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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Die Mninionbildnisse von Rubajat im El Lajum

lveisen, und wie heute etwa Lenbcich ihn mit Zusammenfassung aller Sorgfalt
auf dem Kopfe zum Ausdruck bringt, finden wir nirgends in griechischer Malerei,
und ziehen wir griechische Bildhauerwerke zum Vergleiche Hera", so laßt nus
merkwürdigerweise nur die archaisch-griechische und dann erst wieder die
alexandrinische Zeit ähnliche Leistungen im Porträt wahrnehmen. Dazwischen
liegt die lange Periode einer schon bei Phidias beginnenden und dann stetig
zunehmenden Jdealisirung, Schemntisirung und Verfluchung. Oder sollten uns
nur solche Porträtskulptureu, die in die Tempel gestiftet und deshalb nach
gewissen Schemen gearbeitet wurden, erhalten geblieben sein? Wir wissen es
nicht, müssen uns an das Material halten, das in unsern Museen vor Augen
liegt und das von realistischer Porträtbildnerei vor der alexandrinischen Zeit
wenig merken läßt. Dies Material ist aber neuerdings für eine weit zurück-
liegende Zeit wesentlich vermehrt worden. Bekanntlich haben in den letzten
Jahren auf der Akropolis von Athen umfassende Ausgrabungen stattgefunden,
und diesen verdanken wir eine überraschende Beleuchtung der Bildhauerkunst
vor Phidias. Die Existenz einer freien und realistischen Kunst neben einer in
hieratischen Formenzwang gehaltenen ist für die archaische Zeit durch eine
Reihe von Bildwerken dargethan, namentlich ist hier neben fein individualisirten
weiblichen Statuen aus Porosstein, die bemalt waren, das Vronzehaupt eines
Kriegers hervorzuheben, mit spitzem Schnurbart und einem wohlgepflegten
Vollbart, der ein kraftvolles und gutgelauntes Gesicht umgiebt. Diese Realistik
gehört der Zeit an, wo sich die griechische Kunst noch nicht von dem Einfluß
ihrer Mutter, der stets realistisch gearteten asiatischen und ägyptischen Kunst,
befreit hatte. Sobald sie dies gethan hatte, schlug sie den Weg der Jdealisirung
ein (soweit ihre Wege uns heute bekannt sind). Wenn nnn, nach unsrer
Kenntnis der Dinge, der Realismus erst in nlexandrinischer Zeit in die griechische
Kunst wieder eindrang, so muß dies auf Rechnung derselben Einflüsse geschrieben
werden, welche die archaisch-realistische Entwicklung bestimmt hatten: auf die
erneute innige Berührung mit ägyptischem Wesen.

(Schluß folgt) ,




Die Mninionbildnisse von Rubajat im El Lajum

lveisen, und wie heute etwa Lenbcich ihn mit Zusammenfassung aller Sorgfalt
auf dem Kopfe zum Ausdruck bringt, finden wir nirgends in griechischer Malerei,
und ziehen wir griechische Bildhauerwerke zum Vergleiche Hera», so laßt nus
merkwürdigerweise nur die archaisch-griechische und dann erst wieder die
alexandrinische Zeit ähnliche Leistungen im Porträt wahrnehmen. Dazwischen
liegt die lange Periode einer schon bei Phidias beginnenden und dann stetig
zunehmenden Jdealisirung, Schemntisirung und Verfluchung. Oder sollten uns
nur solche Porträtskulptureu, die in die Tempel gestiftet und deshalb nach
gewissen Schemen gearbeitet wurden, erhalten geblieben sein? Wir wissen es
nicht, müssen uns an das Material halten, das in unsern Museen vor Augen
liegt und das von realistischer Porträtbildnerei vor der alexandrinischen Zeit
wenig merken läßt. Dies Material ist aber neuerdings für eine weit zurück-
liegende Zeit wesentlich vermehrt worden. Bekanntlich haben in den letzten
Jahren auf der Akropolis von Athen umfassende Ausgrabungen stattgefunden,
und diesen verdanken wir eine überraschende Beleuchtung der Bildhauerkunst
vor Phidias. Die Existenz einer freien und realistischen Kunst neben einer in
hieratischen Formenzwang gehaltenen ist für die archaische Zeit durch eine
Reihe von Bildwerken dargethan, namentlich ist hier neben fein individualisirten
weiblichen Statuen aus Porosstein, die bemalt waren, das Vronzehaupt eines
Kriegers hervorzuheben, mit spitzem Schnurbart und einem wohlgepflegten
Vollbart, der ein kraftvolles und gutgelauntes Gesicht umgiebt. Diese Realistik
gehört der Zeit an, wo sich die griechische Kunst noch nicht von dem Einfluß
ihrer Mutter, der stets realistisch gearteten asiatischen und ägyptischen Kunst,
befreit hatte. Sobald sie dies gethan hatte, schlug sie den Weg der Jdealisirung
ein (soweit ihre Wege uns heute bekannt sind). Wenn nnn, nach unsrer
Kenntnis der Dinge, der Realismus erst in nlexandrinischer Zeit in die griechische
Kunst wieder eindrang, so muß dies auf Rechnung derselben Einflüsse geschrieben
werden, welche die archaisch-realistische Entwicklung bestimmt hatten: auf die
erneute innige Berührung mit ägyptischem Wesen.

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[0532] Die Mninionbildnisse von Rubajat im El Lajum lveisen, und wie heute etwa Lenbcich ihn mit Zusammenfassung aller Sorgfalt auf dem Kopfe zum Ausdruck bringt, finden wir nirgends in griechischer Malerei, und ziehen wir griechische Bildhauerwerke zum Vergleiche Hera», so laßt nus merkwürdigerweise nur die archaisch-griechische und dann erst wieder die alexandrinische Zeit ähnliche Leistungen im Porträt wahrnehmen. Dazwischen liegt die lange Periode einer schon bei Phidias beginnenden und dann stetig zunehmenden Jdealisirung, Schemntisirung und Verfluchung. Oder sollten uns nur solche Porträtskulptureu, die in die Tempel gestiftet und deshalb nach gewissen Schemen gearbeitet wurden, erhalten geblieben sein? Wir wissen es nicht, müssen uns an das Material halten, das in unsern Museen vor Augen liegt und das von realistischer Porträtbildnerei vor der alexandrinischen Zeit wenig merken läßt. Dies Material ist aber neuerdings für eine weit zurück- liegende Zeit wesentlich vermehrt worden. Bekanntlich haben in den letzten Jahren auf der Akropolis von Athen umfassende Ausgrabungen stattgefunden, und diesen verdanken wir eine überraschende Beleuchtung der Bildhauerkunst vor Phidias. Die Existenz einer freien und realistischen Kunst neben einer in hieratischen Formenzwang gehaltenen ist für die archaische Zeit durch eine Reihe von Bildwerken dargethan, namentlich ist hier neben fein individualisirten weiblichen Statuen aus Porosstein, die bemalt waren, das Vronzehaupt eines Kriegers hervorzuheben, mit spitzem Schnurbart und einem wohlgepflegten Vollbart, der ein kraftvolles und gutgelauntes Gesicht umgiebt. Diese Realistik gehört der Zeit an, wo sich die griechische Kunst noch nicht von dem Einfluß ihrer Mutter, der stets realistisch gearteten asiatischen und ägyptischen Kunst, befreit hatte. Sobald sie dies gethan hatte, schlug sie den Weg der Jdealisirung ein (soweit ihre Wege uns heute bekannt sind). Wenn nnn, nach unsrer Kenntnis der Dinge, der Realismus erst in nlexandrinischer Zeit in die griechische Kunst wieder eindrang, so muß dies auf Rechnung derselben Einflüsse geschrieben werden, welche die archaisch-realistische Entwicklung bestimmt hatten: auf die erneute innige Berührung mit ägyptischem Wesen. (Schluß folgt) ,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/532>, abgerufen am 29.06.2024.