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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Harte Köpfe

so weit fortginge, und so allein! Da kochte die ganze Bitterkeit des Erduldeten
in mir auf, und meine Antwort hieß: Wissen Sie denn nicht, daß Sie allein
unter allen Menschen kein Recht haben, das zu bedauern? Es wurde eine
harte Stunde der Vergeltung zwischen uns; ich sah die Leidenschaft in ihren
Augen blitzen, aber ich sah auch nichts weiter, nur das Weib, das den Mann
verschmäht, wenn er zu ihr betet, und das ihm nachläuft, wenn er ihr den
Rücken kehrt. Ich verließ sie. Einen letzten Brief schickte sie mir nach, den
ich in Lissabon erhielt; es war in geschriebenen Buchstaben dasselbe, was sie
mündlich gesagt hatte, gewissermaßen unartikulirte Begütigungsversuche, aber
keine Spur von der Anerkennung der Thatsache, daß sie mir gegenüber doch
auch eine Rechtspflicht gehabt Hütte. Ich schrieb ihr kurz zurück: Sie haben
acht Monate lang mit allen Mitteln und ohne alle Rücksicht das eine Ziel
verfolgt, mich von sich zu entfernen; jetzt haben Sie es erreicht, nun geben
Sie sich wenigstens damit zufrieden; ich habe nicht die Absicht, mich Ihnen je
wieder zu nähern.

Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört. Nur einmal, etwa drei
Monate später, ging ein Brief eines Bekannten aus Wien an mich ab, der die
lakonische Frage enthielt: Was sagen sie zu Aureus bevorstehender Heirat? Ich
sagte natürlich nichts dazu. Daß sie sich so schnell getröstet hatte, hat sie in
meinen Augen nicht einmal herabgesetzt; sie war vielleicht nach dem letzten
Zusammenprall so zerschlagen, daß sie nicht mehr den Mut gehabt hat, irgend
einem Werber Nein zu sagen. Wen sie geheiratet hat, wußte ich bis heute
nicht. Hütte ich etwa gehört, daß sie in Not geraten wäre, so würde ich ihr
in der Stille zu Hilfe gekommen sein; weiter aber habe ich mich nicht um sie
gekümmert. Sternberg sagte heute, der Herr Darrenbach sei nicht glücklich
verheiratet; daß sie mit dem Pinsel kein freudenreiches Leben geführt hat, ist
wohl wahrscheinlich. Nun hat der Unglücksmensch noch einen alten Brief von
mir in ihren: Nähzeug gefunden und hat ihn für neu gehalten! Das ist freilich
wahr, wenn ich jenes Schreiben jetzt an sie gerichtet hätte, so würde es genügen,
um einen Ehemann rasend zu machen. Das bedauerlichste scheint mir, daß
sie jene alten Reliquien noch in der Gegenwart hervorgezogen hat; denn das
läßt am meisten darauf schließen, wie wenig ihr eifersüchtiger Gatte sie wirklich
an sich hat fesseln können. Er scheint, wie sie, ein Mensch zu sein, der erst
handelt und dann fragt, warum. Einem solchen sieht es ganz ähnlich, daß
er erst hierher kommt, um mich zu erschießen, und dann sich bei seiner Frau
nach dem Datum des Briefes erkundigt. Welch ein Nest von Dummheiten ist
da zusammengekommen!

Venarius schwieg, meine Frau aber, die schon lange auffallend unruhig
auf ihrem Stuhle gesessen hatte, trat ihm plötzlich mit ausgehöhlten Händen
entgegen: Um Gottes willen, Doktor, Sie sagten vorhin Mine, wie war ihr
vollständiger Name?


Harte Köpfe

so weit fortginge, und so allein! Da kochte die ganze Bitterkeit des Erduldeten
in mir auf, und meine Antwort hieß: Wissen Sie denn nicht, daß Sie allein
unter allen Menschen kein Recht haben, das zu bedauern? Es wurde eine
harte Stunde der Vergeltung zwischen uns; ich sah die Leidenschaft in ihren
Augen blitzen, aber ich sah auch nichts weiter, nur das Weib, das den Mann
verschmäht, wenn er zu ihr betet, und das ihm nachläuft, wenn er ihr den
Rücken kehrt. Ich verließ sie. Einen letzten Brief schickte sie mir nach, den
ich in Lissabon erhielt; es war in geschriebenen Buchstaben dasselbe, was sie
mündlich gesagt hatte, gewissermaßen unartikulirte Begütigungsversuche, aber
keine Spur von der Anerkennung der Thatsache, daß sie mir gegenüber doch
auch eine Rechtspflicht gehabt Hütte. Ich schrieb ihr kurz zurück: Sie haben
acht Monate lang mit allen Mitteln und ohne alle Rücksicht das eine Ziel
verfolgt, mich von sich zu entfernen; jetzt haben Sie es erreicht, nun geben
Sie sich wenigstens damit zufrieden; ich habe nicht die Absicht, mich Ihnen je
wieder zu nähern.

Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört. Nur einmal, etwa drei
Monate später, ging ein Brief eines Bekannten aus Wien an mich ab, der die
lakonische Frage enthielt: Was sagen sie zu Aureus bevorstehender Heirat? Ich
sagte natürlich nichts dazu. Daß sie sich so schnell getröstet hatte, hat sie in
meinen Augen nicht einmal herabgesetzt; sie war vielleicht nach dem letzten
Zusammenprall so zerschlagen, daß sie nicht mehr den Mut gehabt hat, irgend
einem Werber Nein zu sagen. Wen sie geheiratet hat, wußte ich bis heute
nicht. Hütte ich etwa gehört, daß sie in Not geraten wäre, so würde ich ihr
in der Stille zu Hilfe gekommen sein; weiter aber habe ich mich nicht um sie
gekümmert. Sternberg sagte heute, der Herr Darrenbach sei nicht glücklich
verheiratet; daß sie mit dem Pinsel kein freudenreiches Leben geführt hat, ist
wohl wahrscheinlich. Nun hat der Unglücksmensch noch einen alten Brief von
mir in ihren: Nähzeug gefunden und hat ihn für neu gehalten! Das ist freilich
wahr, wenn ich jenes Schreiben jetzt an sie gerichtet hätte, so würde es genügen,
um einen Ehemann rasend zu machen. Das bedauerlichste scheint mir, daß
sie jene alten Reliquien noch in der Gegenwart hervorgezogen hat; denn das
läßt am meisten darauf schließen, wie wenig ihr eifersüchtiger Gatte sie wirklich
an sich hat fesseln können. Er scheint, wie sie, ein Mensch zu sein, der erst
handelt und dann fragt, warum. Einem solchen sieht es ganz ähnlich, daß
er erst hierher kommt, um mich zu erschießen, und dann sich bei seiner Frau
nach dem Datum des Briefes erkundigt. Welch ein Nest von Dummheiten ist
da zusammengekommen!

Venarius schwieg, meine Frau aber, die schon lange auffallend unruhig
auf ihrem Stuhle gesessen hatte, trat ihm plötzlich mit ausgehöhlten Händen
entgegen: Um Gottes willen, Doktor, Sie sagten vorhin Mine, wie war ihr
vollständiger Name?


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/480>, abgerufen am 29.06.2024.