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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Wer es wäre thöricht, wenn sie in den oben erwähnten nachteiligen Ein¬
flüssen den Hauptgrund dieser Konkurrenz erblicken wollten. Denn wenn wir
Deutsche uns auch einer starken, thatkräftigen und die Interessen der ein¬
heimischen Industrie fördernden Negierung erfreuen und mit etwas mehr Zu¬
friedenheit auf unsre sozialen Verhältnisse blicken können, wie groß sind doch
anderseits die Vorteile, die England uns gegenüber aufzuweisen hat! Wie
ist schon die insulare Lage desselben ein überaus wichtiger Umstand in der Ent¬
wicklung seiner Handels- und Jndustrieherrschaft! Vom Meere umgebe" und
doch den Küstenländern Westeuropas so nahe, war es, wenn es sich acht
völlig abschließen wollte, auf die Schiffahrt geradezu angewiesen, deren Pflege
und Vervollkommnung an und für sich schon an die technischen Anlagen des
Volkes bedeutende Forderungen stellte, zugleich aber auch das Streben nach
vorteilhafter Verwertung der einheimischen Erzeugnisse wachrief. So wuchs
eins mit dein andern und durch das andre, und diese Wechselwirkung zwischen
Industrie und Schiffahrtsverkehr schuf die Größe Englands auf dem Gebiete
der Technik.

Was die Nähe des Meeres bedeutete und heute noch trotz andrer vor¬
züglicher Verkehrswege bedeutet, das sehen wir recht deutlich an der Geschichte
einzelner deutscher Hansestädte. Ohne Zweifel ist die insulare Lage Englands
ein bedeutender Vorteil über alle andern Länder. Aber auch sem natürlicher
Reichtum sällt hier ins Gewicht.

Schon die klimatischen Verhältnisse sind entschieden günstiger, wert gün¬
stiger, als wir sie in den meisten Teilen Deutschlands finden. Bedeutend
milder als das unsrige, ist das Klima der britischen Insel, frei von unsrer
strengen Winterkälte, sowie von unsrer oft wochenlang andauernden versengen¬
den Sommerhitze. In dem südwestlichen Teile Englands sowie in Irland ge¬
deihen Pflanzen im Freien, die wir sonst nur in den südlichsten Teilen Europas
finden. Kein britischer Hafen friert jemals zu, keine Kanalverbindung ist ans
längere Zeit unterbrochen, kaum jemals macht ein anhaltender Frost die Feld-
vder Bauarbeit unmöglich, das Vieh ist Sommer und Winter auf der Weide,
keine unsrer wichtigern Nührpflanzen versagt auf englischem Boden das
Wachstum.

Dazu ist die Bewässerung der britischen Inseln ganz vorzüglich. Nicht
nur ist die Zahl schiffbarer Ströme sehr bedeutend, sondern auch das ist ein
großer Vorteil, daß sie sowohl wie auch die Flüsse und Bäche infolge der
häufigen regelmäßigem Niederschläge jahraus jahrein fast beständig dieselbe
Wassermenge führen. Wie oft ist bei uns auf dem Rhein die Schiffahrt
unterbrochen oder doch erschwert, im Dezember und Januar bisweilen durch
das Eis, im Mai und Juni wegen allzu hohen, und im September wegen
allzu niedrigen Wasserstandes! Wie oft sind bei uns durch Wasserkraft ge¬
triebene technische Anlagen durch Wasserttberfluß oder noch mehr durch Wasser-


Wer es wäre thöricht, wenn sie in den oben erwähnten nachteiligen Ein¬
flüssen den Hauptgrund dieser Konkurrenz erblicken wollten. Denn wenn wir
Deutsche uns auch einer starken, thatkräftigen und die Interessen der ein¬
heimischen Industrie fördernden Negierung erfreuen und mit etwas mehr Zu¬
friedenheit auf unsre sozialen Verhältnisse blicken können, wie groß sind doch
anderseits die Vorteile, die England uns gegenüber aufzuweisen hat! Wie
ist schon die insulare Lage desselben ein überaus wichtiger Umstand in der Ent¬
wicklung seiner Handels- und Jndustrieherrschaft! Vom Meere umgebe» und
doch den Küstenländern Westeuropas so nahe, war es, wenn es sich acht
völlig abschließen wollte, auf die Schiffahrt geradezu angewiesen, deren Pflege
und Vervollkommnung an und für sich schon an die technischen Anlagen des
Volkes bedeutende Forderungen stellte, zugleich aber auch das Streben nach
vorteilhafter Verwertung der einheimischen Erzeugnisse wachrief. So wuchs
eins mit dein andern und durch das andre, und diese Wechselwirkung zwischen
Industrie und Schiffahrtsverkehr schuf die Größe Englands auf dem Gebiete
der Technik.

Was die Nähe des Meeres bedeutete und heute noch trotz andrer vor¬
züglicher Verkehrswege bedeutet, das sehen wir recht deutlich an der Geschichte
einzelner deutscher Hansestädte. Ohne Zweifel ist die insulare Lage Englands
ein bedeutender Vorteil über alle andern Länder. Aber auch sem natürlicher
Reichtum sällt hier ins Gewicht.

Schon die klimatischen Verhältnisse sind entschieden günstiger, wert gün¬
stiger, als wir sie in den meisten Teilen Deutschlands finden. Bedeutend
milder als das unsrige, ist das Klima der britischen Insel, frei von unsrer
strengen Winterkälte, sowie von unsrer oft wochenlang andauernden versengen¬
den Sommerhitze. In dem südwestlichen Teile Englands sowie in Irland ge¬
deihen Pflanzen im Freien, die wir sonst nur in den südlichsten Teilen Europas
finden. Kein britischer Hafen friert jemals zu, keine Kanalverbindung ist ans
längere Zeit unterbrochen, kaum jemals macht ein anhaltender Frost die Feld-
vder Bauarbeit unmöglich, das Vieh ist Sommer und Winter auf der Weide,
keine unsrer wichtigern Nührpflanzen versagt auf englischem Boden das
Wachstum.

Dazu ist die Bewässerung der britischen Inseln ganz vorzüglich. Nicht
nur ist die Zahl schiffbarer Ströme sehr bedeutend, sondern auch das ist ein
großer Vorteil, daß sie sowohl wie auch die Flüsse und Bäche infolge der
häufigen regelmäßigem Niederschläge jahraus jahrein fast beständig dieselbe
Wassermenge führen. Wie oft ist bei uns auf dem Rhein die Schiffahrt
unterbrochen oder doch erschwert, im Dezember und Januar bisweilen durch
das Eis, im Mai und Juni wegen allzu hohen, und im September wegen
allzu niedrigen Wasserstandes! Wie oft sind bei uns durch Wasserkraft ge¬
triebene technische Anlagen durch Wasserttberfluß oder noch mehr durch Wasser-


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[0511] Wer es wäre thöricht, wenn sie in den oben erwähnten nachteiligen Ein¬ flüssen den Hauptgrund dieser Konkurrenz erblicken wollten. Denn wenn wir Deutsche uns auch einer starken, thatkräftigen und die Interessen der ein¬ heimischen Industrie fördernden Negierung erfreuen und mit etwas mehr Zu¬ friedenheit auf unsre sozialen Verhältnisse blicken können, wie groß sind doch anderseits die Vorteile, die England uns gegenüber aufzuweisen hat! Wie ist schon die insulare Lage desselben ein überaus wichtiger Umstand in der Ent¬ wicklung seiner Handels- und Jndustrieherrschaft! Vom Meere umgebe» und doch den Küstenländern Westeuropas so nahe, war es, wenn es sich acht völlig abschließen wollte, auf die Schiffahrt geradezu angewiesen, deren Pflege und Vervollkommnung an und für sich schon an die technischen Anlagen des Volkes bedeutende Forderungen stellte, zugleich aber auch das Streben nach vorteilhafter Verwertung der einheimischen Erzeugnisse wachrief. So wuchs eins mit dein andern und durch das andre, und diese Wechselwirkung zwischen Industrie und Schiffahrtsverkehr schuf die Größe Englands auf dem Gebiete der Technik. Was die Nähe des Meeres bedeutete und heute noch trotz andrer vor¬ züglicher Verkehrswege bedeutet, das sehen wir recht deutlich an der Geschichte einzelner deutscher Hansestädte. Ohne Zweifel ist die insulare Lage Englands ein bedeutender Vorteil über alle andern Länder. Aber auch sem natürlicher Reichtum sällt hier ins Gewicht. Schon die klimatischen Verhältnisse sind entschieden günstiger, wert gün¬ stiger, als wir sie in den meisten Teilen Deutschlands finden. Bedeutend milder als das unsrige, ist das Klima der britischen Insel, frei von unsrer strengen Winterkälte, sowie von unsrer oft wochenlang andauernden versengen¬ den Sommerhitze. In dem südwestlichen Teile Englands sowie in Irland ge¬ deihen Pflanzen im Freien, die wir sonst nur in den südlichsten Teilen Europas finden. Kein britischer Hafen friert jemals zu, keine Kanalverbindung ist ans längere Zeit unterbrochen, kaum jemals macht ein anhaltender Frost die Feld- vder Bauarbeit unmöglich, das Vieh ist Sommer und Winter auf der Weide, keine unsrer wichtigern Nührpflanzen versagt auf englischem Boden das Wachstum. Dazu ist die Bewässerung der britischen Inseln ganz vorzüglich. Nicht nur ist die Zahl schiffbarer Ströme sehr bedeutend, sondern auch das ist ein großer Vorteil, daß sie sowohl wie auch die Flüsse und Bäche infolge der häufigen regelmäßigem Niederschläge jahraus jahrein fast beständig dieselbe Wassermenge führen. Wie oft ist bei uns auf dem Rhein die Schiffahrt unterbrochen oder doch erschwert, im Dezember und Januar bisweilen durch das Eis, im Mai und Juni wegen allzu hohen, und im September wegen allzu niedrigen Wasserstandes! Wie oft sind bei uns durch Wasserkraft ge¬ triebene technische Anlagen durch Wasserttberfluß oder noch mehr durch Wasser-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/511>, abgerufen am 29.06.2024.