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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Zum Studium der englischen Sprache und Litteratur

Gewährsmann für seine Entdeckung an: "Auch Heine bekennt in seinen "Neuen
Gedichten" indirekt, daß er seine Lieder skandirt habe; er sagt:


Weit besser ist es im Summer,
Da kann ich im Walde spazieren,
Allein mit meinem Kummer,
Und Liebeslieder skandiren."

Ja ja, das sagt Heine -- der schlaue Fuchs hat also auch seine Gedichte
gewissenhaft abgefingert. Wir wollen nicht pietätlos sein -- aber sind das
Belegstellen für wissenschaftliche Theorien? Darf ein Mann, der die Shakespeare¬
kritik in Deutschland geleitet hat, hieraus seine Ansicht entnehmen, daß
Goethe und Heine, nein, daß alle deutschen und englischen Dichter ihre Verse
mit den Fingern abtrommelten? Aber Elze hat noch eine andre wissenschaftliche
Autorität, keine geringere als -- Fritz Reuter. "Eine dritte Bestätigung," sagt
Elze, "findet sich endlich in einem an den Pastor Horn gerichteten Brief Fritz
Reuters, der im Hamburger Fremdenblatt und daraus u. a. in der Saalezeitung
vom 4. Dezember 1887 veröffentlicht worden ist. Fritz Reuter entschuldigt sich,
daß er seinem geliebten alten Lehrer und Freunde zu seinem hohen Jubel¬
feste nicht mit mindestens einem halben Schock Hexametern aufwarten könne,
aber -- sagt er -- Deijenigte, de dat Riten in de Arm' un Harn' hett,
ward sucht mit de Fingern up'n Disch herumtillfäutcu un de Versfüut aftellen.
Diese drei Stellen, fährt Elze fort, sind allerdings zunächst nur für Deutschland
beweiskräftig (!), allem die Sache steht in England nicht um ein Haar besser."

Man denke sich Shakespeare den Hamletmonolog an den Fingern abzählend!
Unmöglich! das ist ein Scherz, ein bloßer Kathederwitz, oder soll es gar Satire
sein? Man ist nach Carriöres satirischein, von vielen Urteilslosen ernsthaft auf¬
genommenem Versuche, Goethes Faust nach allen Gesetzen streng philologischer
Kritik Lessing zuzuschreiben, kopfscheu geworden. Aber nein, Elze will keine
Scherze machen, es ist sein heiliger Ernst. Die Theorie des Abfiugerns ist
ein auf wissenschaftlichem Wege durch "unzweideutige Belegstellen" gewonnenes
Ergebnis! Zu solchen Verirrungen gelangt man, wenn mau nur neuenglische
Philologie treibt und sich beim Studium moderner Dichter mehr auf wissen¬
schaftliche Methode verläßt, als auf den gesunden Menschenverstand, auf natür¬
liches Empfinden und eine bewegliche Phantasie. Elze ist erbittert über die
Auslassungen eines Engländers, der, mit der deutschen Shakespeareforschung
unzufrieden, ausruft: Lueli -in g-ttsmpt reininäs us ok elf oss^iZt in Moral
Listen^, >ob.o retireü into los swä> to evolve-, troni tbs döM ok Ins mon
oonLLwnMWs tre ickea ok g. "ninol. Kann man aber dem englischen Gelehrten
im Hinblick auf die eben dargebotene Probe ernstlich gram sein? Vermag wohl
jemand, der sich unempfänglich für den Humor eines Goethe oder Reuter
zeigt, den göttlichen Humor eines Shakespeare zu würdigen?


Zum Studium der englischen Sprache und Litteratur

Gewährsmann für seine Entdeckung an: „Auch Heine bekennt in seinen »Neuen
Gedichten« indirekt, daß er seine Lieder skandirt habe; er sagt:


Weit besser ist es im Summer,
Da kann ich im Walde spazieren,
Allein mit meinem Kummer,
Und Liebeslieder skandiren."

Ja ja, das sagt Heine — der schlaue Fuchs hat also auch seine Gedichte
gewissenhaft abgefingert. Wir wollen nicht pietätlos sein — aber sind das
Belegstellen für wissenschaftliche Theorien? Darf ein Mann, der die Shakespeare¬
kritik in Deutschland geleitet hat, hieraus seine Ansicht entnehmen, daß
Goethe und Heine, nein, daß alle deutschen und englischen Dichter ihre Verse
mit den Fingern abtrommelten? Aber Elze hat noch eine andre wissenschaftliche
Autorität, keine geringere als — Fritz Reuter. „Eine dritte Bestätigung," sagt
Elze, „findet sich endlich in einem an den Pastor Horn gerichteten Brief Fritz
Reuters, der im Hamburger Fremdenblatt und daraus u. a. in der Saalezeitung
vom 4. Dezember 1887 veröffentlicht worden ist. Fritz Reuter entschuldigt sich,
daß er seinem geliebten alten Lehrer und Freunde zu seinem hohen Jubel¬
feste nicht mit mindestens einem halben Schock Hexametern aufwarten könne,
aber — sagt er — Deijenigte, de dat Riten in de Arm' un Harn' hett,
ward sucht mit de Fingern up'n Disch herumtillfäutcu un de Versfüut aftellen.
Diese drei Stellen, fährt Elze fort, sind allerdings zunächst nur für Deutschland
beweiskräftig (!), allem die Sache steht in England nicht um ein Haar besser."

Man denke sich Shakespeare den Hamletmonolog an den Fingern abzählend!
Unmöglich! das ist ein Scherz, ein bloßer Kathederwitz, oder soll es gar Satire
sein? Man ist nach Carriöres satirischein, von vielen Urteilslosen ernsthaft auf¬
genommenem Versuche, Goethes Faust nach allen Gesetzen streng philologischer
Kritik Lessing zuzuschreiben, kopfscheu geworden. Aber nein, Elze will keine
Scherze machen, es ist sein heiliger Ernst. Die Theorie des Abfiugerns ist
ein auf wissenschaftlichem Wege durch „unzweideutige Belegstellen" gewonnenes
Ergebnis! Zu solchen Verirrungen gelangt man, wenn mau nur neuenglische
Philologie treibt und sich beim Studium moderner Dichter mehr auf wissen¬
schaftliche Methode verläßt, als auf den gesunden Menschenverstand, auf natür¬
liches Empfinden und eine bewegliche Phantasie. Elze ist erbittert über die
Auslassungen eines Engländers, der, mit der deutschen Shakespeareforschung
unzufrieden, ausruft: Lueli -in g-ttsmpt reininäs us ok elf oss^iZt in Moral
Listen^, >ob.o retireü into los swä> to evolve-, troni tbs döM ok Ins mon
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im Hinblick auf die eben dargebotene Probe ernstlich gram sein? Vermag wohl
jemand, der sich unempfänglich für den Humor eines Goethe oder Reuter
zeigt, den göttlichen Humor eines Shakespeare zu würdigen?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/519>, abgerufen am 29.06.2024.