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Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Stimmungen

er und seine Sinnesgenossen, Trapp, Mirabeaus Freund Mauvillon und andre,
in ihrem Braunschweigischen Journale und sonstigen schriftstellerischen Erzeng¬
nissen von der Preßfreiheit des Ortes den ausgedehntesten Gebrauch. Datirte
man hier schon in den ersten neunziger Jahren mitunter nach "Jahren der Frei¬
heit" (von 1739 aus gerechnet), so beging man in Hamburg den 14. Juli
1790 als deu ersten Jahrestag der Bastillenerstürmung mit einer Feier, die
unter allen ähnlichen Festlichkeiten, an denen es auf deutschem Boden nicht
fehlte, am meisten von sich reden machte. Klopstock, der Sänger des Messias
(der auch später um Mirabeaus Tod Trauer angelegt haben soll) wurde dabei
im Schmuck der französischen Nativnalkokarde, das verehrte Haupt mit einer
Freiheitsmütze bedeckt, gesehen; die Frauen erschienen in weißen Gewändern,
von Gürteln in den französischen Freiheitsfarben umfaßt. Der Augenblick, wo
die Sonne den Meridian von Paris passiren mußte -- 12 Uhr 42 Minuten --
wurde abgewartet, um mit einen: Kanonenschuß das Zeichen zum Beginn
der Feier zu geben. Man trank auf baldige Wirkung des französischen Bei¬
spiels in Deutschland, auf Beseitigung des Despotismus. Ein französisches
Blatt, das -lourug,! Ah ?ari8, freute sich, seinen Lesern von den angestimmten
Gesängen zu erzählen und die eine der beiden Oden, die Klopstock zum Vor¬
trag brachte -- der Fürst und sein Kebsweib (I^s ässxots se gg. Kult-zus) --
in französischer Übersetzung mitzuteilen. -- Zu solchen Huldigungen für das
französische Heil stimmte es, wenn anderwärts öffentliche Beleidigungen der
Revolution aus dem Publikum heraus eine scharfe Zurückweisung erfuhren.
Ein Trauerspiel und ein Lustspiel voll bittern Grimmes und platten Spottes
gegen das revolutionäre Wesen -- Ifflands "Kokarden" und Kotzebues "Weib¬
liche Jakobiner" -- wurden in Leipzig in der Michaelismesse 1791 gründlich
ausgepfiffen, und der Regisseur mußte auf die Bühne, sich wegen der Wahl
dieser Stücke zu entschuldigen. -- Als ein charakteristisches Zeichen für die
Atmosphäre, in der man lebte, mag endlich noch erwähnt werden, was sich
in Gotha an dem herzoglichen Geburtstag der Festredner in einer Freimaurer¬
loge erlauben dürfte; sonst ein Mann von harmlos-friedlichem, wohlwollend-
gemeinnützigem Wesen, verstieg er sich bei dieser Gelegenheit bis zu einer
Aufforderung an die anwesenden Mitglieder vom Militärstande, für den Fall,
daß ihr Einschreiten bei Volksaufläufen verlangt würde, sich einer weisen
Neutralität zu befleißigen, und der Herzog war nicht zu bewegen, ihn deshalb
irgendwie behelligen zu lassen.

Allgemeine Zeugnisse dafür, wie frei sich die Gedanken in der Richtung
bewegten, in der sie dnrch die französische Revolution so mächtig vorwärts
gebracht waren, ließen sich in Menge beibringen. Als alltäglicher Gesprächs¬
stoff in weiten Kreisen werden uns Fragen bezeichnet wie die von der Pflicht
des Regenten, sein Volk glücklich zu machen und über die Verwaltung seines
Amtes Rechenschaft abzulegen, von dem Vertrag zwischen Fürst und Volk, an


Deutsche Stimmungen

er und seine Sinnesgenossen, Trapp, Mirabeaus Freund Mauvillon und andre,
in ihrem Braunschweigischen Journale und sonstigen schriftstellerischen Erzeng¬
nissen von der Preßfreiheit des Ortes den ausgedehntesten Gebrauch. Datirte
man hier schon in den ersten neunziger Jahren mitunter nach „Jahren der Frei¬
heit" (von 1739 aus gerechnet), so beging man in Hamburg den 14. Juli
1790 als deu ersten Jahrestag der Bastillenerstürmung mit einer Feier, die
unter allen ähnlichen Festlichkeiten, an denen es auf deutschem Boden nicht
fehlte, am meisten von sich reden machte. Klopstock, der Sänger des Messias
(der auch später um Mirabeaus Tod Trauer angelegt haben soll) wurde dabei
im Schmuck der französischen Nativnalkokarde, das verehrte Haupt mit einer
Freiheitsmütze bedeckt, gesehen; die Frauen erschienen in weißen Gewändern,
von Gürteln in den französischen Freiheitsfarben umfaßt. Der Augenblick, wo
die Sonne den Meridian von Paris passiren mußte — 12 Uhr 42 Minuten —
wurde abgewartet, um mit einen: Kanonenschuß das Zeichen zum Beginn
der Feier zu geben. Man trank auf baldige Wirkung des französischen Bei¬
spiels in Deutschland, auf Beseitigung des Despotismus. Ein französisches
Blatt, das -lourug,! Ah ?ari8, freute sich, seinen Lesern von den angestimmten
Gesängen zu erzählen und die eine der beiden Oden, die Klopstock zum Vor¬
trag brachte — der Fürst und sein Kebsweib (I^s ässxots se gg. Kult-zus) —
in französischer Übersetzung mitzuteilen. — Zu solchen Huldigungen für das
französische Heil stimmte es, wenn anderwärts öffentliche Beleidigungen der
Revolution aus dem Publikum heraus eine scharfe Zurückweisung erfuhren.
Ein Trauerspiel und ein Lustspiel voll bittern Grimmes und platten Spottes
gegen das revolutionäre Wesen — Ifflands „Kokarden" und Kotzebues „Weib¬
liche Jakobiner" — wurden in Leipzig in der Michaelismesse 1791 gründlich
ausgepfiffen, und der Regisseur mußte auf die Bühne, sich wegen der Wahl
dieser Stücke zu entschuldigen. — Als ein charakteristisches Zeichen für die
Atmosphäre, in der man lebte, mag endlich noch erwähnt werden, was sich
in Gotha an dem herzoglichen Geburtstag der Festredner in einer Freimaurer¬
loge erlauben dürfte; sonst ein Mann von harmlos-friedlichem, wohlwollend-
gemeinnützigem Wesen, verstieg er sich bei dieser Gelegenheit bis zu einer
Aufforderung an die anwesenden Mitglieder vom Militärstande, für den Fall,
daß ihr Einschreiten bei Volksaufläufen verlangt würde, sich einer weisen
Neutralität zu befleißigen, und der Herzog war nicht zu bewegen, ihn deshalb
irgendwie behelligen zu lassen.

Allgemeine Zeugnisse dafür, wie frei sich die Gedanken in der Richtung
bewegten, in der sie dnrch die französische Revolution so mächtig vorwärts
gebracht waren, ließen sich in Menge beibringen. Als alltäglicher Gesprächs¬
stoff in weiten Kreisen werden uns Fragen bezeichnet wie die von der Pflicht
des Regenten, sein Volk glücklich zu machen und über die Verwaltung seines
Amtes Rechenschaft abzulegen, von dem Vertrag zwischen Fürst und Volk, an


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[0464] Deutsche Stimmungen er und seine Sinnesgenossen, Trapp, Mirabeaus Freund Mauvillon und andre, in ihrem Braunschweigischen Journale und sonstigen schriftstellerischen Erzeng¬ nissen von der Preßfreiheit des Ortes den ausgedehntesten Gebrauch. Datirte man hier schon in den ersten neunziger Jahren mitunter nach „Jahren der Frei¬ heit" (von 1739 aus gerechnet), so beging man in Hamburg den 14. Juli 1790 als deu ersten Jahrestag der Bastillenerstürmung mit einer Feier, die unter allen ähnlichen Festlichkeiten, an denen es auf deutschem Boden nicht fehlte, am meisten von sich reden machte. Klopstock, der Sänger des Messias (der auch später um Mirabeaus Tod Trauer angelegt haben soll) wurde dabei im Schmuck der französischen Nativnalkokarde, das verehrte Haupt mit einer Freiheitsmütze bedeckt, gesehen; die Frauen erschienen in weißen Gewändern, von Gürteln in den französischen Freiheitsfarben umfaßt. Der Augenblick, wo die Sonne den Meridian von Paris passiren mußte — 12 Uhr 42 Minuten — wurde abgewartet, um mit einen: Kanonenschuß das Zeichen zum Beginn der Feier zu geben. Man trank auf baldige Wirkung des französischen Bei¬ spiels in Deutschland, auf Beseitigung des Despotismus. Ein französisches Blatt, das -lourug,! Ah ?ari8, freute sich, seinen Lesern von den angestimmten Gesängen zu erzählen und die eine der beiden Oden, die Klopstock zum Vor¬ trag brachte — der Fürst und sein Kebsweib (I^s ässxots se gg. Kult-zus) — in französischer Übersetzung mitzuteilen. — Zu solchen Huldigungen für das französische Heil stimmte es, wenn anderwärts öffentliche Beleidigungen der Revolution aus dem Publikum heraus eine scharfe Zurückweisung erfuhren. Ein Trauerspiel und ein Lustspiel voll bittern Grimmes und platten Spottes gegen das revolutionäre Wesen — Ifflands „Kokarden" und Kotzebues „Weib¬ liche Jakobiner" — wurden in Leipzig in der Michaelismesse 1791 gründlich ausgepfiffen, und der Regisseur mußte auf die Bühne, sich wegen der Wahl dieser Stücke zu entschuldigen. — Als ein charakteristisches Zeichen für die Atmosphäre, in der man lebte, mag endlich noch erwähnt werden, was sich in Gotha an dem herzoglichen Geburtstag der Festredner in einer Freimaurer¬ loge erlauben dürfte; sonst ein Mann von harmlos-friedlichem, wohlwollend- gemeinnützigem Wesen, verstieg er sich bei dieser Gelegenheit bis zu einer Aufforderung an die anwesenden Mitglieder vom Militärstande, für den Fall, daß ihr Einschreiten bei Volksaufläufen verlangt würde, sich einer weisen Neutralität zu befleißigen, und der Herzog war nicht zu bewegen, ihn deshalb irgendwie behelligen zu lassen. Allgemeine Zeugnisse dafür, wie frei sich die Gedanken in der Richtung bewegten, in der sie dnrch die französische Revolution so mächtig vorwärts gebracht waren, ließen sich in Menge beibringen. Als alltäglicher Gesprächs¬ stoff in weiten Kreisen werden uns Fragen bezeichnet wie die von der Pflicht des Regenten, sein Volk glücklich zu machen und über die Verwaltung seines Amtes Rechenschaft abzulegen, von dem Vertrag zwischen Fürst und Volk, an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 48, 1889, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341849_204088/464>, abgerufen am 29.06.2024.