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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zum Studium der englischen Sprache und Litteratur

Elzes Grundriß der englischen Philologie enthält manches Wertvolle,
besonders in der Zusammenstellung der Bibliographie, aber auch viele Dinge,
die die junge Wissenschaft nicht fördern werden. Vor den beiden Entdeckungen:
der Philologie des Unbewußten und der Theorie des Abfingerns, muß aber
um so mehr gewarnt werden, als Elzes Grundriß auch von fachmännischer
Seite unverdient günstig beurteilt worden ist und derartige Verirrungen unter
den Studenten, die auf das Wort des Meisters schworen, heillosen Unfug
anrichten können. Jedenfalls hat Gustav Körting in seiner Encyklopädie ein
Werk geschaffen, das für Elzes Grundriß einen mehr als ausreichenden Ersatz
bietet. sachgemäß, ruhig, ohne nervöse Seitenhiebe wird hier dein Studenten
ein klarer Überblick über seine Wissenschaft gegeben. Nach einer Reihe ein¬
leitender Bemerkungen über den Begriff der englischen Philologie, über die
Beziehungen derselben zu verwandten Wissenschaften, über die Geschichte und
das akademische Studium der Anglistik, geht Körting auf die geschichtliche
Entwicklung der englischen Sprache über. Dann folgen das Sprachgebiet, die
Dialekte, die Laute, die Worte, Wortformen und Wortumschreibungen, Be¬
merkungen über die Syntax des Englischen, über die Rhythmik und über die
Geschichte der englischen Litteratur. Die auffallende Kürze dieses letzten Teiles
steht zwar in keinem richtigen Verhältnis zu den übrige" Abschnitten; Körting
verweist aber auf seinen vortrefflichen "Grundriß zur Geschichte der englischen
Litteratur" und giebt in seiner Encyklopädie nur einen allgemeinen orientirenden
Überblick über die Einwirkungen fremder Litteraturen, über die charakteristischen
Merkmale der englischen, ihre nationale Selbständigkeit, ihren gesunden Realis¬
mus, ihre elegische und doch humorvolle Grundstimmung und ihren sittlichen
Ernst. "Der sittliche Ernst aber ist," sagt Körting, "die kostbare Errungen¬
schaft der englischen Litteratur auf dem Wege durch eine ebenso leidende als
thatenreiche Geschichte, die, um durchgelebt und glücklich überdauert zu werden,
die Anspannung der sittlichen Kräfte erheischt."

Körtiugs Grundriß ist der erste wohlgelungene Versuch, eine englische
Litteraturgeschichte auf wissenschaftlicher Grundlage zu, skizziren. Nur eins
wünschen wir: daß der auf die Dauer langweilige Kampf zwischen den Be¬
zeichnungen "alteuglisch" und "angelsächsisch" endlich beigelegt werde. Sollte
es denn nicht möglich sein, einen einheitlichen Namen für die erste englische
Litteratnrperiode allgemein anzunehmen? Wir können die Gründe, die Körting
für seine Benennung anführt, nicht für so schwerwiegend halten, daß man zur
eignen Unbequemlichkeit an der alten Bezeichnung "angelsächsisch" festhält und
hierdurch auf die Analogie mit den Litteraturperiodeu des Französische"! und
Deutschen verzichtet.

Auch Müller hat in seinem "Grundriß zur Geschichte der angelsächsische"
Litteratur" diese Bezeichnung aufrecht erhalten. Wer sich von dein großartigen
Umfange nud der Tiefe der jungen englischen Philologie ein Bild machen will,


Zum Studium der englischen Sprache und Litteratur

Elzes Grundriß der englischen Philologie enthält manches Wertvolle,
besonders in der Zusammenstellung der Bibliographie, aber auch viele Dinge,
die die junge Wissenschaft nicht fördern werden. Vor den beiden Entdeckungen:
der Philologie des Unbewußten und der Theorie des Abfingerns, muß aber
um so mehr gewarnt werden, als Elzes Grundriß auch von fachmännischer
Seite unverdient günstig beurteilt worden ist und derartige Verirrungen unter
den Studenten, die auf das Wort des Meisters schworen, heillosen Unfug
anrichten können. Jedenfalls hat Gustav Körting in seiner Encyklopädie ein
Werk geschaffen, das für Elzes Grundriß einen mehr als ausreichenden Ersatz
bietet. sachgemäß, ruhig, ohne nervöse Seitenhiebe wird hier dein Studenten
ein klarer Überblick über seine Wissenschaft gegeben. Nach einer Reihe ein¬
leitender Bemerkungen über den Begriff der englischen Philologie, über die
Beziehungen derselben zu verwandten Wissenschaften, über die Geschichte und
das akademische Studium der Anglistik, geht Körting auf die geschichtliche
Entwicklung der englischen Sprache über. Dann folgen das Sprachgebiet, die
Dialekte, die Laute, die Worte, Wortformen und Wortumschreibungen, Be¬
merkungen über die Syntax des Englischen, über die Rhythmik und über die
Geschichte der englischen Litteratur. Die auffallende Kürze dieses letzten Teiles
steht zwar in keinem richtigen Verhältnis zu den übrige» Abschnitten; Körting
verweist aber auf seinen vortrefflichen „Grundriß zur Geschichte der englischen
Litteratur" und giebt in seiner Encyklopädie nur einen allgemeinen orientirenden
Überblick über die Einwirkungen fremder Litteraturen, über die charakteristischen
Merkmale der englischen, ihre nationale Selbständigkeit, ihren gesunden Realis¬
mus, ihre elegische und doch humorvolle Grundstimmung und ihren sittlichen
Ernst. „Der sittliche Ernst aber ist," sagt Körting, „die kostbare Errungen¬
schaft der englischen Litteratur auf dem Wege durch eine ebenso leidende als
thatenreiche Geschichte, die, um durchgelebt und glücklich überdauert zu werden,
die Anspannung der sittlichen Kräfte erheischt."

Körtiugs Grundriß ist der erste wohlgelungene Versuch, eine englische
Litteraturgeschichte auf wissenschaftlicher Grundlage zu, skizziren. Nur eins
wünschen wir: daß der auf die Dauer langweilige Kampf zwischen den Be¬
zeichnungen „alteuglisch" und „angelsächsisch" endlich beigelegt werde. Sollte
es denn nicht möglich sein, einen einheitlichen Namen für die erste englische
Litteratnrperiode allgemein anzunehmen? Wir können die Gründe, die Körting
für seine Benennung anführt, nicht für so schwerwiegend halten, daß man zur
eignen Unbequemlichkeit an der alten Bezeichnung „angelsächsisch" festhält und
hierdurch auf die Analogie mit den Litteraturperiodeu des Französische«! und
Deutschen verzichtet.

Auch Müller hat in seinem „Grundriß zur Geschichte der angelsächsische»
Litteratur" diese Bezeichnung aufrecht erhalten. Wer sich von dein großartigen
Umfange nud der Tiefe der jungen englischen Philologie ein Bild machen will,


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[0520] Zum Studium der englischen Sprache und Litteratur Elzes Grundriß der englischen Philologie enthält manches Wertvolle, besonders in der Zusammenstellung der Bibliographie, aber auch viele Dinge, die die junge Wissenschaft nicht fördern werden. Vor den beiden Entdeckungen: der Philologie des Unbewußten und der Theorie des Abfingerns, muß aber um so mehr gewarnt werden, als Elzes Grundriß auch von fachmännischer Seite unverdient günstig beurteilt worden ist und derartige Verirrungen unter den Studenten, die auf das Wort des Meisters schworen, heillosen Unfug anrichten können. Jedenfalls hat Gustav Körting in seiner Encyklopädie ein Werk geschaffen, das für Elzes Grundriß einen mehr als ausreichenden Ersatz bietet. sachgemäß, ruhig, ohne nervöse Seitenhiebe wird hier dein Studenten ein klarer Überblick über seine Wissenschaft gegeben. Nach einer Reihe ein¬ leitender Bemerkungen über den Begriff der englischen Philologie, über die Beziehungen derselben zu verwandten Wissenschaften, über die Geschichte und das akademische Studium der Anglistik, geht Körting auf die geschichtliche Entwicklung der englischen Sprache über. Dann folgen das Sprachgebiet, die Dialekte, die Laute, die Worte, Wortformen und Wortumschreibungen, Be¬ merkungen über die Syntax des Englischen, über die Rhythmik und über die Geschichte der englischen Litteratur. Die auffallende Kürze dieses letzten Teiles steht zwar in keinem richtigen Verhältnis zu den übrige» Abschnitten; Körting verweist aber auf seinen vortrefflichen „Grundriß zur Geschichte der englischen Litteratur" und giebt in seiner Encyklopädie nur einen allgemeinen orientirenden Überblick über die Einwirkungen fremder Litteraturen, über die charakteristischen Merkmale der englischen, ihre nationale Selbständigkeit, ihren gesunden Realis¬ mus, ihre elegische und doch humorvolle Grundstimmung und ihren sittlichen Ernst. „Der sittliche Ernst aber ist," sagt Körting, „die kostbare Errungen¬ schaft der englischen Litteratur auf dem Wege durch eine ebenso leidende als thatenreiche Geschichte, die, um durchgelebt und glücklich überdauert zu werden, die Anspannung der sittlichen Kräfte erheischt." Körtiugs Grundriß ist der erste wohlgelungene Versuch, eine englische Litteraturgeschichte auf wissenschaftlicher Grundlage zu, skizziren. Nur eins wünschen wir: daß der auf die Dauer langweilige Kampf zwischen den Be¬ zeichnungen „alteuglisch" und „angelsächsisch" endlich beigelegt werde. Sollte es denn nicht möglich sein, einen einheitlichen Namen für die erste englische Litteratnrperiode allgemein anzunehmen? Wir können die Gründe, die Körting für seine Benennung anführt, nicht für so schwerwiegend halten, daß man zur eignen Unbequemlichkeit an der alten Bezeichnung „angelsächsisch" festhält und hierdurch auf die Analogie mit den Litteraturperiodeu des Französische«! und Deutschen verzichtet. Auch Müller hat in seinem „Grundriß zur Geschichte der angelsächsische» Litteratur" diese Bezeichnung aufrecht erhalten. Wer sich von dein großartigen Umfange nud der Tiefe der jungen englischen Philologie ein Bild machen will,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/520>, abgerufen am 28.09.2024.