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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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das Lebe", dessen Prüfungen dein Antlitz jener Matrone dort einen Ausdruck
tiefen Seelenschmerzes verliehen haben. Nationale Typen sind scharf unter¬
schieden, dies tritt namentlich in einem jüdischen Porträt hervor; einige Ge¬
fieder zeigen mongolische Stellung der Augen. Auffallend ist, wie erstaunlich
neuzeitlich viele von diesen Leuten aussehen, mögen sie die braune ägyptische
oder die hellere griechisch-europäische Hautfarbe haben. Sind auch viele Köpfe
darunter, wie wir ihnen in ägyptisch-römischen oder griechischen Skulpturwerken
zu begegnen gewohnt sind, so doch auch andre, wie wir sie noch heute in den
Straßen orientalischer und europäischer Städte sehen. Namentlich fallen fünf
oder sechs durchaus europäisch "modern" aussehende Mädchenköpfe auf. Zwei¬
tausend Jahre oder mehr, und doch dieselben Menschen wie heute! Daß selbst
sechstausend Jahre in der menschlichen Entwicklungsgeschichte noch nichts im
Darwinischen Sinne bedeuten, das bezeugen die Schädel der ältesten bekannten
ägyptischen Mumien, die teils genau deuen der Fellcchs (der heute lebenden
Nachkommen der alten Ägypter) gleichen, teils eine der höhern altägyp¬
tischen Kultur entsprechende, feinere Organisation und kaukasischen Typus
ausweisen.

Die Malkunst der Alten war uns bisher im allgemeinen nicht durch
Tafelgemälde, sondern fast nur auf den Wänden der oft fürstlich ausgestatteten
Gräber (meist in Ägypten und Unteritalien), sowie namentlich in den Häusern
von Pompeji erhalten, von der Vasenmalerei nicht zu reden, denn diese
Leistungen des Kunstgewerbes und der Grabstättenindustrie sind zwar archäo¬
logisch betrachtet sehr anziehend, entfalten aber, wie unsre Vasensammlungen,
selbst die vorzüglichen in Berlin und München zeigen, nur in seltnen Füllen
künstlerische Schönheit, nur dann, wenn die Vasen (bekanntlich sämtlich Grab¬
funde) den Toten von reichen oder kunstliebenden Leuten gestiftet waren. In
ähnlich steif hieratischen Zügen bewegt sich die Grab- und Tempelwandmalerei
der Ägypter und Etrusker. und die der letztern hat, soweit sie nicht hellemstrt
ist, uoch einen besondern Zug, den man durch Vergleichung mit Holbeins
Totentänzen oder überhaupt mit den Ikonographien des Todes kennzeichnen
möchte. Nur die (am besten in Pompeji erhaltene) griechische oder griechisch¬
römische Wandmalerei läßt uns, gerade weil sie zwar im Grunde nur Dekora-
tions-, um nicht zu sagen Stnbenmalerei und doch so bewunderungswürdig
ist, glauben, daß wirklich eine hochentwickelte Malkunst der Bildhauerei zur
Seite gestanden habe, wie dies die Schriftsteller berichten, die oft in über-
schwänglich scheinender Weise viele Meister und ihre Werke zu rühmen wissen.
Diese Berichte lassen zwar Naturalismus erkennen, nicht aber, daß sich etwa
die Malerei im Gegensatz zur Bildhauerei realistisch entwickelt habe, was auch
an sich und nach erhalten gebliebenen Wandmalereien, die den gleichen bis zur
Flachheit idealisirenden Zug zeigen wie die Skulpturen, sehr unwahrscheinlich
ist. Einen Realismus, wie ihn die Bildnisse von Nubajat und Hawara auf-


das Lebe», dessen Prüfungen dein Antlitz jener Matrone dort einen Ausdruck
tiefen Seelenschmerzes verliehen haben. Nationale Typen sind scharf unter¬
schieden, dies tritt namentlich in einem jüdischen Porträt hervor; einige Ge¬
fieder zeigen mongolische Stellung der Augen. Auffallend ist, wie erstaunlich
neuzeitlich viele von diesen Leuten aussehen, mögen sie die braune ägyptische
oder die hellere griechisch-europäische Hautfarbe haben. Sind auch viele Köpfe
darunter, wie wir ihnen in ägyptisch-römischen oder griechischen Skulpturwerken
zu begegnen gewohnt sind, so doch auch andre, wie wir sie noch heute in den
Straßen orientalischer und europäischer Städte sehen. Namentlich fallen fünf
oder sechs durchaus europäisch „modern" aussehende Mädchenköpfe auf. Zwei¬
tausend Jahre oder mehr, und doch dieselben Menschen wie heute! Daß selbst
sechstausend Jahre in der menschlichen Entwicklungsgeschichte noch nichts im
Darwinischen Sinne bedeuten, das bezeugen die Schädel der ältesten bekannten
ägyptischen Mumien, die teils genau deuen der Fellcchs (der heute lebenden
Nachkommen der alten Ägypter) gleichen, teils eine der höhern altägyp¬
tischen Kultur entsprechende, feinere Organisation und kaukasischen Typus
ausweisen.

Die Malkunst der Alten war uns bisher im allgemeinen nicht durch
Tafelgemälde, sondern fast nur auf den Wänden der oft fürstlich ausgestatteten
Gräber (meist in Ägypten und Unteritalien), sowie namentlich in den Häusern
von Pompeji erhalten, von der Vasenmalerei nicht zu reden, denn diese
Leistungen des Kunstgewerbes und der Grabstättenindustrie sind zwar archäo¬
logisch betrachtet sehr anziehend, entfalten aber, wie unsre Vasensammlungen,
selbst die vorzüglichen in Berlin und München zeigen, nur in seltnen Füllen
künstlerische Schönheit, nur dann, wenn die Vasen (bekanntlich sämtlich Grab¬
funde) den Toten von reichen oder kunstliebenden Leuten gestiftet waren. In
ähnlich steif hieratischen Zügen bewegt sich die Grab- und Tempelwandmalerei
der Ägypter und Etrusker. und die der letztern hat, soweit sie nicht hellemstrt
ist, uoch einen besondern Zug, den man durch Vergleichung mit Holbeins
Totentänzen oder überhaupt mit den Ikonographien des Todes kennzeichnen
möchte. Nur die (am besten in Pompeji erhaltene) griechische oder griechisch¬
römische Wandmalerei läßt uns, gerade weil sie zwar im Grunde nur Dekora-
tions-, um nicht zu sagen Stnbenmalerei und doch so bewunderungswürdig
ist, glauben, daß wirklich eine hochentwickelte Malkunst der Bildhauerei zur
Seite gestanden habe, wie dies die Schriftsteller berichten, die oft in über-
schwänglich scheinender Weise viele Meister und ihre Werke zu rühmen wissen.
Diese Berichte lassen zwar Naturalismus erkennen, nicht aber, daß sich etwa
die Malerei im Gegensatz zur Bildhauerei realistisch entwickelt habe, was auch
an sich und nach erhalten gebliebenen Wandmalereien, die den gleichen bis zur
Flachheit idealisirenden Zug zeigen wie die Skulpturen, sehr unwahrscheinlich
ist. Einen Realismus, wie ihn die Bildnisse von Nubajat und Hawara auf-


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[0531] das Lebe», dessen Prüfungen dein Antlitz jener Matrone dort einen Ausdruck tiefen Seelenschmerzes verliehen haben. Nationale Typen sind scharf unter¬ schieden, dies tritt namentlich in einem jüdischen Porträt hervor; einige Ge¬ fieder zeigen mongolische Stellung der Augen. Auffallend ist, wie erstaunlich neuzeitlich viele von diesen Leuten aussehen, mögen sie die braune ägyptische oder die hellere griechisch-europäische Hautfarbe haben. Sind auch viele Köpfe darunter, wie wir ihnen in ägyptisch-römischen oder griechischen Skulpturwerken zu begegnen gewohnt sind, so doch auch andre, wie wir sie noch heute in den Straßen orientalischer und europäischer Städte sehen. Namentlich fallen fünf oder sechs durchaus europäisch „modern" aussehende Mädchenköpfe auf. Zwei¬ tausend Jahre oder mehr, und doch dieselben Menschen wie heute! Daß selbst sechstausend Jahre in der menschlichen Entwicklungsgeschichte noch nichts im Darwinischen Sinne bedeuten, das bezeugen die Schädel der ältesten bekannten ägyptischen Mumien, die teils genau deuen der Fellcchs (der heute lebenden Nachkommen der alten Ägypter) gleichen, teils eine der höhern altägyp¬ tischen Kultur entsprechende, feinere Organisation und kaukasischen Typus ausweisen. Die Malkunst der Alten war uns bisher im allgemeinen nicht durch Tafelgemälde, sondern fast nur auf den Wänden der oft fürstlich ausgestatteten Gräber (meist in Ägypten und Unteritalien), sowie namentlich in den Häusern von Pompeji erhalten, von der Vasenmalerei nicht zu reden, denn diese Leistungen des Kunstgewerbes und der Grabstättenindustrie sind zwar archäo¬ logisch betrachtet sehr anziehend, entfalten aber, wie unsre Vasensammlungen, selbst die vorzüglichen in Berlin und München zeigen, nur in seltnen Füllen künstlerische Schönheit, nur dann, wenn die Vasen (bekanntlich sämtlich Grab¬ funde) den Toten von reichen oder kunstliebenden Leuten gestiftet waren. In ähnlich steif hieratischen Zügen bewegt sich die Grab- und Tempelwandmalerei der Ägypter und Etrusker. und die der letztern hat, soweit sie nicht hellemstrt ist, uoch einen besondern Zug, den man durch Vergleichung mit Holbeins Totentänzen oder überhaupt mit den Ikonographien des Todes kennzeichnen möchte. Nur die (am besten in Pompeji erhaltene) griechische oder griechisch¬ römische Wandmalerei läßt uns, gerade weil sie zwar im Grunde nur Dekora- tions-, um nicht zu sagen Stnbenmalerei und doch so bewunderungswürdig ist, glauben, daß wirklich eine hochentwickelte Malkunst der Bildhauerei zur Seite gestanden habe, wie dies die Schriftsteller berichten, die oft in über- schwänglich scheinender Weise viele Meister und ihre Werke zu rühmen wissen. Diese Berichte lassen zwar Naturalismus erkennen, nicht aber, daß sich etwa die Malerei im Gegensatz zur Bildhauerei realistisch entwickelt habe, was auch an sich und nach erhalten gebliebenen Wandmalereien, die den gleichen bis zur Flachheit idealisirenden Zug zeigen wie die Skulpturen, sehr unwahrscheinlich ist. Einen Realismus, wie ihn die Bildnisse von Nubajat und Hawara auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/531>, abgerufen am 29.06.2024.