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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Militärisch-politische Blicke nach Osten

Verkehr erschlossen. Ferner hat man das Befestigungssystem in diesen Provinzen
wesentlich vervollständigt, indem man teils schon bestehende Festungen durch Umbau
und Erweiterung zu Wasserplätzen ersten Ranges erhob und gegen die Wirkung
der modernen Belagerungsmittel nach Möglichkeit zu schützen suchte, teils neue
Festungen und befestigte Lager anlegte. Ersteres geschah mit Rooo Georgiewsk,
Warschau, Jwangorod, Brest Litewski und Kiew, letzteres bei Dubno, Chotim
und Kcnnenez Podolsk, sowie neuerdings bei Grodno und bei Bielvstok an der
österreichischen und bei Kowno um der preußischen Grenze. Endlich hat das
russische Kriegsministerium von 1879 an, zuerst ganz in der Stille, von Jahr
zu Jahr mehr Truppen in die westlichen Grenzlande verlegt und sie an den
großen Eisenbahnlinien untergebracht, so daß ihre Mobilmachung und Zusammen¬
stellung zu Armeen rasch erfolgen kann, wobei jedoch nicht zu übersehen ist,
daß bei der vergleichsweise geringen Zahl der Zwischenbahnen die Urlauber
und Reservisten noch in vielen Fällen weite Strecken zu Fuße zurücklegen
müssen, also erst nach geraumer Zeit bei ihren Regimentern eintreffen können.
Dagegen ist durch Belegung der westlichen Gouvernements mit Massen von
Kavallerie und reitender Artillerie, die beinahe auf Kriegsfuß gebracht sind,
und durch die Bestimmung, daß die in Kongreßpolen stehenden 15 Jnfanterie-
divisiouen, sowie die dortigen Schützen-, Sappeur- und Feldartilleriebrigaden
durch Einstellung der in diesem Landesteile einberufenen Reservisten ans die
volle Kriegsstärke gebracht werden sollen, was in etwa zehn Tagen zu bewerk¬
stelligen sein wird, die Vorbereitung zu einem Kriege mit den westlichen
Nachbarn wesentlich gefördert worden. Ebenso ist sür die rasche Bespannung
der Geschütze und Trainfuhrwerke, für die reichliches Material vorhanden ist,
genügend Sorge getragen. Nur die Divisivnskavallerie, die aus Kosaken-
regimentcrn besteht, mich in der Heimat formirt und dann auf deu Kriegs¬
schauplatz gebracht werden. Alle diese Maßregeln mit Ausnahme der An¬
sammlung von Kavalleriemassen mit reitender Artillerie könnten auch auf bloße
Verteidigung berechnet sein, also keine Bedrohung bedeuten. Bei jener Aus¬
nahme aber erinnert man sich unwillkürlich an die großen Neitervorstöße der
Unionsgenerale im letzten amerikanischen Bürgerkriege und vermutet, die
KVwallericmassen in Polen seien zur Eröffnung des Angriffs, zu Invasionen
in das Gebiet der westlichen Nachbarn mit dem Zwecke bestimmt, deren Mobil¬
machung durch Zerstörung von Eisenbahnen zu hindern, gesammelte Vorräte
wegzunehmen, weit ins Land hinein Schrecken zu verbreiten und den eignen
Aufmarsch zu verschleiern, auf welche Verwendung der russischen Reiterei deren
ganze Ausbildung schon seit zehn Jahren hindeutet.

Deutschland und Rußland haben um an sich keine Interessen, die einen
Gegensatz zwischen dem einen und dem andern Reiche einschlossen. Aber mit
dem Berliner Kongreß ist unleugbar eine Erkältung der Freundschaft zwischen
ihnen eingetreten. Dentschlnud zeigte sich hier nach Möglichkeit dankbar fiir


Militärisch-politische Blicke nach Osten

Verkehr erschlossen. Ferner hat man das Befestigungssystem in diesen Provinzen
wesentlich vervollständigt, indem man teils schon bestehende Festungen durch Umbau
und Erweiterung zu Wasserplätzen ersten Ranges erhob und gegen die Wirkung
der modernen Belagerungsmittel nach Möglichkeit zu schützen suchte, teils neue
Festungen und befestigte Lager anlegte. Ersteres geschah mit Rooo Georgiewsk,
Warschau, Jwangorod, Brest Litewski und Kiew, letzteres bei Dubno, Chotim
und Kcnnenez Podolsk, sowie neuerdings bei Grodno und bei Bielvstok an der
österreichischen und bei Kowno um der preußischen Grenze. Endlich hat das
russische Kriegsministerium von 1879 an, zuerst ganz in der Stille, von Jahr
zu Jahr mehr Truppen in die westlichen Grenzlande verlegt und sie an den
großen Eisenbahnlinien untergebracht, so daß ihre Mobilmachung und Zusammen¬
stellung zu Armeen rasch erfolgen kann, wobei jedoch nicht zu übersehen ist,
daß bei der vergleichsweise geringen Zahl der Zwischenbahnen die Urlauber
und Reservisten noch in vielen Fällen weite Strecken zu Fuße zurücklegen
müssen, also erst nach geraumer Zeit bei ihren Regimentern eintreffen können.
Dagegen ist durch Belegung der westlichen Gouvernements mit Massen von
Kavallerie und reitender Artillerie, die beinahe auf Kriegsfuß gebracht sind,
und durch die Bestimmung, daß die in Kongreßpolen stehenden 15 Jnfanterie-
divisiouen, sowie die dortigen Schützen-, Sappeur- und Feldartilleriebrigaden
durch Einstellung der in diesem Landesteile einberufenen Reservisten ans die
volle Kriegsstärke gebracht werden sollen, was in etwa zehn Tagen zu bewerk¬
stelligen sein wird, die Vorbereitung zu einem Kriege mit den westlichen
Nachbarn wesentlich gefördert worden. Ebenso ist sür die rasche Bespannung
der Geschütze und Trainfuhrwerke, für die reichliches Material vorhanden ist,
genügend Sorge getragen. Nur die Divisivnskavallerie, die aus Kosaken-
regimentcrn besteht, mich in der Heimat formirt und dann auf deu Kriegs¬
schauplatz gebracht werden. Alle diese Maßregeln mit Ausnahme der An¬
sammlung von Kavalleriemassen mit reitender Artillerie könnten auch auf bloße
Verteidigung berechnet sein, also keine Bedrohung bedeuten. Bei jener Aus¬
nahme aber erinnert man sich unwillkürlich an die großen Neitervorstöße der
Unionsgenerale im letzten amerikanischen Bürgerkriege und vermutet, die
KVwallericmassen in Polen seien zur Eröffnung des Angriffs, zu Invasionen
in das Gebiet der westlichen Nachbarn mit dem Zwecke bestimmt, deren Mobil¬
machung durch Zerstörung von Eisenbahnen zu hindern, gesammelte Vorräte
wegzunehmen, weit ins Land hinein Schrecken zu verbreiten und den eignen
Aufmarsch zu verschleiern, auf welche Verwendung der russischen Reiterei deren
ganze Ausbildung schon seit zehn Jahren hindeutet.

Deutschland und Rußland haben um an sich keine Interessen, die einen
Gegensatz zwischen dem einen und dem andern Reiche einschlossen. Aber mit
dem Berliner Kongreß ist unleugbar eine Erkältung der Freundschaft zwischen
ihnen eingetreten. Dentschlnud zeigte sich hier nach Möglichkeit dankbar fiir


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[0498] Militärisch-politische Blicke nach Osten Verkehr erschlossen. Ferner hat man das Befestigungssystem in diesen Provinzen wesentlich vervollständigt, indem man teils schon bestehende Festungen durch Umbau und Erweiterung zu Wasserplätzen ersten Ranges erhob und gegen die Wirkung der modernen Belagerungsmittel nach Möglichkeit zu schützen suchte, teils neue Festungen und befestigte Lager anlegte. Ersteres geschah mit Rooo Georgiewsk, Warschau, Jwangorod, Brest Litewski und Kiew, letzteres bei Dubno, Chotim und Kcnnenez Podolsk, sowie neuerdings bei Grodno und bei Bielvstok an der österreichischen und bei Kowno um der preußischen Grenze. Endlich hat das russische Kriegsministerium von 1879 an, zuerst ganz in der Stille, von Jahr zu Jahr mehr Truppen in die westlichen Grenzlande verlegt und sie an den großen Eisenbahnlinien untergebracht, so daß ihre Mobilmachung und Zusammen¬ stellung zu Armeen rasch erfolgen kann, wobei jedoch nicht zu übersehen ist, daß bei der vergleichsweise geringen Zahl der Zwischenbahnen die Urlauber und Reservisten noch in vielen Fällen weite Strecken zu Fuße zurücklegen müssen, also erst nach geraumer Zeit bei ihren Regimentern eintreffen können. Dagegen ist durch Belegung der westlichen Gouvernements mit Massen von Kavallerie und reitender Artillerie, die beinahe auf Kriegsfuß gebracht sind, und durch die Bestimmung, daß die in Kongreßpolen stehenden 15 Jnfanterie- divisiouen, sowie die dortigen Schützen-, Sappeur- und Feldartilleriebrigaden durch Einstellung der in diesem Landesteile einberufenen Reservisten ans die volle Kriegsstärke gebracht werden sollen, was in etwa zehn Tagen zu bewerk¬ stelligen sein wird, die Vorbereitung zu einem Kriege mit den westlichen Nachbarn wesentlich gefördert worden. Ebenso ist sür die rasche Bespannung der Geschütze und Trainfuhrwerke, für die reichliches Material vorhanden ist, genügend Sorge getragen. Nur die Divisivnskavallerie, die aus Kosaken- regimentcrn besteht, mich in der Heimat formirt und dann auf deu Kriegs¬ schauplatz gebracht werden. Alle diese Maßregeln mit Ausnahme der An¬ sammlung von Kavalleriemassen mit reitender Artillerie könnten auch auf bloße Verteidigung berechnet sein, also keine Bedrohung bedeuten. Bei jener Aus¬ nahme aber erinnert man sich unwillkürlich an die großen Neitervorstöße der Unionsgenerale im letzten amerikanischen Bürgerkriege und vermutet, die KVwallericmassen in Polen seien zur Eröffnung des Angriffs, zu Invasionen in das Gebiet der westlichen Nachbarn mit dem Zwecke bestimmt, deren Mobil¬ machung durch Zerstörung von Eisenbahnen zu hindern, gesammelte Vorräte wegzunehmen, weit ins Land hinein Schrecken zu verbreiten und den eignen Aufmarsch zu verschleiern, auf welche Verwendung der russischen Reiterei deren ganze Ausbildung schon seit zehn Jahren hindeutet. Deutschland und Rußland haben um an sich keine Interessen, die einen Gegensatz zwischen dem einen und dem andern Reiche einschlossen. Aber mit dem Berliner Kongreß ist unleugbar eine Erkältung der Freundschaft zwischen ihnen eingetreten. Dentschlnud zeigte sich hier nach Möglichkeit dankbar fiir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/498>, abgerufen am 28.09.2024.