Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Englische Technik und deutsche Konkurrenz

Es ist nicht meine Absicht, auf allen Gebieten die Konkurrenz Deutsch¬
lands auf dein englischen Markte nachzuweisen; ich bin auch nicht im Stande,
das zu thun, aber das eine glaube ich doch gezeigt zu haben: die deutsche
Industrie ist der mächtigsten in der Welt eine gefährliche Nebenbuhlerin ge¬
worden, und heutzutage würde den Engländern wohl der Mut zu der be¬
kannten Spottrede fehlen: Deutschland führt Holzschnitzereien und Straßen¬
musikanten aus.

Freilich bemächtigt sich des britischen Gemütes, angesichts dieser Thatsachen,
ein sehr bitteres Gefühl, und wer wird ihm das verargen? Ist es nicht hart,
zusehen zu müssen, wie dank den^ Freihandelsprinzipieu ausländische Erzeugnisse
ungehindert die heimischen verdrängen oder doch wenigstens ihren Preis be¬
deutend Herabdrücken? Ist es nicht entmutigeud, auf einem Gebiete nach dem
andern die englische Technik von der deutschen erreicht, wenn nicht gar über¬
flügelt zu sehen? Ganz gewiß, und wir dürfen uns nicht darüber wundern,
wenn in englischen Büchern und Zeitschriften häufig der Unmut darüber kräf¬
tigen Ausdruck findet. Wir würden es nicht um ein Haar besser machen.
In solchen Dingen hört bekanntlich die Großmut und Selbstverleugnung des
menschlichen Charakters sehr bald auf, und der englische ist wahrlich nicht
dazu geneigt, von dieser allgemeinen Regel eine Ausnahme zu machen und zu
sagen: So, nun haben wir lange genug den Vorrang besessen und den Nahm
abgeschöpft, jetzt mögen unsre deutschen Nachbarn einmal an die Reihe
kommen.

Was dieses Gefühl des Amantes bei den Engländern noch steigert, das
sind die ungünstigen politischen und sozialen Verhältnisse ihres Landes. Seit
eine schwache, von einer sehr geringe" Mehrheit gestützte Regierung weder im
eignen Lande noch in den Kolonien den englischen Interessen den nötigen
Nachdruck verleiht, seit Nußland, der grimme Feind im Osten, mit Riesen¬
schritten sich Indien nähert und sich um britische Haltrufe und Proteste nicht
im geringsten kümmert, seit in Australien und Kanada sich immer mehr der
Trieb nach Unabhängigkeit geltend macht, hat Englands Weltstellung und
damit sein Welthandel einen bedeutenden Stoß erhalten. Nicht minder aber
auch durch die sozialen Übelstände. Wie soll sich in einem Teil des britischen
Reiches, in Irland, irgend welches gesunde, wirtschaftliche Leben entfalten
können, wenn Leben und Eigentum der Bewohner keinen Augenblick sicher sind,
wenn der Fabrikant sich die Arbeit seiner Leute durch den Beitritt zu einer
Genossenschaft erkaufen muß, die die Eigentumsrechte, Unterthanentreue und
die persönliche Freiheit mit Füßen tritt? Und wirkt nicht die Nachbarschaft
und Zugehörigkeit eines solchen Landes lähmend und verhängnisvoll auf das
Hauptland zurück? Ohne Zweifel sind solche Betrachtungen dazu geeignet, jenes
bittere Gefühl noch zu erhöhen, das sich angesichts der ausländischen Kon¬
kurrenz der englischen industriellen Kreise bemächtigt.


Englische Technik und deutsche Konkurrenz

Es ist nicht meine Absicht, auf allen Gebieten die Konkurrenz Deutsch¬
lands auf dein englischen Markte nachzuweisen; ich bin auch nicht im Stande,
das zu thun, aber das eine glaube ich doch gezeigt zu haben: die deutsche
Industrie ist der mächtigsten in der Welt eine gefährliche Nebenbuhlerin ge¬
worden, und heutzutage würde den Engländern wohl der Mut zu der be¬
kannten Spottrede fehlen: Deutschland führt Holzschnitzereien und Straßen¬
musikanten aus.

Freilich bemächtigt sich des britischen Gemütes, angesichts dieser Thatsachen,
ein sehr bitteres Gefühl, und wer wird ihm das verargen? Ist es nicht hart,
zusehen zu müssen, wie dank den^ Freihandelsprinzipieu ausländische Erzeugnisse
ungehindert die heimischen verdrängen oder doch wenigstens ihren Preis be¬
deutend Herabdrücken? Ist es nicht entmutigeud, auf einem Gebiete nach dem
andern die englische Technik von der deutschen erreicht, wenn nicht gar über¬
flügelt zu sehen? Ganz gewiß, und wir dürfen uns nicht darüber wundern,
wenn in englischen Büchern und Zeitschriften häufig der Unmut darüber kräf¬
tigen Ausdruck findet. Wir würden es nicht um ein Haar besser machen.
In solchen Dingen hört bekanntlich die Großmut und Selbstverleugnung des
menschlichen Charakters sehr bald auf, und der englische ist wahrlich nicht
dazu geneigt, von dieser allgemeinen Regel eine Ausnahme zu machen und zu
sagen: So, nun haben wir lange genug den Vorrang besessen und den Nahm
abgeschöpft, jetzt mögen unsre deutschen Nachbarn einmal an die Reihe
kommen.

Was dieses Gefühl des Amantes bei den Engländern noch steigert, das
sind die ungünstigen politischen und sozialen Verhältnisse ihres Landes. Seit
eine schwache, von einer sehr geringe» Mehrheit gestützte Regierung weder im
eignen Lande noch in den Kolonien den englischen Interessen den nötigen
Nachdruck verleiht, seit Nußland, der grimme Feind im Osten, mit Riesen¬
schritten sich Indien nähert und sich um britische Haltrufe und Proteste nicht
im geringsten kümmert, seit in Australien und Kanada sich immer mehr der
Trieb nach Unabhängigkeit geltend macht, hat Englands Weltstellung und
damit sein Welthandel einen bedeutenden Stoß erhalten. Nicht minder aber
auch durch die sozialen Übelstände. Wie soll sich in einem Teil des britischen
Reiches, in Irland, irgend welches gesunde, wirtschaftliche Leben entfalten
können, wenn Leben und Eigentum der Bewohner keinen Augenblick sicher sind,
wenn der Fabrikant sich die Arbeit seiner Leute durch den Beitritt zu einer
Genossenschaft erkaufen muß, die die Eigentumsrechte, Unterthanentreue und
die persönliche Freiheit mit Füßen tritt? Und wirkt nicht die Nachbarschaft
und Zugehörigkeit eines solchen Landes lähmend und verhängnisvoll auf das
Hauptland zurück? Ohne Zweifel sind solche Betrachtungen dazu geeignet, jenes
bittere Gefühl noch zu erhöhen, das sich angesichts der ausländischen Kon¬
kurrenz der englischen industriellen Kreise bemächtigt.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0510" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/204599"/>
          <fw type="header" place="top"> Englische Technik und deutsche Konkurrenz</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1676"> Es ist nicht meine Absicht, auf allen Gebieten die Konkurrenz Deutsch¬<lb/>
lands auf dein englischen Markte nachzuweisen; ich bin auch nicht im Stande,<lb/>
das zu thun, aber das eine glaube ich doch gezeigt zu haben: die deutsche<lb/>
Industrie ist der mächtigsten in der Welt eine gefährliche Nebenbuhlerin ge¬<lb/>
worden, und heutzutage würde den Engländern wohl der Mut zu der be¬<lb/>
kannten Spottrede fehlen: Deutschland führt Holzschnitzereien und Straßen¬<lb/>
musikanten aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1677"> Freilich bemächtigt sich des britischen Gemütes, angesichts dieser Thatsachen,<lb/>
ein sehr bitteres Gefühl, und wer wird ihm das verargen? Ist es nicht hart,<lb/>
zusehen zu müssen, wie dank den^ Freihandelsprinzipieu ausländische Erzeugnisse<lb/>
ungehindert die heimischen verdrängen oder doch wenigstens ihren Preis be¬<lb/>
deutend Herabdrücken? Ist es nicht entmutigeud, auf einem Gebiete nach dem<lb/>
andern die englische Technik von der deutschen erreicht, wenn nicht gar über¬<lb/>
flügelt zu sehen? Ganz gewiß, und wir dürfen uns nicht darüber wundern,<lb/>
wenn in englischen Büchern und Zeitschriften häufig der Unmut darüber kräf¬<lb/>
tigen Ausdruck findet. Wir würden es nicht um ein Haar besser machen.<lb/>
In solchen Dingen hört bekanntlich die Großmut und Selbstverleugnung des<lb/>
menschlichen Charakters sehr bald auf, und der englische ist wahrlich nicht<lb/>
dazu geneigt, von dieser allgemeinen Regel eine Ausnahme zu machen und zu<lb/>
sagen: So, nun haben wir lange genug den Vorrang besessen und den Nahm<lb/>
abgeschöpft, jetzt mögen unsre deutschen Nachbarn einmal an die Reihe<lb/>
kommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1678"> Was dieses Gefühl des Amantes bei den Engländern noch steigert, das<lb/>
sind die ungünstigen politischen und sozialen Verhältnisse ihres Landes. Seit<lb/>
eine schwache, von einer sehr geringe» Mehrheit gestützte Regierung weder im<lb/>
eignen Lande noch in den Kolonien den englischen Interessen den nötigen<lb/>
Nachdruck verleiht, seit Nußland, der grimme Feind im Osten, mit Riesen¬<lb/>
schritten sich Indien nähert und sich um britische Haltrufe und Proteste nicht<lb/>
im geringsten kümmert, seit in Australien und Kanada sich immer mehr der<lb/>
Trieb nach Unabhängigkeit geltend macht, hat Englands Weltstellung und<lb/>
damit sein Welthandel einen bedeutenden Stoß erhalten. Nicht minder aber<lb/>
auch durch die sozialen Übelstände. Wie soll sich in einem Teil des britischen<lb/>
Reiches, in Irland, irgend welches gesunde, wirtschaftliche Leben entfalten<lb/>
können, wenn Leben und Eigentum der Bewohner keinen Augenblick sicher sind,<lb/>
wenn der Fabrikant sich die Arbeit seiner Leute durch den Beitritt zu einer<lb/>
Genossenschaft erkaufen muß, die die Eigentumsrechte, Unterthanentreue und<lb/>
die persönliche Freiheit mit Füßen tritt? Und wirkt nicht die Nachbarschaft<lb/>
und Zugehörigkeit eines solchen Landes lähmend und verhängnisvoll auf das<lb/>
Hauptland zurück? Ohne Zweifel sind solche Betrachtungen dazu geeignet, jenes<lb/>
bittere Gefühl noch zu erhöhen, das sich angesichts der ausländischen Kon¬<lb/>
kurrenz der englischen industriellen Kreise bemächtigt.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0510] Englische Technik und deutsche Konkurrenz Es ist nicht meine Absicht, auf allen Gebieten die Konkurrenz Deutsch¬ lands auf dein englischen Markte nachzuweisen; ich bin auch nicht im Stande, das zu thun, aber das eine glaube ich doch gezeigt zu haben: die deutsche Industrie ist der mächtigsten in der Welt eine gefährliche Nebenbuhlerin ge¬ worden, und heutzutage würde den Engländern wohl der Mut zu der be¬ kannten Spottrede fehlen: Deutschland führt Holzschnitzereien und Straßen¬ musikanten aus. Freilich bemächtigt sich des britischen Gemütes, angesichts dieser Thatsachen, ein sehr bitteres Gefühl, und wer wird ihm das verargen? Ist es nicht hart, zusehen zu müssen, wie dank den^ Freihandelsprinzipieu ausländische Erzeugnisse ungehindert die heimischen verdrängen oder doch wenigstens ihren Preis be¬ deutend Herabdrücken? Ist es nicht entmutigeud, auf einem Gebiete nach dem andern die englische Technik von der deutschen erreicht, wenn nicht gar über¬ flügelt zu sehen? Ganz gewiß, und wir dürfen uns nicht darüber wundern, wenn in englischen Büchern und Zeitschriften häufig der Unmut darüber kräf¬ tigen Ausdruck findet. Wir würden es nicht um ein Haar besser machen. In solchen Dingen hört bekanntlich die Großmut und Selbstverleugnung des menschlichen Charakters sehr bald auf, und der englische ist wahrlich nicht dazu geneigt, von dieser allgemeinen Regel eine Ausnahme zu machen und zu sagen: So, nun haben wir lange genug den Vorrang besessen und den Nahm abgeschöpft, jetzt mögen unsre deutschen Nachbarn einmal an die Reihe kommen. Was dieses Gefühl des Amantes bei den Engländern noch steigert, das sind die ungünstigen politischen und sozialen Verhältnisse ihres Landes. Seit eine schwache, von einer sehr geringe» Mehrheit gestützte Regierung weder im eignen Lande noch in den Kolonien den englischen Interessen den nötigen Nachdruck verleiht, seit Nußland, der grimme Feind im Osten, mit Riesen¬ schritten sich Indien nähert und sich um britische Haltrufe und Proteste nicht im geringsten kümmert, seit in Australien und Kanada sich immer mehr der Trieb nach Unabhängigkeit geltend macht, hat Englands Weltstellung und damit sein Welthandel einen bedeutenden Stoß erhalten. Nicht minder aber auch durch die sozialen Übelstände. Wie soll sich in einem Teil des britischen Reiches, in Irland, irgend welches gesunde, wirtschaftliche Leben entfalten können, wenn Leben und Eigentum der Bewohner keinen Augenblick sicher sind, wenn der Fabrikant sich die Arbeit seiner Leute durch den Beitritt zu einer Genossenschaft erkaufen muß, die die Eigentumsrechte, Unterthanentreue und die persönliche Freiheit mit Füßen tritt? Und wirkt nicht die Nachbarschaft und Zugehörigkeit eines solchen Landes lähmend und verhängnisvoll auf das Hauptland zurück? Ohne Zweifel sind solche Betrachtungen dazu geeignet, jenes bittere Gefühl noch zu erhöhen, das sich angesichts der ausländischen Kon¬ kurrenz der englischen industriellen Kreise bemächtigt.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/510
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/510>, abgerufen am 28.09.2024.