines
bessern belehrt werden, wenn er seine Zeitungen mit größerer Aufmerksamkeit
lesen wollte. Die enge Verbindung der Deutschliberaleu mit den politischen
Handels- und Börsenblättern und den hinter diesen stehenden Gcldmächten ist es
ja. was jene Partei in Mißkredit gebracht hat. Nicht die Grundsätze werden


ruf gemacht, und das ist für beide Teile eine sehr geschickte Wahl. Pfaffen¬
herrschaft, nach dem Syllabus geregelter Unterricht, Konkordat — das sind
Schreckbilder, die den im übrigen ziemlich teilnahmlos gewordnen „ruhigen
Bürger" aus seiner Ruhe aufstören können und so manche Bedenken, die sich
bei ihm gegen die „Neuschule" (diesen uicht angenehm an die Prager Synagoge
erinnernden Ausdruck, deu die Gegner mit unverkennbarer Absicht gewählt
hatten, eiguen sich jetzt die Freunde ganz unbefangen um!) eingestellt hatten, zum
Schweigen bringen. Und der Institution würde auch keine Gefahr drohen,
wenn der Liberalismus wahrend feiner Herrschaft offne Augen gehabt hätte.
Freilich sieht er uoch heute nicht, daß der streng religiöse katholische Bauer
ein Recht hat, zu wünschen, seine Kinder nicht von Personen unterrichtet zu
wissen, welche einer andern christlichen Konfession, vielleicht nicht einmal der
christlichen Kirche angehören. Findet man es doch ganz in der Ordnung, daß
Juden ihre eignen Talmud-Thora-Schulen halten, und ist geneigt, diese aus
öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Man wird sagen: nun wohl, so mögen
die Tiroler ihre eignen katholischen Schulen ' gründen. Allein so liegt die
Sache nicht in Ländern, wo die sogenannten Akatholiken nur einen geringen
Bruchteil der Bevölkerung bilden. Das Schicksal Kaiser Josephs II., für den
der Liberalismus fo große Verehrung bekundet, namentlich seine Erfahrungen
mit Belgien, sollten doch davor warnen, Aufklärung mit Gewalt verbreiten zu
wollen. Aber die Verranntheit in politische Dogmen läßt im allgemeinen keine
unbefangene Anschauung auskommen, und wo trotzdem eine vorhanden ist, da
wagt sie sich meistens aus Furcht vor dem die öffentliche Meinung machenden
Judentum nicht heraus.

Mit beinahe rührender Naivität warf einer von den liberalen Rednern,
Freiherr von Scharschmidt, die Frage auf, woher doch die zunehmende Ab¬
neigung gegen den Liberalismus stamme? Diese Thatsache also ist ihm
nicht entgangen, aber er begreift sie nicht. Die liberalen Grundsätze lasten
sich doch, meint er, in die Schlagwörter fasten: „Gleichheit der Bürger vor
dem Gesetze, Schutz der persönlichen Freiheit gegen Willkür, Freiheit der Mei¬
nungsäußerung innerhalb der gesetzlichen Schranken, Freiheit des Glaubens
und des Gewissens, Unabhängigkeit der Gerichte, Teilnahme des Volkes an
der Gesetzgebung und an der Besteuerung, öffentliche Kontrolle der Finanzen.'
Der Redner glaubt also seinen Zeitungen, daß die in der That täglich an¬
wachsende und erstarkende Partei, die den Wortführern des Liberalismus im
Parlament und in der Presse nicht mehr Heeresfolge leisten will, sich den
von ihm aufgezählten Grundsätzen abgewandt habe. Er würde aber eines
bessern belehrt werden, wenn er seine Zeitungen mit größerer Aufmerksamkeit
lesen wollte. Die enge Verbindung der Deutschliberaleu mit den politischen
Handels- und Börsenblättern und den hinter diesen stehenden Gcldmächten ist es
ja. was jene Partei in Mißkredit gebracht hat. Nicht die Grundsätze werden


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[0534] ruf gemacht, und das ist für beide Teile eine sehr geschickte Wahl. Pfaffen¬ herrschaft, nach dem Syllabus geregelter Unterricht, Konkordat — das sind Schreckbilder, die den im übrigen ziemlich teilnahmlos gewordnen „ruhigen Bürger" aus seiner Ruhe aufstören können und so manche Bedenken, die sich bei ihm gegen die „Neuschule" (diesen uicht angenehm an die Prager Synagoge erinnernden Ausdruck, deu die Gegner mit unverkennbarer Absicht gewählt hatten, eiguen sich jetzt die Freunde ganz unbefangen um!) eingestellt hatten, zum Schweigen bringen. Und der Institution würde auch keine Gefahr drohen, wenn der Liberalismus wahrend feiner Herrschaft offne Augen gehabt hätte. Freilich sieht er uoch heute nicht, daß der streng religiöse katholische Bauer ein Recht hat, zu wünschen, seine Kinder nicht von Personen unterrichtet zu wissen, welche einer andern christlichen Konfession, vielleicht nicht einmal der christlichen Kirche angehören. Findet man es doch ganz in der Ordnung, daß Juden ihre eignen Talmud-Thora-Schulen halten, und ist geneigt, diese aus öffentlichen Mitteln zu unterstützen. Man wird sagen: nun wohl, so mögen die Tiroler ihre eignen katholischen Schulen ' gründen. Allein so liegt die Sache nicht in Ländern, wo die sogenannten Akatholiken nur einen geringen Bruchteil der Bevölkerung bilden. Das Schicksal Kaiser Josephs II., für den der Liberalismus fo große Verehrung bekundet, namentlich seine Erfahrungen mit Belgien, sollten doch davor warnen, Aufklärung mit Gewalt verbreiten zu wollen. Aber die Verranntheit in politische Dogmen läßt im allgemeinen keine unbefangene Anschauung auskommen, und wo trotzdem eine vorhanden ist, da wagt sie sich meistens aus Furcht vor dem die öffentliche Meinung machenden Judentum nicht heraus. Mit beinahe rührender Naivität warf einer von den liberalen Rednern, Freiherr von Scharschmidt, die Frage auf, woher doch die zunehmende Ab¬ neigung gegen den Liberalismus stamme? Diese Thatsache also ist ihm nicht entgangen, aber er begreift sie nicht. Die liberalen Grundsätze lasten sich doch, meint er, in die Schlagwörter fasten: „Gleichheit der Bürger vor dem Gesetze, Schutz der persönlichen Freiheit gegen Willkür, Freiheit der Mei¬ nungsäußerung innerhalb der gesetzlichen Schranken, Freiheit des Glaubens und des Gewissens, Unabhängigkeit der Gerichte, Teilnahme des Volkes an der Gesetzgebung und an der Besteuerung, öffentliche Kontrolle der Finanzen.' Der Redner glaubt also seinen Zeitungen, daß die in der That täglich an¬ wachsende und erstarkende Partei, die den Wortführern des Liberalismus im Parlament und in der Presse nicht mehr Heeresfolge leisten will, sich den von ihm aufgezählten Grundsätzen abgewandt habe. Er würde aber eines bessern belehrt werden, wenn er seine Zeitungen mit größerer Aufmerksamkeit lesen wollte. Die enge Verbindung der Deutschliberaleu mit den politischen Handels- und Börsenblättern und den hinter diesen stehenden Gcldmächten ist es ja. was jene Partei in Mißkredit gebracht hat. Nicht die Grundsätze werden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/534>, abgerufen am 29.06.2024.