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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

legung und Bedenklichkeit, der Mangel aller Leidenschaft, er gerät kaum jemals
in Hitze. Ebenso Faust Pachter: niemals war ein Mann weniger faustisch angelegt
als dieser Dichter des "Rohitscher Sonnendienstes." Ihm geht jede Leidenschaft
ab, er ärgert sich über nichts, er hat die Vergänglichkeit, die Wandelbarkeit mensch¬
licher Wünsche und Begierden erkannt, es giebt für ihn auch keine absolute Wahr¬
heit. Alles hat seine zwei Seiten, und jeder Gegner kann Recht haben. Er selbst
will aber nur ungestört seinen Weg gehen dürfen. Ihm behagt es, in der Sonue
zu wandeln, jeden ihrer Strahlen zu verehre", vor jeder Blume, ja vor jedem
Grashalm in Andacht zu versinken, und sein einziger Genuß ist, still zu betrachten.
Ja diese Andacht vor dem Kleinen ist ihm zur einzigen Leidenschaft geworden.
Er will um das Steinchen am Wege, um das ausgerupfte Federchen, das in der
Luft herumfliegt, um das Wölkchen in der blauen Himmelshöhe seine Gedanken
ranken, er will ebenso still dasitzen und das lebhafte Treiben der Menschen auf
dem Kurplatze belauschen und dann selbst behaglich sein Täßchen Kaffee genießen,
alles dies, ohne sich aufzuregen, und daun mit allerlei Gedanken beladen den Heim¬
weg nach Hause betreten, um sie dort aufzuzeichnen. Zuweilen wohl überkommt
ihn eine Ahnung von einer stärkern Art zu fühlen, zu leben, zu genießen, oder
er fühlt sich unzufrieden, weil er nicht jene Ideale erreicht hat, die er in der
Jugend anstrebte, ja er kann sogar recht schwermütig darüber nachdenken. Aber
bald hat er diese Anfechtung besiegt, es ist doch nicht der Mühe wert, und er fährt
in seiner Andacht vor der Alltäglichkeit trotz dem Gespött und Hochmut der
Genußmenschen fort. Nun hat man ungefähr eine Vorstellung von dem Lebens¬
gehalte der in den Gedichten Pachters zu Tage tritt. Die Andacht und Reflexion
über Kleinigkeiten kann sich nur selten zu poetischer Wirkung erheben, so ehrbar
sie auch sein mag. Aber man würde dem bescheidenen Manne Unrecht thun, wenn
man ihm jede Poesie absprechen wollte. Er ist schon deswegen häufig Dichter,
weil er ehrlich fühlt, was er sagt, weil er sich selbst uicht besser machen will, als
er ist, und weil oft die Offenherzigkeit eines Bekenntnisses in seinen Versen wahr¬
genommen werden kann. Uebrigens sind die Gedichte des nicht weniger als
415 Seiten starken Bandes nicht ausschließlich Nohitsch oder dem Sonnendienst
gewidmet, obgleich das bekannte Bad mit aller Ausführlichkeit gepriesen wird.
Zwischen die drei Bücher lyrischer Gedichte, die auch mitunter märchenhafte Er¬
zählungen in Makameuform oder Ghaselen enthalten, sind ebensoviele "Zwischen¬
spiele" eingeflochten, deren jedes etwa hundert Spruchverse enthält, die sich öfters
durch ebenso glückliche Form als zutreffende Gedanken auszeichnen. Im ganzen
freilich läßt die Bildung des Pachlerschen Sprachgefühls manches zu wünschen übrig-






Für die Redaktion verantwortlich! Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig - Druck von Carl Marquart in LeiPM
Litteratur

legung und Bedenklichkeit, der Mangel aller Leidenschaft, er gerät kaum jemals
in Hitze. Ebenso Faust Pachter: niemals war ein Mann weniger faustisch angelegt
als dieser Dichter des „Rohitscher Sonnendienstes." Ihm geht jede Leidenschaft
ab, er ärgert sich über nichts, er hat die Vergänglichkeit, die Wandelbarkeit mensch¬
licher Wünsche und Begierden erkannt, es giebt für ihn auch keine absolute Wahr¬
heit. Alles hat seine zwei Seiten, und jeder Gegner kann Recht haben. Er selbst
will aber nur ungestört seinen Weg gehen dürfen. Ihm behagt es, in der Sonue
zu wandeln, jeden ihrer Strahlen zu verehre», vor jeder Blume, ja vor jedem
Grashalm in Andacht zu versinken, und sein einziger Genuß ist, still zu betrachten.
Ja diese Andacht vor dem Kleinen ist ihm zur einzigen Leidenschaft geworden.
Er will um das Steinchen am Wege, um das ausgerupfte Federchen, das in der
Luft herumfliegt, um das Wölkchen in der blauen Himmelshöhe seine Gedanken
ranken, er will ebenso still dasitzen und das lebhafte Treiben der Menschen auf
dem Kurplatze belauschen und dann selbst behaglich sein Täßchen Kaffee genießen,
alles dies, ohne sich aufzuregen, und daun mit allerlei Gedanken beladen den Heim¬
weg nach Hause betreten, um sie dort aufzuzeichnen. Zuweilen wohl überkommt
ihn eine Ahnung von einer stärkern Art zu fühlen, zu leben, zu genießen, oder
er fühlt sich unzufrieden, weil er nicht jene Ideale erreicht hat, die er in der
Jugend anstrebte, ja er kann sogar recht schwermütig darüber nachdenken. Aber
bald hat er diese Anfechtung besiegt, es ist doch nicht der Mühe wert, und er fährt
in seiner Andacht vor der Alltäglichkeit trotz dem Gespött und Hochmut der
Genußmenschen fort. Nun hat man ungefähr eine Vorstellung von dem Lebens¬
gehalte der in den Gedichten Pachters zu Tage tritt. Die Andacht und Reflexion
über Kleinigkeiten kann sich nur selten zu poetischer Wirkung erheben, so ehrbar
sie auch sein mag. Aber man würde dem bescheidenen Manne Unrecht thun, wenn
man ihm jede Poesie absprechen wollte. Er ist schon deswegen häufig Dichter,
weil er ehrlich fühlt, was er sagt, weil er sich selbst uicht besser machen will, als
er ist, und weil oft die Offenherzigkeit eines Bekenntnisses in seinen Versen wahr¬
genommen werden kann. Uebrigens sind die Gedichte des nicht weniger als
415 Seiten starken Bandes nicht ausschließlich Nohitsch oder dem Sonnendienst
gewidmet, obgleich das bekannte Bad mit aller Ausführlichkeit gepriesen wird.
Zwischen die drei Bücher lyrischer Gedichte, die auch mitunter märchenhafte Er¬
zählungen in Makameuform oder Ghaselen enthalten, sind ebensoviele „Zwischen¬
spiele" eingeflochten, deren jedes etwa hundert Spruchverse enthält, die sich öfters
durch ebenso glückliche Form als zutreffende Gedanken auszeichnen. Im ganzen
freilich läßt die Bildung des Pachlerschen Sprachgefühls manches zu wünschen übrig-






Für die Redaktion verantwortlich! Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig - Druck von Carl Marquart in LeiPM
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[0496] Litteratur legung und Bedenklichkeit, der Mangel aller Leidenschaft, er gerät kaum jemals in Hitze. Ebenso Faust Pachter: niemals war ein Mann weniger faustisch angelegt als dieser Dichter des „Rohitscher Sonnendienstes." Ihm geht jede Leidenschaft ab, er ärgert sich über nichts, er hat die Vergänglichkeit, die Wandelbarkeit mensch¬ licher Wünsche und Begierden erkannt, es giebt für ihn auch keine absolute Wahr¬ heit. Alles hat seine zwei Seiten, und jeder Gegner kann Recht haben. Er selbst will aber nur ungestört seinen Weg gehen dürfen. Ihm behagt es, in der Sonue zu wandeln, jeden ihrer Strahlen zu verehre», vor jeder Blume, ja vor jedem Grashalm in Andacht zu versinken, und sein einziger Genuß ist, still zu betrachten. Ja diese Andacht vor dem Kleinen ist ihm zur einzigen Leidenschaft geworden. Er will um das Steinchen am Wege, um das ausgerupfte Federchen, das in der Luft herumfliegt, um das Wölkchen in der blauen Himmelshöhe seine Gedanken ranken, er will ebenso still dasitzen und das lebhafte Treiben der Menschen auf dem Kurplatze belauschen und dann selbst behaglich sein Täßchen Kaffee genießen, alles dies, ohne sich aufzuregen, und daun mit allerlei Gedanken beladen den Heim¬ weg nach Hause betreten, um sie dort aufzuzeichnen. Zuweilen wohl überkommt ihn eine Ahnung von einer stärkern Art zu fühlen, zu leben, zu genießen, oder er fühlt sich unzufrieden, weil er nicht jene Ideale erreicht hat, die er in der Jugend anstrebte, ja er kann sogar recht schwermütig darüber nachdenken. Aber bald hat er diese Anfechtung besiegt, es ist doch nicht der Mühe wert, und er fährt in seiner Andacht vor der Alltäglichkeit trotz dem Gespött und Hochmut der Genußmenschen fort. Nun hat man ungefähr eine Vorstellung von dem Lebens¬ gehalte der in den Gedichten Pachters zu Tage tritt. Die Andacht und Reflexion über Kleinigkeiten kann sich nur selten zu poetischer Wirkung erheben, so ehrbar sie auch sein mag. Aber man würde dem bescheidenen Manne Unrecht thun, wenn man ihm jede Poesie absprechen wollte. Er ist schon deswegen häufig Dichter, weil er ehrlich fühlt, was er sagt, weil er sich selbst uicht besser machen will, als er ist, und weil oft die Offenherzigkeit eines Bekenntnisses in seinen Versen wahr¬ genommen werden kann. Uebrigens sind die Gedichte des nicht weniger als 415 Seiten starken Bandes nicht ausschließlich Nohitsch oder dem Sonnendienst gewidmet, obgleich das bekannte Bad mit aller Ausführlichkeit gepriesen wird. Zwischen die drei Bücher lyrischer Gedichte, die auch mitunter märchenhafte Er¬ zählungen in Makameuform oder Ghaselen enthalten, sind ebensoviele „Zwischen¬ spiele" eingeflochten, deren jedes etwa hundert Spruchverse enthält, die sich öfters durch ebenso glückliche Form als zutreffende Gedanken auszeichnen. Im ganzen freilich läßt die Bildung des Pachlerschen Sprachgefühls manches zu wünschen übrig- Für die Redaktion verantwortlich! Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig - Druck von Carl Marquart in LeiPM

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/496>, abgerufen am 29.06.2024.