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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Harte Köpfe

keine Pflicht kennt außer dem gesellschaftlichen Sittenkodex des jungfräulichen
Anstandes. An dem Tage, wo mir das vollkommen deutlich wurde, hörten
Sie für mich auf, da zu sein. Um das zu ändern, hätten Sie einmal wenigstens
aus den Schranken dieser Weiblichkeit heraustreten, hätten Sie mich einmal
wenigstens überzeugen müssen, daß auch Ihnen das Recht höher stehen kann,
als die Sitte. Ich verlangte eine That, uicht bloß begütigende Redensarten.

Es entstand eine Pause, die mir sonderbar lang schien. Ich wußte in
dem Augenblick nicht, was sie that, aber nachher sah ich es: sie hatte ihr
Nachtkleid über der Brust geöffnet und es weit auseinander geschlagen. Dann
fuhr sie fort:

Ich habe es gewollt, aber ich konnte nicht. Jetzt könnte ich alles, aber
damals, als ich Ihnen gegenüber stand, faßte mich das Elend an der Kehle
und preßte mich zusammen, daß ich sagen mußte, was ich nicht wollte. Ich
habe nie sprechen können; ich kaun es erst jetzt, wo ich sterben muß. Ich
glaube, das war mein ganzer Fehler, daß ich mit Ihrem Geiste nicht entfernt
Schritt halten konnte; ich mußte hilflos mit meiner Angst und meinen Zweifeln
kämpfen, wo Sie Ihren Weg vom ersten Schritt an klar gesehen hatten.

Es muß wohl so sein, du armes Kind, antwortete er, und sie schluchzte
leise: Du hast mir verziehen?

Ja, sagte er.

Du verzeihst nur anch die Iran von Dolhagen? Sieh, ich hatte sie nicht
bestellt, sie war zufällig gekommen, und ich in meiner Hilflosigkeit behielt sie
bei mir. Es war entsetzlich ungeschickt, aber --

Sorge nicht, die alte Zeit ist jetzt abgethan, sprich kein Wort mehr von ihr.

Sie machte wieder eine Pause, dünn sagte sie leiser: Doch, eins muß ich
noch sagen. Nachdem du meine Armseligkeit gesehen hast, wird es dir nicht
schwer geworden sein, mir zu verzeihen. Aber kannst dn auch der Welt und
meinem Geschlecht vergeben, was du durch mich hast tragen müssen? Werde
nicht böse. Konrad, du hast um meinetwillen den Anspruch auf das Glück
aufgegeben, und das. nicht mein eignes Loos ist es, was mich quält. Willst
du, kannst du mir versprechen, daß dn versuchen willst, wieder glücklich zu sein?

Er wartete einige Sekunden, dann antwortete er: Ich verspreche es. Und
dann wurde nichts mehr zwischen ihnen geredet. Als wir nach einer Weile
ins Zimmer traten, saß er vor ihrem Bett, ihre Hand in der seinigen. In
ihren Augen war der alte wunde Blick erloschen, sie sahen friedlich aus. aber
todmüde. Ihre Brust war noch offen; meine Frau trat leise heran und deckte
sie zu. Sie ließ es geschehen, wie ohne es zu merken; ihr Blick war uuab-
lü'ssig auf ihn geheftet.

Und so blieben sie einander gegenüber, er ihre Hand haltend, sie zu ihm
aufblickend, die lange Nacht hindurch und den folgenden Morgen. Von Zeit
Zu Zeit schloß sie die Angen, aber wenn sie sie aufschlug, waren sie wieder


Harte Köpfe

keine Pflicht kennt außer dem gesellschaftlichen Sittenkodex des jungfräulichen
Anstandes. An dem Tage, wo mir das vollkommen deutlich wurde, hörten
Sie für mich auf, da zu sein. Um das zu ändern, hätten Sie einmal wenigstens
aus den Schranken dieser Weiblichkeit heraustreten, hätten Sie mich einmal
wenigstens überzeugen müssen, daß auch Ihnen das Recht höher stehen kann,
als die Sitte. Ich verlangte eine That, uicht bloß begütigende Redensarten.

Es entstand eine Pause, die mir sonderbar lang schien. Ich wußte in
dem Augenblick nicht, was sie that, aber nachher sah ich es: sie hatte ihr
Nachtkleid über der Brust geöffnet und es weit auseinander geschlagen. Dann
fuhr sie fort:

Ich habe es gewollt, aber ich konnte nicht. Jetzt könnte ich alles, aber
damals, als ich Ihnen gegenüber stand, faßte mich das Elend an der Kehle
und preßte mich zusammen, daß ich sagen mußte, was ich nicht wollte. Ich
habe nie sprechen können; ich kaun es erst jetzt, wo ich sterben muß. Ich
glaube, das war mein ganzer Fehler, daß ich mit Ihrem Geiste nicht entfernt
Schritt halten konnte; ich mußte hilflos mit meiner Angst und meinen Zweifeln
kämpfen, wo Sie Ihren Weg vom ersten Schritt an klar gesehen hatten.

Es muß wohl so sein, du armes Kind, antwortete er, und sie schluchzte
leise: Du hast mir verziehen?

Ja, sagte er.

Du verzeihst nur anch die Iran von Dolhagen? Sieh, ich hatte sie nicht
bestellt, sie war zufällig gekommen, und ich in meiner Hilflosigkeit behielt sie
bei mir. Es war entsetzlich ungeschickt, aber —

Sorge nicht, die alte Zeit ist jetzt abgethan, sprich kein Wort mehr von ihr.

Sie machte wieder eine Pause, dünn sagte sie leiser: Doch, eins muß ich
noch sagen. Nachdem du meine Armseligkeit gesehen hast, wird es dir nicht
schwer geworden sein, mir zu verzeihen. Aber kannst dn auch der Welt und
meinem Geschlecht vergeben, was du durch mich hast tragen müssen? Werde
nicht böse. Konrad, du hast um meinetwillen den Anspruch auf das Glück
aufgegeben, und das. nicht mein eignes Loos ist es, was mich quält. Willst
du, kannst du mir versprechen, daß dn versuchen willst, wieder glücklich zu sein?

Er wartete einige Sekunden, dann antwortete er: Ich verspreche es. Und
dann wurde nichts mehr zwischen ihnen geredet. Als wir nach einer Weile
ins Zimmer traten, saß er vor ihrem Bett, ihre Hand in der seinigen. In
ihren Augen war der alte wunde Blick erloschen, sie sahen friedlich aus. aber
todmüde. Ihre Brust war noch offen; meine Frau trat leise heran und deckte
sie zu. Sie ließ es geschehen, wie ohne es zu merken; ihr Blick war uuab-
lü'ssig auf ihn geheftet.

Und so blieben sie einander gegenüber, er ihre Hand haltend, sie zu ihm
aufblickend, die lange Nacht hindurch und den folgenden Morgen. Von Zeit
Zu Zeit schloß sie die Angen, aber wenn sie sie aufschlug, waren sie wieder


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[0487] Harte Köpfe keine Pflicht kennt außer dem gesellschaftlichen Sittenkodex des jungfräulichen Anstandes. An dem Tage, wo mir das vollkommen deutlich wurde, hörten Sie für mich auf, da zu sein. Um das zu ändern, hätten Sie einmal wenigstens aus den Schranken dieser Weiblichkeit heraustreten, hätten Sie mich einmal wenigstens überzeugen müssen, daß auch Ihnen das Recht höher stehen kann, als die Sitte. Ich verlangte eine That, uicht bloß begütigende Redensarten. Es entstand eine Pause, die mir sonderbar lang schien. Ich wußte in dem Augenblick nicht, was sie that, aber nachher sah ich es: sie hatte ihr Nachtkleid über der Brust geöffnet und es weit auseinander geschlagen. Dann fuhr sie fort: Ich habe es gewollt, aber ich konnte nicht. Jetzt könnte ich alles, aber damals, als ich Ihnen gegenüber stand, faßte mich das Elend an der Kehle und preßte mich zusammen, daß ich sagen mußte, was ich nicht wollte. Ich habe nie sprechen können; ich kaun es erst jetzt, wo ich sterben muß. Ich glaube, das war mein ganzer Fehler, daß ich mit Ihrem Geiste nicht entfernt Schritt halten konnte; ich mußte hilflos mit meiner Angst und meinen Zweifeln kämpfen, wo Sie Ihren Weg vom ersten Schritt an klar gesehen hatten. Es muß wohl so sein, du armes Kind, antwortete er, und sie schluchzte leise: Du hast mir verziehen? Ja, sagte er. Du verzeihst nur anch die Iran von Dolhagen? Sieh, ich hatte sie nicht bestellt, sie war zufällig gekommen, und ich in meiner Hilflosigkeit behielt sie bei mir. Es war entsetzlich ungeschickt, aber — Sorge nicht, die alte Zeit ist jetzt abgethan, sprich kein Wort mehr von ihr. Sie machte wieder eine Pause, dünn sagte sie leiser: Doch, eins muß ich noch sagen. Nachdem du meine Armseligkeit gesehen hast, wird es dir nicht schwer geworden sein, mir zu verzeihen. Aber kannst dn auch der Welt und meinem Geschlecht vergeben, was du durch mich hast tragen müssen? Werde nicht böse. Konrad, du hast um meinetwillen den Anspruch auf das Glück aufgegeben, und das. nicht mein eignes Loos ist es, was mich quält. Willst du, kannst du mir versprechen, daß dn versuchen willst, wieder glücklich zu sein? Er wartete einige Sekunden, dann antwortete er: Ich verspreche es. Und dann wurde nichts mehr zwischen ihnen geredet. Als wir nach einer Weile ins Zimmer traten, saß er vor ihrem Bett, ihre Hand in der seinigen. In ihren Augen war der alte wunde Blick erloschen, sie sahen friedlich aus. aber todmüde. Ihre Brust war noch offen; meine Frau trat leise heran und deckte sie zu. Sie ließ es geschehen, wie ohne es zu merken; ihr Blick war uuab- lü'ssig auf ihn geheftet. Und so blieben sie einander gegenüber, er ihre Hand haltend, sie zu ihm aufblickend, die lange Nacht hindurch und den folgenden Morgen. Von Zeit Zu Zeit schloß sie die Angen, aber wenn sie sie aufschlug, waren sie wieder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/487>, abgerufen am 29.06.2024.