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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Harte Köpfe

was sich aus seinen Worten wie mit Krallen in mein Fleisch gräbt -- und
er sah so krank aus! Das war noch härter als sein starrer Hohn, wie er so
bleich dastand und keinen Gedanken der Klage hatte. Oh, ich habe auch ihn
um sein Glück gebracht"!

So ging es fort von Blatt zu Blatt, ein langer Schrei des Elends.
Warum mußte sie zu ihrem Unglück gerade an diesen Mann geraten? Ander"
hilft der sinnliche Zug der weiblichen Liebenswürdigkeit über den Riß hinüber,
aber für sein stolzes Rechtsbewußtsein ist der nicht vorhanden. Man sah aus
ihren Zeilen viel deutlicher als aus seiner eignen Erzählung, wie er ihr gegen¬
über gestanden hatte, empört darüber, daß sie den einseitigen Willen gegen die
Vernunft, die gesellschaftliche Sitte gegen die sittliche Wahrheit ins Feld ge¬
führt hatte. Er selbst tief leidend, vielleicht innerlich darauf wartend, daß sie
dem beleidigten Recht eine ausdrückliche Genugthuung gäbe; aber sie that es
nicht, und er schaute über sie weg. nicht in Haß, sondern in Verachtung; sie
War unter den Kreis der Wesen, mit denen er sich verständigen kann, hinab¬
gesunken. Das hat auch seine Großmut getötet.

Drei Wochen lang meldeten die Briefe meiner Frau von schweren Delirien,
gelegentlich auch von Erholung; daun kam der letzte:

"Ich glaube, es geht zu Ende. Das wilde Fieber mit der wahnsinnigen
Aufregung hat nachgelassen, aber der hiesige Physikus sagt, sie müsse sterben,
die Schwächung sei zu groß. Sie ist bei Besinnung, aber merkwürdig, es ist.
als habe sie ihren Mann vollständig vergessen. Er scheint es zu verdienen;
wie ich ihren wirren Reden entnahm, hat er ihr gar die Schuld ihres Vaters
vorgeworfen. Sie hat nnr noch einen Gedanken; wenn sie spricht, sei es Tag
"der Nacht, sie spricht nur davon: sie will seine Verzeihung. Sie wehklagt,
daß sie nicht sterben könne, ohne ihn gesehen zu haben. Er muß kommen, er
muß! Bringe ihn her um jeden Preis, und komm auch du; denn ich kann
den Jammer nicht länger allein tragen."

Ich ging zu Venarius und zeigte ihm den Brief. Wem, es sein muß,
sagte er. Helfen Sie mir, daß wir uns möglichst rasch frei machen können.
Er nannte die Kollegen, die unsre Vertretung übernehmen sollten, und wir
machten uns beide auf den Weg, um das Erforderliche zu besorgen. Der Tag
ging darüber hin, aber am Abend des nächsten Tages, bei Sonnenuntergang,
traten wir in das Sterbezimmer.

Sie lag in ihrem Bett, noch immer von eigenartiger, ergreifender Schön¬
heit. Der Physikus hatte, wie zu erwarten, ihr langes Haar abschneiden wollen,
aber sie hatte sich mit so bitterer, fast schreiender Heftigkeit dagegen gewehrt,
daß er seinen Vorsatz aufgeben mußte. Es umgab sie wie eine dunkle Krone.
Sie sah nicht verfallen aus, sondern eine trügerische Schwellung verdeckte, was
das Wüten der Krankheit ihr entzogen hatte. Sie lag still mit über der Brust
gefalteten Händen, nnr ihre Angen richteten sich uns entgegen. Ja, das war


Harte Köpfe

was sich aus seinen Worten wie mit Krallen in mein Fleisch gräbt — und
er sah so krank aus! Das war noch härter als sein starrer Hohn, wie er so
bleich dastand und keinen Gedanken der Klage hatte. Oh, ich habe auch ihn
um sein Glück gebracht"!

So ging es fort von Blatt zu Blatt, ein langer Schrei des Elends.
Warum mußte sie zu ihrem Unglück gerade an diesen Mann geraten? Ander»
hilft der sinnliche Zug der weiblichen Liebenswürdigkeit über den Riß hinüber,
aber für sein stolzes Rechtsbewußtsein ist der nicht vorhanden. Man sah aus
ihren Zeilen viel deutlicher als aus seiner eignen Erzählung, wie er ihr gegen¬
über gestanden hatte, empört darüber, daß sie den einseitigen Willen gegen die
Vernunft, die gesellschaftliche Sitte gegen die sittliche Wahrheit ins Feld ge¬
führt hatte. Er selbst tief leidend, vielleicht innerlich darauf wartend, daß sie
dem beleidigten Recht eine ausdrückliche Genugthuung gäbe; aber sie that es
nicht, und er schaute über sie weg. nicht in Haß, sondern in Verachtung; sie
War unter den Kreis der Wesen, mit denen er sich verständigen kann, hinab¬
gesunken. Das hat auch seine Großmut getötet.

Drei Wochen lang meldeten die Briefe meiner Frau von schweren Delirien,
gelegentlich auch von Erholung; daun kam der letzte:

„Ich glaube, es geht zu Ende. Das wilde Fieber mit der wahnsinnigen
Aufregung hat nachgelassen, aber der hiesige Physikus sagt, sie müsse sterben,
die Schwächung sei zu groß. Sie ist bei Besinnung, aber merkwürdig, es ist.
als habe sie ihren Mann vollständig vergessen. Er scheint es zu verdienen;
wie ich ihren wirren Reden entnahm, hat er ihr gar die Schuld ihres Vaters
vorgeworfen. Sie hat nnr noch einen Gedanken; wenn sie spricht, sei es Tag
»der Nacht, sie spricht nur davon: sie will seine Verzeihung. Sie wehklagt,
daß sie nicht sterben könne, ohne ihn gesehen zu haben. Er muß kommen, er
muß! Bringe ihn her um jeden Preis, und komm auch du; denn ich kann
den Jammer nicht länger allein tragen."

Ich ging zu Venarius und zeigte ihm den Brief. Wem, es sein muß,
sagte er. Helfen Sie mir, daß wir uns möglichst rasch frei machen können.
Er nannte die Kollegen, die unsre Vertretung übernehmen sollten, und wir
machten uns beide auf den Weg, um das Erforderliche zu besorgen. Der Tag
ging darüber hin, aber am Abend des nächsten Tages, bei Sonnenuntergang,
traten wir in das Sterbezimmer.

Sie lag in ihrem Bett, noch immer von eigenartiger, ergreifender Schön¬
heit. Der Physikus hatte, wie zu erwarten, ihr langes Haar abschneiden wollen,
aber sie hatte sich mit so bitterer, fast schreiender Heftigkeit dagegen gewehrt,
daß er seinen Vorsatz aufgeben mußte. Es umgab sie wie eine dunkle Krone.
Sie sah nicht verfallen aus, sondern eine trügerische Schwellung verdeckte, was
das Wüten der Krankheit ihr entzogen hatte. Sie lag still mit über der Brust
gefalteten Händen, nnr ihre Angen richteten sich uns entgegen. Ja, das war


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[0485] Harte Köpfe was sich aus seinen Worten wie mit Krallen in mein Fleisch gräbt — und er sah so krank aus! Das war noch härter als sein starrer Hohn, wie er so bleich dastand und keinen Gedanken der Klage hatte. Oh, ich habe auch ihn um sein Glück gebracht"! So ging es fort von Blatt zu Blatt, ein langer Schrei des Elends. Warum mußte sie zu ihrem Unglück gerade an diesen Mann geraten? Ander» hilft der sinnliche Zug der weiblichen Liebenswürdigkeit über den Riß hinüber, aber für sein stolzes Rechtsbewußtsein ist der nicht vorhanden. Man sah aus ihren Zeilen viel deutlicher als aus seiner eignen Erzählung, wie er ihr gegen¬ über gestanden hatte, empört darüber, daß sie den einseitigen Willen gegen die Vernunft, die gesellschaftliche Sitte gegen die sittliche Wahrheit ins Feld ge¬ führt hatte. Er selbst tief leidend, vielleicht innerlich darauf wartend, daß sie dem beleidigten Recht eine ausdrückliche Genugthuung gäbe; aber sie that es nicht, und er schaute über sie weg. nicht in Haß, sondern in Verachtung; sie War unter den Kreis der Wesen, mit denen er sich verständigen kann, hinab¬ gesunken. Das hat auch seine Großmut getötet. Drei Wochen lang meldeten die Briefe meiner Frau von schweren Delirien, gelegentlich auch von Erholung; daun kam der letzte: „Ich glaube, es geht zu Ende. Das wilde Fieber mit der wahnsinnigen Aufregung hat nachgelassen, aber der hiesige Physikus sagt, sie müsse sterben, die Schwächung sei zu groß. Sie ist bei Besinnung, aber merkwürdig, es ist. als habe sie ihren Mann vollständig vergessen. Er scheint es zu verdienen; wie ich ihren wirren Reden entnahm, hat er ihr gar die Schuld ihres Vaters vorgeworfen. Sie hat nnr noch einen Gedanken; wenn sie spricht, sei es Tag »der Nacht, sie spricht nur davon: sie will seine Verzeihung. Sie wehklagt, daß sie nicht sterben könne, ohne ihn gesehen zu haben. Er muß kommen, er muß! Bringe ihn her um jeden Preis, und komm auch du; denn ich kann den Jammer nicht länger allein tragen." Ich ging zu Venarius und zeigte ihm den Brief. Wem, es sein muß, sagte er. Helfen Sie mir, daß wir uns möglichst rasch frei machen können. Er nannte die Kollegen, die unsre Vertretung übernehmen sollten, und wir machten uns beide auf den Weg, um das Erforderliche zu besorgen. Der Tag ging darüber hin, aber am Abend des nächsten Tages, bei Sonnenuntergang, traten wir in das Sterbezimmer. Sie lag in ihrem Bett, noch immer von eigenartiger, ergreifender Schön¬ heit. Der Physikus hatte, wie zu erwarten, ihr langes Haar abschneiden wollen, aber sie hatte sich mit so bitterer, fast schreiender Heftigkeit dagegen gewehrt, daß er seinen Vorsatz aufgeben mußte. Es umgab sie wie eine dunkle Krone. Sie sah nicht verfallen aus, sondern eine trügerische Schwellung verdeckte, was das Wüten der Krankheit ihr entzogen hatte. Sie lag still mit über der Brust gefalteten Händen, nnr ihre Angen richteten sich uns entgegen. Ja, das war

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/485>, abgerufen am 28.09.2024.