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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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drücke kommt." Was heißt das? Giebt es denn ein Erkennen, das nicht
geistiges Leben wäre? Und was laßt sich nicht alles zu diesem Erkennen
rechnen? Gehören denn nicht alle Kiiuste und Wissenschaften dazu, darf man
das naturwissenschaftliche und mathematische Erkennen nicht zu dem geistigen
Leben eines Volkes zahlen? Kommt denn in dem sittlichen Leben eines Volkes
nur die Litteratur zum Ausdruck? Gehört hierzu nicht die ganze Theologie
und Philosophie? Und das soll alles englische Philologie sein, das alles soll
der Student durcharbeiten, um den Namen eines Augusten beanspruchen zu können!

Aber Elze giebt im Laufe seiner Untersuchung bald zu, daß als un-
bestrittene Disziplinen für die englische Philologie im Grunde doch nur die
Litteratur und die Sprache übrig bleiben. Er fürchtet selbst, man könnte seine
neuenglische Philologie mit Argwohn betrachten und gegen sein System Front
machen; so zieht er sich denn beständig hinter Böckhs Autorität zurück und
unternimmt keinen Schritt, ohne sich an der Leine der griechisch-römischen Sprach"
Wissenschaft festzuhalten. Wenn sich aber der Führer selbst an den Leibgurt
nehmen läßt, dann wird der Weg für den Bergbesteiger eine ebenso unsichere
wie unerquickliche Fahrt. Es ist denn doch ein ziemlich gewagtes Unternehmen,
Inhalt und Begriff der altsprachlichen Philologie, die sich mit den: fest¬
umschlossenen Gebiete früherer Kulturvölker beschäftigt, auf eine lebende Sprache
übertragen oder gar einen modernen Dichter wie Byron oder Tennyson nach den¬
selben Grundsätzen und derselben Methode behandeln zu wollen, wie Sophokles
"der Horaz.

Elze hätte unter solchen Umständen keine Veranlassung gehabt, auf Grober
und Körtittg kaum mißzuverstehende Seitenblicke zu werfen, denn beide bleiben
in Auffassung und Darstellung immer selbständig und konsequent. Man soll
nicht jungen Most in alte Schläuche stillen, und wenn die Anglistik aus sich
selbst eine besondre Philologie geworden ist, wird sie hoffentlich anch Kraft
und Eigenart genug besitzen, sich selbst ohne ängstliches Anklammern an die
griechisch-römische Philologie Begriff und Inhalt zu geben.

Elzes große Verdienste um die Wissenschaft, besonders um die Shakespearc-
fvrschung, sollen hier nicht angegriffen werden, allein es ist doch seltsam, daß
er mit seiner Methode gerade bei den Engländern so wenig Anklang gefunden
hat. Wir begreifen es sehr wohl, wenn die Engländer sich weigern, die neuen,
oft wunderlichen Entdeckungen der Shalespearevlogen mit stummer Ehrfurcht
vor der deutschen Wissenschaft hinzunehmen, und halten es gerade nicht für
.Verkehrtheit und Böswilligkeit" -- wie Elze meint --, wenn ein englischer
Gelehrter schreibt: ^n Unglisnmmr looks a Kincl ok personal wsult, ultor
" Vsrwlm sit" avoir auel hö^s, tods omsnä Lb.Älosx<zu'ö. Wir würden sich
unsre Goethe-Philologen geberden, wenn unter gleichen Verhältnissen die Eng¬
länder mit Textemendationcn, Conjekturalkritiken und Aufsuchuugen oder Er¬
läuterungen der Goethischen Grundgedanken Deutschland überschwemme" wollten.


drücke kommt." Was heißt das? Giebt es denn ein Erkennen, das nicht
geistiges Leben wäre? Und was laßt sich nicht alles zu diesem Erkennen
rechnen? Gehören denn nicht alle Kiiuste und Wissenschaften dazu, darf man
das naturwissenschaftliche und mathematische Erkennen nicht zu dem geistigen
Leben eines Volkes zahlen? Kommt denn in dem sittlichen Leben eines Volkes
nur die Litteratur zum Ausdruck? Gehört hierzu nicht die ganze Theologie
und Philosophie? Und das soll alles englische Philologie sein, das alles soll
der Student durcharbeiten, um den Namen eines Augusten beanspruchen zu können!

Aber Elze giebt im Laufe seiner Untersuchung bald zu, daß als un-
bestrittene Disziplinen für die englische Philologie im Grunde doch nur die
Litteratur und die Sprache übrig bleiben. Er fürchtet selbst, man könnte seine
neuenglische Philologie mit Argwohn betrachten und gegen sein System Front
machen; so zieht er sich denn beständig hinter Böckhs Autorität zurück und
unternimmt keinen Schritt, ohne sich an der Leine der griechisch-römischen Sprach«
Wissenschaft festzuhalten. Wenn sich aber der Führer selbst an den Leibgurt
nehmen läßt, dann wird der Weg für den Bergbesteiger eine ebenso unsichere
wie unerquickliche Fahrt. Es ist denn doch ein ziemlich gewagtes Unternehmen,
Inhalt und Begriff der altsprachlichen Philologie, die sich mit den: fest¬
umschlossenen Gebiete früherer Kulturvölker beschäftigt, auf eine lebende Sprache
übertragen oder gar einen modernen Dichter wie Byron oder Tennyson nach den¬
selben Grundsätzen und derselben Methode behandeln zu wollen, wie Sophokles
»der Horaz.

Elze hätte unter solchen Umständen keine Veranlassung gehabt, auf Grober
und Körtittg kaum mißzuverstehende Seitenblicke zu werfen, denn beide bleiben
in Auffassung und Darstellung immer selbständig und konsequent. Man soll
nicht jungen Most in alte Schläuche stillen, und wenn die Anglistik aus sich
selbst eine besondre Philologie geworden ist, wird sie hoffentlich anch Kraft
und Eigenart genug besitzen, sich selbst ohne ängstliches Anklammern an die
griechisch-römische Philologie Begriff und Inhalt zu geben.

Elzes große Verdienste um die Wissenschaft, besonders um die Shakespearc-
fvrschung, sollen hier nicht angegriffen werden, allein es ist doch seltsam, daß
er mit seiner Methode gerade bei den Engländern so wenig Anklang gefunden
hat. Wir begreifen es sehr wohl, wenn die Engländer sich weigern, die neuen,
oft wunderlichen Entdeckungen der Shalespearevlogen mit stummer Ehrfurcht
vor der deutschen Wissenschaft hinzunehmen, und halten es gerade nicht für
.Verkehrtheit und Böswilligkeit" — wie Elze meint —, wenn ein englischer
Gelehrter schreibt: ^n Unglisnmmr looks a Kincl ok personal wsult, ultor
» Vsrwlm sit« avoir auel hö^s, tods omsnä Lb.Älosx<zu'ö. Wir würden sich
unsre Goethe-Philologen geberden, wenn unter gleichen Verhältnissen die Eng¬
länder mit Textemendationcn, Conjekturalkritiken und Aufsuchuugen oder Er¬
läuterungen der Goethischen Grundgedanken Deutschland überschwemme« wollten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/517>, abgerufen am 28.09.2024.