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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

die Haltung Rußlands in den Jahren 1866 und 1370, es verwendete seinen
Einfluß energisch für dessen Interessen und verschaffte ihm wesentliche Vorteile,
erntete aber dafür statt Anerkennung seines guten Willens bei der russischen
öffentlichen Meinung, da es auch die Interessen andrer Staaten berücksichtigen
mußte und somit nicht alle Ansprüche der Russen befriedigen konnte, nur
Vorwürfe und Haß, die zu einem erbitterten Zeitungskriege führten, welcher
bedenklich wurde°, als sich an ihm auch halbamtliche Blätter beteiligten. Die
russische Presse liebäugelte mit Frankreich. General Obrntschew sortirte dort
die Regierung wegen gemeinsamen Auftretens gegen Deutschland. Kaiser
Alexander II. richtete an den deutschen Kaiser einen Brief, der Klagen über
die deutsche Politik im Balkanlande mit Drohungen mischte. Wie die kleine dunkle
Wolle am Horizont, die plötzlich losbrechenden Sturm verkündet, stieg es am
östlichen Gesichtskreise empor und breitete sich rasch über den Himmel aus.
Zwar kam das Kriegswetter damals nicht zum Ausbruch, da der Zar sich
eines Bessern besann, in Alexandrowo eine Verständigung stattfand, und
das trotzdem von Vismarck abgeschlossene Bündnis Deutschlands mit Öster¬
reich in Petersburg weiteres Einlenken und Zurückweichen für die nächste Zeit
ratsam erscheinen ließ. Aber die folgenden Jahre gestalteten sich nicht trost¬
reicher. Das drohende russische Gewitter wurde nur ein Aprilwetter, ein
unaufhörlicher Wechsel von Sonnenblicken und Wolkenschatten, von Versöhnungen
und Beschwichtigungen und von neuen Verstimmungen und Beängstigungen,
denen der Tod Alexanders nicht nur kein Ziel setzte, sondern in dem Rufe
des Nachfolgers, er sei in den Händen der Panslawisten, Nahrung gab.
Die Danziger Zusammenkunft schien ein besseres Verhältnis angebahnt zu
haben, aber wieder gewannen deutschfeindliche Einflüsse am Petersburger Hofe
Oberwasser, und die orleanistische Intrigue mit den gefälschten Aktenstücken,
die Alexander III. bei seinem Besuche in Kopenhagen zugestellt wurden und
den deutschen Reichskanzler als heimlichen Gegner Rußlands in Bulgarien
erscheinen ließen, steigerten jenen Einfluß und rückten die Gefahr eines Bruches
wesentlich näher. Die Berliner Unterredung Bismarcks mit dem Zaren war,
indem sie den letztern überzeugte, daß er getäuscht worden war, wieder ein
Sonnenblick, und mit dem Besuche, den der junge deutsche Kaiser dem russischen
vor andern benachbarten Herrschern, also wohl als dem abstattete, um dessen
Freundschaft ihm zunächst gelegen war, schien alle Verdüsterung sich aufgeklärt
M haben und der Friede völlig gesichert zu sein. Ob das in Wahrheit sich
so verhielt und ob es dauern wird, wird die Zukunft zeigen, jedenfalls find
Zweifel daran nicht ausgeschlossen, da die deutschfeindlichen Einflüsse noch
keineswegs aus der Nähe Alexanders III. verbannt sind, und so wird ver¬
mutlich noch lange Vorsicht das erste Erfordernis sein, wenn es sich um unser
Verhältnis zu Rußland handelt. Vertrauen erweckt wieder Vertrauen ist
ein schönes Sprichwort, aber die Kriegsvorbereitungen in Polen, die heute


Militärisch-politische Blicke nach Osten

die Haltung Rußlands in den Jahren 1866 und 1370, es verwendete seinen
Einfluß energisch für dessen Interessen und verschaffte ihm wesentliche Vorteile,
erntete aber dafür statt Anerkennung seines guten Willens bei der russischen
öffentlichen Meinung, da es auch die Interessen andrer Staaten berücksichtigen
mußte und somit nicht alle Ansprüche der Russen befriedigen konnte, nur
Vorwürfe und Haß, die zu einem erbitterten Zeitungskriege führten, welcher
bedenklich wurde°, als sich an ihm auch halbamtliche Blätter beteiligten. Die
russische Presse liebäugelte mit Frankreich. General Obrntschew sortirte dort
die Regierung wegen gemeinsamen Auftretens gegen Deutschland. Kaiser
Alexander II. richtete an den deutschen Kaiser einen Brief, der Klagen über
die deutsche Politik im Balkanlande mit Drohungen mischte. Wie die kleine dunkle
Wolle am Horizont, die plötzlich losbrechenden Sturm verkündet, stieg es am
östlichen Gesichtskreise empor und breitete sich rasch über den Himmel aus.
Zwar kam das Kriegswetter damals nicht zum Ausbruch, da der Zar sich
eines Bessern besann, in Alexandrowo eine Verständigung stattfand, und
das trotzdem von Vismarck abgeschlossene Bündnis Deutschlands mit Öster¬
reich in Petersburg weiteres Einlenken und Zurückweichen für die nächste Zeit
ratsam erscheinen ließ. Aber die folgenden Jahre gestalteten sich nicht trost¬
reicher. Das drohende russische Gewitter wurde nur ein Aprilwetter, ein
unaufhörlicher Wechsel von Sonnenblicken und Wolkenschatten, von Versöhnungen
und Beschwichtigungen und von neuen Verstimmungen und Beängstigungen,
denen der Tod Alexanders nicht nur kein Ziel setzte, sondern in dem Rufe
des Nachfolgers, er sei in den Händen der Panslawisten, Nahrung gab.
Die Danziger Zusammenkunft schien ein besseres Verhältnis angebahnt zu
haben, aber wieder gewannen deutschfeindliche Einflüsse am Petersburger Hofe
Oberwasser, und die orleanistische Intrigue mit den gefälschten Aktenstücken,
die Alexander III. bei seinem Besuche in Kopenhagen zugestellt wurden und
den deutschen Reichskanzler als heimlichen Gegner Rußlands in Bulgarien
erscheinen ließen, steigerten jenen Einfluß und rückten die Gefahr eines Bruches
wesentlich näher. Die Berliner Unterredung Bismarcks mit dem Zaren war,
indem sie den letztern überzeugte, daß er getäuscht worden war, wieder ein
Sonnenblick, und mit dem Besuche, den der junge deutsche Kaiser dem russischen
vor andern benachbarten Herrschern, also wohl als dem abstattete, um dessen
Freundschaft ihm zunächst gelegen war, schien alle Verdüsterung sich aufgeklärt
M haben und der Friede völlig gesichert zu sein. Ob das in Wahrheit sich
so verhielt und ob es dauern wird, wird die Zukunft zeigen, jedenfalls find
Zweifel daran nicht ausgeschlossen, da die deutschfeindlichen Einflüsse noch
keineswegs aus der Nähe Alexanders III. verbannt sind, und so wird ver¬
mutlich noch lange Vorsicht das erste Erfordernis sein, wenn es sich um unser
Verhältnis zu Rußland handelt. Vertrauen erweckt wieder Vertrauen ist
ein schönes Sprichwort, aber die Kriegsvorbereitungen in Polen, die heute


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/499>, abgerufen am 28.09.2024.