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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

depots." Dazu vergleiche mau wiederum Blumcs Ausspruch: "Für einen
Angriffskrieg ist es sehr vorteilhaft, über einen oder mehrere befestigte Depot¬
plätze ein der Grenze zu verfügen. Wo indessen Krieg mit Hilfe eines aus¬
gebreiteten und leistungsfähigen Eisenbahnnetzes geführt wird, hat sich das
Bedürfnis befestigter Depots verringert."

Die am weitesten nach Westen vorgeschobenen Mittelpunkte des russischen
Festungssystems stützen sich auf die Weichsel und den Bug und bilden ein
Dreieck, dessen Basis, am unedleren Lauf der Weichsel liegend, der westlichen
Grenze zugekehrt ist, und dessen Spitze bis an die Rokitnosümpfe reicht. Die
Festung Rooo-Georgiewsk, da gelegen, wo der Narew sich in die Weichsel
ergießt, bildet den rechten, Jwangorod, an der Mündung des Wjeprz, den
linken Flügel, Warschau das Zentrum der Basis, Brest-Litewski, am Bug
liegend, wo dieser sich uach Nordwesten wendet, die Spitze des Dreiecks.
Diese Festungen, von denen die drei ersten als Straßensperre dienen sollen,
während die vierte die Verbindung mit den Hilfsquellen des Hinterlandes zu
sicherm bestimmt ist, gebieten einem von Westen anrückenden Feinde energisch
Halt, da eine Umgehung innerhalb des russischen Gebietes im, Norden durch
die Sümpfe des Narew, im Süden durch die Festungen Zamosc, Luzk und
Dubuo unmöglich gemacht wird. Eine Invasion von Ostpreußen her gegen
das nordwestliche Nußland würde für den Schutz der deutschen Ost- und Süd-
ostgrenze und für die Sicherung der langen, von rechts her bedrohten Ope¬
rationslinie sowie der beiden Eisenbahnen, welche die Nückwärtsverbindung
zu vermitteln hätten, so bedeutende Truppeuaufstellungen erfordern, daß die
Operationsarmee zu sehr geschwächt werden müßte. Günstiger liegen die Dinge
für eine Invasion in das südwestliche Rußland, weil hier die Operationslinie kürzer
ist und für die Verbindung nach rückwärts mehrere Eisenbahnen benutzt werden
köunen, die durch die österreichische" Festungen Przemysl und Krakau gedeckt
sind. Doch ist auch hier eine starke Armee zur Deckung der linken Flanke des
angreifenden Hauptheeres erforderlich, und es ist zweifelhaft, ob Österreichs
Wehrkraft jetzt schon genügend entwickelt ist, um ein Hauptheer ins Feld zu
stellen, das den russischen Streitkräften gewachsen wäre, und zu gleicher
Zeit jene Nebenarmee auf dessen linker Seite aufzubringen. Dagegen sind
Osterreich und Deutschland vereinigt sehr wohl in der Lage, den Front¬
augriff auf die befestigte Weichsellinie Rußlands mit einer strategischen
Offensive gegen Petersburg oder das südwestliche Gebiet des Zarenreichs
zu verbinden.

Eine zweite Verteidigungslinie der Russen bilden die Dura und der Dujepr.
Die Mitte derselben ist durch die Sümpfe des Pripet und die Festung Bobrnisk,
der rechte Flügel durch die Dura mit Dünaburg und Dünamünde, der linke
durch die starken Festungen Kiew und Nikolajew gedeckt. Das taktische Zentrum
des russischen Festnngssystems im ehemaligen Polen ist das obenerwähnte


Militärisch-politische Blicke nach Osten

depots." Dazu vergleiche mau wiederum Blumcs Ausspruch: „Für einen
Angriffskrieg ist es sehr vorteilhaft, über einen oder mehrere befestigte Depot¬
plätze ein der Grenze zu verfügen. Wo indessen Krieg mit Hilfe eines aus¬
gebreiteten und leistungsfähigen Eisenbahnnetzes geführt wird, hat sich das
Bedürfnis befestigter Depots verringert."

Die am weitesten nach Westen vorgeschobenen Mittelpunkte des russischen
Festungssystems stützen sich auf die Weichsel und den Bug und bilden ein
Dreieck, dessen Basis, am unedleren Lauf der Weichsel liegend, der westlichen
Grenze zugekehrt ist, und dessen Spitze bis an die Rokitnosümpfe reicht. Die
Festung Rooo-Georgiewsk, da gelegen, wo der Narew sich in die Weichsel
ergießt, bildet den rechten, Jwangorod, an der Mündung des Wjeprz, den
linken Flügel, Warschau das Zentrum der Basis, Brest-Litewski, am Bug
liegend, wo dieser sich uach Nordwesten wendet, die Spitze des Dreiecks.
Diese Festungen, von denen die drei ersten als Straßensperre dienen sollen,
während die vierte die Verbindung mit den Hilfsquellen des Hinterlandes zu
sicherm bestimmt ist, gebieten einem von Westen anrückenden Feinde energisch
Halt, da eine Umgehung innerhalb des russischen Gebietes im, Norden durch
die Sümpfe des Narew, im Süden durch die Festungen Zamosc, Luzk und
Dubuo unmöglich gemacht wird. Eine Invasion von Ostpreußen her gegen
das nordwestliche Nußland würde für den Schutz der deutschen Ost- und Süd-
ostgrenze und für die Sicherung der langen, von rechts her bedrohten Ope¬
rationslinie sowie der beiden Eisenbahnen, welche die Nückwärtsverbindung
zu vermitteln hätten, so bedeutende Truppeuaufstellungen erfordern, daß die
Operationsarmee zu sehr geschwächt werden müßte. Günstiger liegen die Dinge
für eine Invasion in das südwestliche Rußland, weil hier die Operationslinie kürzer
ist und für die Verbindung nach rückwärts mehrere Eisenbahnen benutzt werden
köunen, die durch die österreichische« Festungen Przemysl und Krakau gedeckt
sind. Doch ist auch hier eine starke Armee zur Deckung der linken Flanke des
angreifenden Hauptheeres erforderlich, und es ist zweifelhaft, ob Österreichs
Wehrkraft jetzt schon genügend entwickelt ist, um ein Hauptheer ins Feld zu
stellen, das den russischen Streitkräften gewachsen wäre, und zu gleicher
Zeit jene Nebenarmee auf dessen linker Seite aufzubringen. Dagegen sind
Osterreich und Deutschland vereinigt sehr wohl in der Lage, den Front¬
augriff auf die befestigte Weichsellinie Rußlands mit einer strategischen
Offensive gegen Petersburg oder das südwestliche Gebiet des Zarenreichs
zu verbinden.

Eine zweite Verteidigungslinie der Russen bilden die Dura und der Dujepr.
Die Mitte derselben ist durch die Sümpfe des Pripet und die Festung Bobrnisk,
der rechte Flügel durch die Dura mit Dünaburg und Dünamünde, der linke
durch die starken Festungen Kiew und Nikolajew gedeckt. Das taktische Zentrum
des russischen Festnngssystems im ehemaligen Polen ist das obenerwähnte


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[0502] Militärisch-politische Blicke nach Osten depots." Dazu vergleiche mau wiederum Blumcs Ausspruch: „Für einen Angriffskrieg ist es sehr vorteilhaft, über einen oder mehrere befestigte Depot¬ plätze ein der Grenze zu verfügen. Wo indessen Krieg mit Hilfe eines aus¬ gebreiteten und leistungsfähigen Eisenbahnnetzes geführt wird, hat sich das Bedürfnis befestigter Depots verringert." Die am weitesten nach Westen vorgeschobenen Mittelpunkte des russischen Festungssystems stützen sich auf die Weichsel und den Bug und bilden ein Dreieck, dessen Basis, am unedleren Lauf der Weichsel liegend, der westlichen Grenze zugekehrt ist, und dessen Spitze bis an die Rokitnosümpfe reicht. Die Festung Rooo-Georgiewsk, da gelegen, wo der Narew sich in die Weichsel ergießt, bildet den rechten, Jwangorod, an der Mündung des Wjeprz, den linken Flügel, Warschau das Zentrum der Basis, Brest-Litewski, am Bug liegend, wo dieser sich uach Nordwesten wendet, die Spitze des Dreiecks. Diese Festungen, von denen die drei ersten als Straßensperre dienen sollen, während die vierte die Verbindung mit den Hilfsquellen des Hinterlandes zu sicherm bestimmt ist, gebieten einem von Westen anrückenden Feinde energisch Halt, da eine Umgehung innerhalb des russischen Gebietes im, Norden durch die Sümpfe des Narew, im Süden durch die Festungen Zamosc, Luzk und Dubuo unmöglich gemacht wird. Eine Invasion von Ostpreußen her gegen das nordwestliche Nußland würde für den Schutz der deutschen Ost- und Süd- ostgrenze und für die Sicherung der langen, von rechts her bedrohten Ope¬ rationslinie sowie der beiden Eisenbahnen, welche die Nückwärtsverbindung zu vermitteln hätten, so bedeutende Truppeuaufstellungen erfordern, daß die Operationsarmee zu sehr geschwächt werden müßte. Günstiger liegen die Dinge für eine Invasion in das südwestliche Rußland, weil hier die Operationslinie kürzer ist und für die Verbindung nach rückwärts mehrere Eisenbahnen benutzt werden köunen, die durch die österreichische« Festungen Przemysl und Krakau gedeckt sind. Doch ist auch hier eine starke Armee zur Deckung der linken Flanke des angreifenden Hauptheeres erforderlich, und es ist zweifelhaft, ob Österreichs Wehrkraft jetzt schon genügend entwickelt ist, um ein Hauptheer ins Feld zu stellen, das den russischen Streitkräften gewachsen wäre, und zu gleicher Zeit jene Nebenarmee auf dessen linker Seite aufzubringen. Dagegen sind Osterreich und Deutschland vereinigt sehr wohl in der Lage, den Front¬ augriff auf die befestigte Weichsellinie Rußlands mit einer strategischen Offensive gegen Petersburg oder das südwestliche Gebiet des Zarenreichs zu verbinden. Eine zweite Verteidigungslinie der Russen bilden die Dura und der Dujepr. Die Mitte derselben ist durch die Sümpfe des Pripet und die Festung Bobrnisk, der rechte Flügel durch die Dura mit Dünaburg und Dünamünde, der linke durch die starken Festungen Kiew und Nikolajew gedeckt. Das taktische Zentrum des russischen Festnngssystems im ehemaligen Polen ist das obenerwähnte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/502>, abgerufen am 29.06.2024.